Unerlässlich für Demokratie: Selbstwirksamkeit
Höchste Zeit, das Vertrauen der Menschen in Demokratie, Politik und EU zurückzugewinnen. Dafür spielen vor allem die ökonomische Situation und die Transparenz politischer Prozesse eine Rolle.
Stefanie „Fanni“ Gaismayer, Büroleiterin der NEOS-Europaabgeordneten Claudia Gamon in Brüssel, ist überzeugte Europäerin. Katharina Geißler hat sie zum Gespräch getroffen und ihre Erzählung aufgezeichnet.
Das Europäische Parlament war ein extremer Kulturschock. Ich kam mit gefühlt viel politischer Vorerfahrung, kannte Parlamente von innen und dachte, das wird so oder so ähnlich auch auf europäischer Ebene ablaufen. Dann bin ich draufgekommen, dass dieses Haus ganz anders funktioniert als alles, was wir in Österreich kennen. Es gibt so viele Einflussfaktoren, hinzu kommt das Zusammenspiel der unterschiedlichen europäischen Institutionen, wie dem EUGH, dem Europäischen Rechnungshof, der Europäischen Zentralbank etc. Dieses Sammelsurium zu durchdringen, ist eine Lebensaufgabe, daher gilt: Mut zur Lücke.
In diesem Jahr hält Stefanie Gaismayer ein ALL YOU CAN LEARN-Training zur Europäischen Union für die NEOS LAB Academy. Darin werden nicht nur die komplexen europäischen Institutionen und Prozesse beleuchtet, sondern auch die Wahrnehmung und das Gefühl, das wir mit Europa verbinden.
Positiv überrascht hat mich die relative Auflösung von Parteigrenzen. Viel eher als Parteiallianzen schmiedet man Themenallianzen. In der liberalen Fraktion findet sich eine ganze Bandbreite, von der niederländischen D66, die eher grün-liberal ist, bis zu den deutschen Freien Wählern, die zuletzt durch eine antisemitische Flugblattaffäre unangenehm aufgefallen sind. Das inhaltliche Spektrum ist dadurch innerhalb der Fraktion sehr groß. Umgekehrt ergeben sich dadurch auch außerhalb der Fraktion viel mehr inhaltliche Schnittmengen mit einzelnen Abgeordneten. Ein weiterer Faktor ist hier sicher auch, dass man keinen geteilten Medienmarkt hat. Es wäre auch nicht sinnvoll, dass der griechische Sozialdemokrat dem portugiesischen Konservativen etwas über die Medien ausrichtet.
Das Europäische Parlament ist ein echtes Arbeitsparlament. Zu Beginn war das für mich mehr eine Worthülse, die wenig mit Leben gefüllt war. Allerdings musste ich dann feststellen, dass die Abgeordneten im EP tatsächlich Gesetze schreiben und den größten Teil ihres Alltags damit zubringen, Satz für Satz miteinander auszuhandeln. In Österreich kommen Gesetzesvorlagen aus den Ministerien, die dann vom Parlament abgenickt werden.
Andererseits trägt so ziemlich jedes Klischee, das man von Europa hat, einen wahren Kern in sich. Es gibt schon eine Kultur, die suggeriert, dass es immer Ausnahmeregelungen oder Sonderbehandlungen für Abgeordnete gibt. Das ist keine Frage der Transparenz – im Übrigen ist das Europäische Parlament eines der transparentesten Parlamente der Welt. Beispielsweise gibt es eine eigene Ausgabe für Abgeordnete in der Cafeteria und nur selten grüßen Abgeordnete Mitarbeiter:innen auf den Gängen. Irgendwer Schlauer hat das so zusammengefasst, dass es auch daran liegt, dass die Abgeordneten in Brüssel niemals mit Wähler:innen von sich aufeinandertreffen. Das hat natürlich auch einen Einfluss auf die gefühlte Distanz zwischen Bürger:innen und EU-Apparat.
Geplant habe ich es nicht, nach Brüssel zu gehen, zumindest nicht aktiv. Schon als Kind hatte ich immer eine private Beziehung nach Brüssel, deshalb kenne und mag ich den Ort. Meine erste bewusste Erinnerung an Brüssel hatte ich mit acht Jahren, als ich dort vor dem Parlament gestanden bin und mir dachte: „Wow, das ist die Hauptstadt von Europa! Da kommen Menschen aus der ganzen Welt zusammen, um die Welt besser zu machen.“ Dieser kindliche Eindruck hat mich tatsächlich nie wieder ganz losgelassen.
Als ich erwachsen wurde und viele Erfahrungen bei NEOS an allen Stellen, an denen man in Österreich Politik erleben kann, sammeln durfte, war das Einzige, was dann noch fehlte, die EU. Im Hinterkopf war der Weg nach Brüssel also schon, aber eher abstrakt als Denkmöglichkeit. Der Anruf von Claudia kam sehr überraschend. Zu Beginn dachte ich, dass sie Empfehlungen von mir bekommen möchte, wer für die Position geeignet wäre, bis ich feststellte, dass sie mich meinte. In einer Woche Bedenkzeit ist mir dann kein Grund eingefallen, Nein zu sagen.
Einer der schönsten Momente war die Rede von Selenskyj letzten Februar. Jetzt ist es so, dass an normalen Plenartagen der Saal oft recht leer wirkt – egal wer vorne steht. Aber als sich der ukrainische Präsident ankündigte, war das ganze Haus komplett in Aufruhr. So habe ich das vorher und nachher nie mehr erlebt. Der Menschenandrang vor seiner Rede war außergewöhnlich. 100 Meter vor dem Saal haben sich Menschentrauben gesammelt, wie bei einem Rockkonzert. Das war sehr erhebend und gleichzeitig bedrückend, weil man weiß aus welchem Grund er an diesem Ort spricht.
Ein anderer Moment, der zwar keine weltpolitische Bedeutung hatte, den ich allerdings trotzdem nicht vergessen werde war ein russischer Cyberangriff. Es war in einer Plenarwoche, als die EP-Website nicht mehr abrufbar war. Da war mir relativ schnell klar, dass das kein Zufall sein kann. Am Ende hat sich das auch bewahrheitet. Es wurden zwar keine Daten abgezogen, allerdings wird einem schon dadurch die Bedrohung bewusst und dass Europa im Fokus der Bösewichte steht.
Das System Europa ist komplex ist und daher den Bürger:innen oft schwer vermittelbar. Der Entstehungszyklus eines europäischen Gesetzes von der Idee bis zum Inkrafttreten hat so viele formelle Stationen, dass es nicht diesen einen Zeitpunkt gibt, wo ich über dieses Gesetz kommunizieren kann. Ich kann also nicht von Bürger:innen erwarten, dass sie wissen, wie der aktuelle Stand von diesen Prozessen ist. Das ist das Problem, wenn man in einem demokratischen Kunstwerk wohnt.
Dennoch sollte man nicht den Kopf in den Sand stecken. Am besten fängt man bei sich selbst an: in jeder Situation über den Mehrwert von Europa zu sprechen, denn es gibt keine Alternative zur EU. Wir müssen alle verstehen, dass Europa kein Fremdkörper ist – Europa, das sind wir alle.
Zusammen ist man einfach weniger allein. Für diese Haltung braucht man keine Europaenthusiastin zu sein. „In Vielfalt geeint“ ist ein Leitspruch, der meint, dass wir menschlich, kulturell, wirtschaftlich etc. gemeinsam um vieles reicher sind. Persönlich pflege ich ein sehr ausgeprägtes Freiheitsverständnis und bin überzeugt, dass wir in diesem Europa freier leben, als das vermutlich in Summe jedes andere Volk der Welt kann. Es ist im Alltag vermutlich einfach schon viel zu selbstverständlich geworden, welche Freizügigkeit uns die EU erlaubt. Kassenschlager wie die Abschaffung der Roaminggebühren, oder die Personenfreizügigkeit mit Erasmus können von älteren Generationen lebensweltlich anders eingeordnet werden, weil sie die Zeit davor präsenter erinnern. In Österreich wird sich das weniger vergegenwärtigt, vielleicht auch weil wir verwöhnt sind. In unserem Alltag ist Europa nämlich überall greifbar.
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