Zum Inhalt springen
Bitte geben Sie einen Suchbegriff ein.

Der größte anzunehmende Ampel-Unfall

Vertrauen ist ein Ver- und kein Gebrauchsgut.

Gut 72 Stunden, nachdem die Corona-Ampel-Kommission letzte Woche planmäßig das virologische Geschehen bewertet hat, traf sie am Montagabend zu einer Sondersitzung zusammen. Das Ergebnis war zwar ein neugefärbtes Österreich, aber Maßnahmen, die zuerst von der Ampel-Seite gelöscht, und dann durch "Empfehlungen" ersetzt wurden. So wenig Konsequenzen die Ampelschaltung also hatte, so sehr hat sie für Verwirrung gesorgt. Während Wien offiziell auf "orange" gestellt wurde, verkündete der Leiter der Wiener Bildungsdirektion Heinrich Himmer tags darauf auf Twitter: "Die Ampel für die Wiener Schulen bleibt weiter GELB. Kein Fernunterricht ab 14 Jahren, Schulveranstaltungen, Exkursionen, Workshops mit schulfremden Personen finden weiter statt. "Wir erleben gerade in Echtzeit einen GAU - den größten anzunehmenden Ampel-Unfall. 

So banal es auch klingen mag, aber Vertrauen ist ein Ver- und kein Gebrauchsgut. Dass erratisches Verhalten von Behörden oder der Politik zu ernsthaften Konsequenzen führt, zeigt die Evidenz. Wissenschafter an der Northeastern University in Massachusetts belegten etwa bei der Analyse von Online-Missinformationen, dass vom Vertrauen in Regierungen und das Gesundheitssystem abhängt, ob Menschen Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen, die Anweisungen für Medikamenteneinnahme einhalten und sich an Vorsichtsmaßnahmen gegen Krankheiten während Epidemien halten. Wissenschaftliche Studien zeigten auch, dass während des Ebola-Ausbruchs in Kongo von 2018/2019 der Glaube in Fehlinformationen weit verbreitet war. Ein geringes institutionelles Vertrauen, unklare Handlungsanweisungen der Politik und der Glaube an Fehlinformationen waren mit einer verringerten Wahrscheinlichkeit verbunden, dass vorbeugende und lebensrettende Verhaltensweisen eingehalten wurden. Dies wirkte sich auch auf die Akzeptanz von Ebola-Impfstoffen aus.

Wer an dieser Stelle der Meinung sein sollte, dies sei ein Problem von afrikanischen Staaten und sei in westlichen Ländern undenkbar, möge sich ansehen, wie kanadische Behörden 2003 während eines SARS-Coronavirus-Ausbruchs reagiert haben. Auch hier zeigten Untersuchungen, dass eine größere Glaubwürdigkeit in der Kommunikation behördlicher Gesundheitsmaßnahmen auch dazu führte, dass sich Menschen an Empfehlungen und Quarantäne-Protokolle hielten. Das gilt auch in der aktuellen COVID-19-Pandemie, wie eine Untersuchung finnischer Forscher zum europäischen Umgang mit der Krise zeigen. Vertrauen ist ein wichtiges Werkzeug gegen die pandemische Ausbreitung.

Um verspieltes Vertrauen wiederherzustellen und nicht noch größeren Schaden anzurichten, wären nun drei Maßnahmen wichtig: Erstens muss sichergestellt werden, dass die Öffentlichkeit nachvollziehen kann, wie sich das virologische Geschehen in Österreich darstellt. Das bedeutet nicht nur eine glaubwürdige und schlüssige Methodik für die Corona-Ampel, sondern auch eine stärkere Einbindung von Wissenschaftern in die Kommunikation und eine Abkehr von Zick-Zack-Kursen. Zweitens ist für die in Verhandlung stehenden COVID-Verordnungen eine zeitliche Befristung vorzusehen. Damit wird der Bevölkerung garantiert, dass Sonderverordnungen für die Pandemie nach Ablauf einer Frist automatisch zurückgenommen werden, oder eine Debatte über den Zweck der Verlängerung stattfinden muss. Drittens muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass Informationssysteme wie die Ampel tatsächlich der sachlichen Begründung von Maßnahmen der Politik dienen. Sonst werden wir auch in Österreich sehen, was vergangene Studien belegt haben: dass die Menschen der Politik nicht mehr folgen. 

Dieter Feierabend ist Wissenschaftlicher Leiter im NEOS Lab. Dieser Text erschien am 16. September 2020 in der Wiener Zeitung als Gastbeitrag. 

Bild: ©Sean Z 

Vielleicht interessieren dich auch diese Artikel

20190308-Ausstellungseroeffnung Gleiche Rechte-JANTZEN DSC7924 8482788-3543x1992
08.04.2024Katharina Geissler2 Minuten

Mutmacherinnen I – Die Pionierinnen

Nach wie vor sind Frauen in der Politik wenig repräsentiert. Frauenpolitische Errungenschaften wurden mühsam erkämpft. Ein Blick in die Geschichte – und ein Ausblick in die Zukunft.

Mutmacherinnen I – Die Pionierinnen
Foto (210 von 214)-7463x4196
08.04.2024Katharina Geissler2 Minuten

Mutmacherinnen II – Ran an den Entscheidungstisch!

Zu wenige Frauen sitzen an den Entscheidungstischen des Landes. Das NEOS Lab will das ändern und hat daher das Mutmacherinnen-Programm ins Leben gerufen. Ein Rückblick.

Mutmacherinnen II – Ran an den Entscheidungstisch!
pexels-daniel-reche-1556691-5608x3153
04.04.2024Lukas Sustala2 Minuten

Der Ruf der Mitte nach Freiheit

Bürgerinnen und Bürger fordern nach den Dauerkrisen weniger staatliche Lenkung. Das ist eine positive Entwicklung. Die Mitte braucht private Freiräume, nicht staatliche „Boni“. 

Der Ruf der Mitte nach Freiheit

Melde dich für unseren Newsletter an!