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Taiwan-Wahlen als Auftakt zum Superwahljahr 2024

Silvia Nadjivan
Silvia Nadjivan

Mit den Wahlen in Bangladesch, Bhutan und nun in Taiwan hat das Superwahljahr 2024 seinen Auftakt genommen. Mehr als 4 Milliarden Menschen sind heuer in 76 Ländern weltweit aufgerufen, zu den Urnen zu gehen. Nicht umsonst bezeichnet der Economist 2024 sogar als das größte Wahljahr der Geschichte.

So imposant die Tatsache ist, dass ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung heuer wählen wird, so beunruhigend ist der mögliche Wahlausgang bei jeder einzelnen Wahl. Schließlich werden sich die Wahlberechtigten nicht nur zwischen verschiedenen Parteien und Präsident:innen entscheiden, sondern auch die politischen Systeme der Zukunft bestimmen. Für Erleichterung hat daher letztes Wochenende der Wahlsieg des Präsidentschaftskandidaten William Lai in Taiwan geführt. Mit Lai stellt die China-kritische Demokratische Fortschrittspartei DPP erstmals zum dritten Mal in Folge den Präsidenten. Seit den zeitgleich stattgefundenen Parlamentswahlen ist die Stimmung umgekehrt getrübt, weil China-freundliche Oppositionsparteien Stimmengewinne gemacht haben und umgekehrt die bisherige Regierungspartei DPP ihre absolute Mehrheit verloren hat. Die Koalitionsverhandlungen und zukünftige Regierungsarbeit werden angesichts Chinas Großmachtinteressen und dessen Handlanger in Taiwan härter als bisher verlaufen. Auch weltweit wird sich, abhängig davon, ob pluralistische oder – wie vielerorts befürchtet – autokratische Systeme die Mehrheit gewinnen werden, mit den jeweiligen internationalen Verbündeten die globale Ordnung (neu) formieren. Die internationalen Demokratie-Rankings von Freedom House und V-Dem erlauben im aktuellen Superwahljahr wenig Optimismus.

Präsidentschaftswahlen im Krieg

Im März wird sich der russische Präsident Wladimir Putin nach einer völlig ausgelöschten Opposition de facto konkurrenzlos der Wiederwahl stellen. Sein Wahlsieg gilt als unvermeidbar. Auch in der von Russland angegriffenen Ukraine sollte heuer – und das nach mehr als zwei Jahren Krieg – das Präsidentenamt neu gewählt werden. Zusätzliche hybride und konventionelle Attacken des Kremls in der Vorwahlzeit sind nicht auszuschließen. Das vor dem Hintergrund unzähliger Toter, enormer Schäden an der Infrastruktur und unvorstellbarer Fluchtbewegungen. Die Zahl der Binnenflüchtlinge wird auf etwa 3,7 Millionen Menschen geschätzt. Jene, die das Land vor allem in Richtung EU verlassen haben, auf 6,3 Millionen. Die meisten sind in Polen geblieben. Angesichts des vielschichtigen Ausnahmezustands bleibt vorerst unklar, ob heuer überhaupt gewählt wird. Im Gegensatz dazu stehen unter undemokratischen Voraussetzungen in Nordkorea und Belarus schon jetzt die jeweiligen Wahlsieger fest: die jeweiligen autokratischen Machteliten.

Europa auf dem Scheideweg

Und in der EU geht es bei den Parlamentswahlen von 6. bis 9. Juni 2024 um die Frage, in welchem Europa wir in Zukunft zusammenleben möchten. Wird es ein geeintes liberal-demokratisches und den aktuellen Anforderungen entsprechend reformiertes sein? Oder wird es ein in populistische Partikularinteressen zerstückeltes sein, ohne aktive geopolitische und geoökonomische Relevanz? Nahezu zeitgleich werden in der bevölkerungsreichsten Demokratie Indien eine Milliarde Menschen zwischen Mai und Juni das neue Parlament wählen können, was erwartungsgemäß ebenfalls weitreichende Auswirkungen auf geopolitische und geoökonomische Entwicklungen nehmen wird. Schließlich geht es auch in Indien darum, sich gegen seinen ungeliebten Nachbarn China und die USA neu aufzustellen.

Risikofaktor Donald Trump

Die Neupositionierung wird auch hinsichtlich des zukünftigen Verhältnisses zu den USA schlagend. Denn im November werden der Präsident, das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats gewählt. Mit Donald Trump an der Staatsspitze würden die USA als wichtiger Verbündeter der Ukraine voraussichtlich wegfallen. Europa müsste ohne den wesentlichen NATO-Partner verstärkt auf eine eigene Sicherheits- und Verteidigungspolitik setzen, während im Nahen Osten weitere Eskalationsstufen zu befürchten wären, ganz zu schweigen vom aktuellen Krieg Israels gegen die Hamas mit den schrecklichen Folgen für die Zivilbevölkerung auf allen Seiten. Zu guter Letzt könnten sich die Spannungen im Indopazifik zusätzlich verschärfen.

Was bleibt zu tun? Eigentlich alles, was im eigenen Aktionsradius möglich ist: quellenkritisch soziale Medien nutzen, partizipative Demokratie leben und letztlich auch wählen gehen. In Österreich warten auch noch die Nationalratswahlen im Herbst, wo auch das Motto gilt: Keine Toleranz den Intoleranten!

(Bild: jxfzsy/iStock)

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