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Der Arbeitsmarkt hat sich normalisiert, aber die Kriseninstrumente sind geblieben

Die Zahl der Arbeitslosen sinkt rasch. Das ist zwar erfreulich, wegen der Verlängerung der Kurzarbeit ist der Arbeitsmarkt aber noch immer massiv verzerrt. Eine Lab-Analyse, in welchen Branchen es gleichzeitig viele offene Stellen und viele Mitarbeiter in Kurzarbeit gibt. Und was das mit Zombifizierung zu tun hat.

Der Wirtschaftsmotor brummt wieder ordentlich. Für heuer erwartet das Wifo das kräftigste Wachstum seit Jahrzehnten (plus 4,4 Prozent). Nächstes Jahr sollen es sogar fünf Prozent sein. Die Folge sind positive Schlagzeilen wie jene: "Weniger Arbeitslose als vor Beginn der Pandemie". 

Bereits seit dem Frühsommer verzeichnet Österreich Rekordwerte an offenen Stellen. Die Unternehmen suchen händeringend nach qualifiziertem Personal. Nach den neuesten Daten gab es im Oktober 112.155 freie Arbeitsplätze. Dabei sind jene Unternehmen noch gar nicht mitgerechnet, die nicht via AMS suchen.

Gleichzeitig ist die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen zuletzt erfreulicherweise rasch gesunken. Im Oktober waren es nur mehr 269.514 und damit um fast 100.000 Arbeitslose weniger als vor genau einem Jahr. 

Am größten ist der Arbeitskräftebedarf derzeit in der Gruppe "Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen". Hinter dieser sperrigen Kategorie verbirgt sich vor allem die "Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften". Am zweitmeisten Personal wird im Handel (vor allem im Einzelhandel) gesucht, wo derzeit fast 20.000 Jobs zu vergeben wären. Aber auch im Tourismus und in der Gastronomie, die seit dem Sommer bereits sehr gut laufen, sind derzeit fast 13.000 offene Stellen beim AMS gemeldet. Die Baubranche, die ebenfalls seit Monaten auf Hochtouren läuft, könnte fast 10.000 zusätzliche Mitarbeiter aufnehmen.

Wo die meisten Mitarbeiter gesucht werden und wie viele Arbeitslose es in diesen Branchen gibt

Wenn diese offenen Stellen nicht mit arbeitslos gemeldeten Personen besetzt werden können, sprechen Ökonomen von einem Mismatch-Problem. Die Angebote der Unternehmen decken sich nicht mit den von den Mitarbeitern nachgefragten Jobs. Das kann verschiedenen Gründe haben: regionale (zu weit entfernter Job), Bezahlung, mangelnde Qualifikation, Kinderbetreuungspflichten und vieles mehr.

Derzeit wird dieses Problem aber noch künstlich durch die Politik verschärft, weil es trotz sehr gut laufender Konjunktur noch immer die Corona-Kurzarbeit gibt. Es herrscht also weitgehend Normalität am Jobmarkt, den Unternehmen steht aber noch immer ein klassisches Kriseninstrument zur Verfügung. Seit dem Sommer wird es "Kurzarbeit Phase 5" genannt. In Anspruch nehmen können sie einerseits Unternehmen, die im dritten Quartal 2020 (d.h. vor einem Jahr!) starke Umsatzeinbrüche hatten, andererseits aber auch Betriebe, die aktuell Schwierigkeiten haben. So können beispielsweise Autobauer oder -zulieferer, die mit Problemen bei Lieferketten zu kämpfen haben, finanzielle Hilfe beim AMS beantragen. Auftrags- bzw. Auslastungsschwankungen - eigentlich klassische Managementaufgaben - können somit an das Arbeitsmarktservice ausgelagert werden. 

Diese massiven wirtschaftspolitischen Eingriffe führen dazu, dass es in zahlreichen Branchen gleichzeitig viele offene Stellen und auch Mitarbeiter in Kurzarbeit gibt. Diese Grafik zeigt die zehn Wirtschaftszweige mit den meisten Kurzarbeitern:

Viele offene Stellen und gleichzeitig viele Mitarbeiter in Kurzarbeit

In klassischen Produktionsbetrieben waren Mitte Oktober fast 22.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Diese Unternehmen hatten nicht genug Aufträge, um ihre Belegschaften auszulasten. Gleichzeitig haben andere Betriebe in diesem Segment fast 13.000 Mitarbeiter gesucht, hatten also unausgelastete Produktionsanlagen.

Im Wirtschaftsbereich "Verkehr und Lagerei", dahinter verbirgt sich die Personen- und Güterbeförderung, gab es mit 12.444 die zweitmeisten Kurzarbeiter. Und auch in der Gastronomie und Beherbergung gibt es die absurde Situation, dass den Unternehmen zwar fast 13.000 Mitarbeiter fehlen, in anderen Betrieben aber fast ebenso viele Mitarbeiter noch immer in Kurzarbeit sind.

Die einen Unternehmen entziehen mit Hilfe des AMS dem Markt Mitarbeiter, den anderen Unternehmen versucht das AMS vergeblich bei der Mitarbeitersuche zu helfen.

Die Öffentlichkeit scheint sich nach eineinhalb Jahren Pandemie daran gewöhnt zu haben, dass sich eine signifikante Zahl an Menschen in Kurzarbeit befindet. Schließlich gab es zum Höhepunkt der Corona-Krise im April 2020 mehr als eine Million Kurzarbeiter. 

Wie stark die Verzerrung am Arbeitsmarkt aber tatsächlich ist, zeigt ein anderer Vergleich. Nach der Weltwirtschaftskrise ab 2008 befanden sich in Österreich zur Spitzenzeit im ersten Halbjahr 2009 nicht einmal 40.000 Menschen in Kurzarbeit. Aktuell sind es gut 70.000. Mit anderen Worten: Damals wurde mit weniger als 40.000 Kurzarbeitern ein starke Rezession (minus 3,8 Prozent 2009) abgefedert, jetzt haben wir fast doppelt so viele Kurzarbeiter, obwohl wir uns mitten in einer kräftigen Aufschwungphase befinden. 

Fast doppelt so viele Mitarbeiter in Kurzarbeit wie am Höhepunkt der Krise in 2009

Das ist ein weiteres klares Indiz dafür, dass während der Corona-Krise sehr viele Unternehmen, die eigentlich nicht überlebensfähig waren, gerettet wurden. Man spricht von der Zombifizierung der Wirtschaft (mehr dazu im Policy Brief "Raus aus dem Schuldengefängnis" https://lab.neos.eu/_Resources/Persistent/d2e70b4cc278771371c91abf56e5ab85cd9b5c47/PB-Raus-aus-dem-Schuldengefaengnis-final2.pdf).

Ablesen konnte man diese Entwicklung bereits im Vorjahr an der massiv eingebrochenen Zahl der Insolvenzen (fast minus 40 Prozent gegenüber 2019). Aber auch jetzt stellt sich nur langsam eine Normalisierung bei der Marktbereinigung von insolventen Unternehmen ein. Prolongierte Hilfen werden auch im Gesamtjahr 2021 zu deutlich unterdurchschnittlichen Firmenpleiten führen. Die Creditreform geht aktuell von rund 3000 Insolvenzen aus. In "normalen" Jahren sind es rund 5000, im Krisenjahr 2009 waren es knapp 7000. 

Conclusio

Konjunkturell ist die Krise längst vorbei. Die Unternehmen werden aber daran gehindert, das volle Potenzial des Arbeitsmarktes auszuschöpfen. Finanziell gut wirtschaftende Betriebe müssen mit solchen konkurrieren, die nur künstlich vom Staat am Leben gehalten werden.

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