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Impfen und Schule – Fakten statt Ideologie!

Dieter Feierabend
Dieter Feierabend

Warum ideologische Argumente völlig unangebracht sind und eine evidenzbasierte Lösung kaum Fragen offen lässt

Impfen ist eine sehr emotionale Angelegenheit, gerade in Österreich. Impfgegner_innen arbeiten teilweise mit sehr perfiden Methoden.

NEOS Wien ist diese Woche mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit gegangen, der seitdem intensiv diskutiert wird: nur wer geimpft ist, darf in eine öffentliche Schule. Bevor wir jedoch auf die Begründung dieses Vorschlages bzw. den Impf- und Krankheitsraten eingehen, ein paar Basics:

Welchen Sinn haben Impfungen?

Impfungen gehören in der Medizin zu einem der wichtigsten und wirkungsvollsten Präventionsmaßnahmen. Unmittelbares Ziel der Impfung ist es, die geimpfte Person vor einer ansteckenden Krankheit zu schützen. Bei Erreichen hoher Impfquoten ist es möglich, einzelne Krankheitserreger regional zu eliminieren und schließlich weltweit auszurotten. Die Elimination von Masern und der Poliomyelitis (dt. Kinderlähmung) sind erklärte und erreichbare Ziele nationaler und internationaler Gesundheitspolitik, der sich unter anderem auch Österreich verschrieben hat.

Welche Impfleistungen für Kinder gibt es in Österreich?

Insbesondere für Kinder von Relevanz ist das 1997 eingeführte Kinderimpfkonzept, auf dessen Basis kostenfreie Impfungen für bestimmte Krankheiten (bis zum 15. Lebensjahr) möglich sind. Teil des kostenlosen Kinder-Impf-Programms sind laut Gesundheitsministerium folgende Impfungen:

  • Diphtherie
  • Haemophilus influenzae Typ B
  • Hepatitis B
  • HPV – Humane Papillomaviren
  • Masern, Mumps, Röteln
  • Meningokokken der Gruppen A,C,W135 und Y (MEC-4)
  • Pertussis (Keuchhusten)
  • Pneumokokken
  • Poliomyelitis
  • Rotavirus-Brechdurchfall
  • Tetanus

Die Umsetzung des nationalen Kinderimpfprogramms liegt in der Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer. Die Finanzierung erfolgt gemeinsam durch das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen, die Bundesländer und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.

In Österreich gibt es keine generelle und umfassende Impfpflicht, etwas das aus vielen Gründen zu befürworten ist, nicht zuletzt, da es sich bei einer Impfung um einen nicht unerheblichen Eingriff in die körperliche Integrität handelt. Dementsprechend müssen – sowohl für Kinder, als auch für Erwachsene – Vorgaben bezüglich des Impfschutzes sehr gut designt, wirksam und lokal beschränkt sein.

Warum reden wir – insbesondere bei Kindern – jetzt vermehrt über das Thema impfen?

Unter anderem weil wir bei der Impfrate für Masern oder Keuchhusten mittlerweile europaweit Schlusslicht sind. Als Fallbeispiel hier die Durchimpfungsrate für Masern:

Quelle: OECD Studie: Health at a Glance: Europe 2016

Auch in Bezug auf Krankheitsfälle, die durch Impfungen verhindert werden konnten, zeigt sich ein dramatisches Bild: Bei Keuchhusten sehen wir in Österreich 4 Fälle (Erkrankungen) auf 100.000 Einwohner, womit wir auf Platz 13 von 27 im EU-Mittelfeld landen. Klingt gut, ist es aber nicht. Die 2010 Studie von Health at a Glance zeigt, dass Österreich im Zeitraum 2006-2008 pro Jahr im Schnitt 1,6 Fälle gemeldet hat (Platz 15 von 27), womit die Anzahl an Fällen sich mehr als verdoppelt hat.

Noch schlimmer ist die Anzahl an Masernerkrankungen: In 11 Ländern wurde im letzten Jahr keine einzige Masernerkrankung gemeldet, im EU-Schnitt sind es 8 Personen auf je 1 Million Einwohner. Österreich ist an zweiter Stelle, geschlagen nur von Kroatien. Wobei es hier auf die Zählmethode ankommt, in anderen Studien liegen wir „nur“ auf dem dritten Platz. Die Dramatik dieses Werts zeigt sich, wenn wir Vergleichszahlen (beispielsweise aus der 2010 Version der OECD-Studie) nehmen: vor sechs Jahren wurden in Österreich noch 20 Fälle auf 1 Million Einwohner gemeldet, ein saftiger Anstieg um 75%.

Warum jetzt das Thema Schule und Kindergärten?

Gerade in Gemeinschaftseinrichtungen – zu denen Schulen und Kindergärten gehören – sind Maßnahmen zur Verringerung von Infektionskrankheiten von besonderer Relevanz, aus mehreren Gründen:

  1. Impfen ist keine rein individuelle Entscheidung
    Wenn man bedenkt, dass beispielsweise Säuglinge unter 11 Monaten nicht geimpft werden können und auf die sogenannte „Herdenimmunität“ angewiesen sind, oder dass im Laufe einer Erkrankung an Masern (oder Keuchhusten) möglicherweise auch zusätzliche Erkrankungen auftreten, gegen die sich andere Personen nicht impfen lassen können, so ist die Frage ob Impfen eine individuelle Entscheidung ist, oder ob die eigene Entscheidung auch Folgen für die Allgemeinheit hat, geklärt. Dies sieht auch das renommierte Robert Koch Institut so, wie beispielsweise hier nachzulesen ist.
  2. In Gemeinschaftseinrichtungen ist die Infektionsgefahr überproportional hoch
    In der Forschung gibt es eine lange Evidenzkette, von Ignaz Semmelweis, der in den 1840er Jahren nachweisen konnte, dass Desinfektion die Übertragung von Krankheiten eindämmt bis zur heutigen Forschungsergebnissen die zeigen, dass insbesondere in Gemeinschaftseinrichtungen – ein erhöhtes Risiko zur Ansteckung von Infektionskrankheiten besteht. Deshalb gibt es – vom Kindergarten bis zum Krankenhaus – Hygienevorschriften bzw. einen gesetzlichen Rahmen, beispielsweise das Epidemiegesetz um das Risiko zu minimieren.

Und so ist das Problem zu lösen …

Welche Gegenmaßnahmen soll man nun den sinkenden Impfraten, dramatisch steigenden Krankheitsfällen bzw. dem damit verbundenen Risikoanstieg in Gemeinschaftseinrichtungen entgegenstellen?

NEOS Wien ging diese Woche mit folgendem Vorschlag an die Öffentlichkeit: „Wer für sein Kind einen Platz in einem öffentlichen Kindergarten oder einer öffentlichen Schule will, muss die empfohlenen Impfungen nachweisen können.“ so Beate Meinl-Reisinger 

Hierbei handelt es sich um keine generelle Impfpflicht. Wer sein Kind nicht impfen lassen möchte, hat mit privaten Bildungseinrichtungen ausreichend Wahlmöglichkeiten. Gleichzeitig wird mit diesem Vorschlag gewährleistet, dass die öffentliche Hand ihre Verantwortung zur Minimierung des Infektionsrisikos in öffentlichen Gemeinschaftseinrichtungen, in diesem Fall in Kindergärten und Schulen, wahrnimmt. Wie es bei diesem Thema mittlerweile üblich ist, wurde dieser Vorschlag intensiv diskutiert und kritisiert. Neben der allgemeinen Kritik von Verschwörungstheoretiker_innen und Impfgegner_innen, werden zwei Argumente sehr häufig gebracht:

  1. „Zu starker Eingriff in die individuelle Freiheit“

Hier verweise ich auf die oben eingebrachten Argumente. Impfen ist keine rein individuelle Entscheidung, da die eigene Entscheidung einen erheblichen Einfluss auf andere (Kinder) hat. Frei nach Kant: „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“. Freiheit geht nicht ohne Verantwortung. Never.

  1. „Das Impfverhalten sollte an finanzielle Maßnahmen (z.B. einer Kürzung der Familienbeihilfe) gekoppelt werden“

Die Grundidee hier ist, dass mittels finanziellen Incentives das individuelle Verhalten beeinflusst werden kann. Abgesehen davon, dass viele Leistungen einen komplett anderen Zweck erfüllen sollen (bei der Familienbeihilfe ist dies z.B. der Ausgleich von Lasten zwischen unterhaltspflichtigen Eltern und Personen ohne Unterhaltspflichten), gibt es ein viel schwerwiegenderes Problem. Die unausgesprochene Grundannahme hinter derartigen Vorschlägen ist, dass sich Menschen rational verhalten. Sprich: eine Kürzung der finanziellen Leistungen soll dazu führen, dass ich mein Kind impfen lasse. Problem an der Sache: Menschen verhalten sich oft nicht rational. 2002 bekam Daniel Kahnemann den Wirtschaftsnobelpreis dafür, dass er anhand vieler ökonomischer Experimente zeigte, warum wir uns sehr oft nicht rational verhalten, selbst wenn wir dies wollen. Dies gilt auch ganz konkret für das Thema Impfen. Studien (z.B. diese) zeigen, dass Menschen die sich (oder ihre Kinder) nicht impfen lassen, nicht nach rationalen Maßstäben handeln.

Beide Argumente weisen eine große Gemeinsamkeit auf: sie stellen ideologische Argumente in den Vordergrund (zum Beispiel ein verzerrtes Bild von „Freiheit“, „gefühlte Zwänge“ oder „Rationalität“). Dies ist jedoch insbesondere bei Gesundheitsthemen fehl am Platz.

Und es funktioniert ….

Die NEOS Idee wurde schon konkret in einem nicht ganz irrelevanten Land umgesetzt:  im „Land of Freedom“, der USA. Dort müssen alle Kinder, die in eine öffentliche Schule/Kindergarten gehen, eine Impfbestätigung nachweisen. Dies führt beispielsweise in Kindergärten (unabhängig ob öffentlich oder privat) zu Impfraten von 95 bis 99% bzw. dazu, dass Masern in den USA de facto als ausgerottet gelten.

Zum Vergleich: Im Jänner dieses Jahres wurden in den USA 23 Fälle von Masern gemeldet (und das bei einer Bevölkerung von 318 Mio. Einwohnern). Österreich (mit seinen  8,7 Mio. Einwohnern) meldete 32 Fälle.

Dieser Vorschlag von NEOS Wien zeigt deutlich, wie wir ticken: NEOS arbeiten evidenzbasiert, indem wir uns an wissenschaftlichen Erkenntnissen und erfolgreichen Lösungen aus der Praxis (diesmal die USA) orientieren, während viele – wieder einmal – Ideologien in den Vordergrund rücken. So muss Bildungs- und Gesundheitspolitik im 21. Jahrhundert!

Die in dem Beitrag formulierten Inhalte entsprechen der Privatmeinung des Autors und nicht notwendigerweise der Positionierung des NEOS Lab.

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