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Kerns Wahlrechtsvorschläge: In Summe ein klares Nicht genügend und nur heiße Luft

Dieter Feierabend
Dieter Feierabend

In einer vielbeachteten Rede hat Bundeskanzler Christian Kern gestern (11.1.) in Wels mit einer Grundsatzrede seinen „Plan A“ vorgestellt, laut Eigendefinition ein „Programm für Wohlstand, Sicherheit & gute Laune“. Hierbei finden sich auf Seite 137 auch Vorschläge zu einer Wahlrechtsänderung. Diese beinhalten folgende Maßnahmen:

  • Die stimmenstärkste Partei erhält den Regierungsbildungsauftrag und stellt den/die Bundeskanzler_in
  • Mitglieder der Bundesregierung (Exekutive) sind bei Abstimmungen des Nationalrats stimmberechtigt
  • Die Bundesregierung muss einen Monat nach der Wahl „die Arbeit aufnehmen“

In Summe gesehen sind es 4 große Anmerkungen, die aus meiner Sicht die Wahlrechtsvorschläge als problematisch erscheinen lassen:

  1. Ein bedenklicher Zugang zu Wahlen „Sieger/Verlierer, Wählerwille“
  2. Die Verknüpfung von politischer Kultur mit dem Wahlrecht
  3. Die Vorstellung das es ein Wahlsystem gäbe das nur Vorteile, aber keine Nachteile hätte
  4. Die Idee das sich ein Wahlrecht nur auf das Abstimmungsverhalten bzw. die Funktionalität des Parlaments auswirken würde

Bevor auf diese Punkte näher eingegangen werden soll ein paar grundsätzliche Anmerkungen:

Es gibt kein ideales Wahlrecht. Jedes Wahlrecht hat Vor- UND Nachteile, es gilt diese abzuwägen bei der Auswahl eines Wahlsystems. Insgesamt müssen bei der Auswahl eines Wahlsystems folgende Punkte berücksichtigt werden:

  • Repräsentation (kann auf verschiedenen Indikatoren basieren: Geographisch, Bevölkerungsgruppen, Meinungen/Ideen, etc.)
  • Konzentration  – Aus der Summe der wahlberechtigten Bevölkerung wird eine gewisse Anzahl an Personen bzw. Parteien gewählt
  • Partizipation – Beteiligungschancen der Bürger_innen bzw. Möglichkeit die eigenen Präferenzen in einem Parlament abgebildet zu sehen
  • Einfachheit – Bürger_innen müssen verstehen welche Konsequenzen ihre Stimmabgabe hat und wie aus Stimmen Mandate werden
  • Legitimität – Das Wahlsystem und seine Ergebnisse müssen allgemein akzeptiert werden.

Jeder der genannten Punkte ist zwar für sich in bestmöglicher Weise realisierbar, jedoch können in keinem Wahlsystem alle Anforderungen gleichzeitig bestmöglich erfüllt werden. Daher gilt es zu entscheiden welche Punkte einem besonders wichtig sind bzw. mit welchen Nachteilen eines Wahlsystems man noch am ehesten leben kann.

Nun zu Kern:

Ad 1) Am bedenklichsten ist wahrscheinlich der grundsätzliche Zugang zu Wahlen. Der Erste ist der „Gewinner“ und hat eine höhere Legitimation als alle „Verlierer“. In Zusammenhang mit dem schwammigen Begriff „Wählerwille“ wirkt sehr problematisch. „Den Wählerwillen“ gibt es nämlich nicht. Jede_r Bürger_in hat ein bestimmtes Set an Wertevorstellungen, Präferenzen und Gewichtungen wie relevant diverse Themen sind. Ein Wahlsystem „formt“ diese Präferenzen und macht daraus Parlamentssitze bzw. wählt Personen für Exekutivfunktionen aus. Je nach Wahlsystem sieht demnach der „Wählerwille“ ganz anders aus. Beispiel US-Wahl: Hillary Rodham Clinton hat mehr Stimmen bekommen als Donald Trump. Bedingt durch das Wahlsystem wurde Trump Präsident, bei einem reinen Verhältniswahlrecht hätten wir die erste weibliche US-Präsidentin bekommen. Was ist nun der Wählerwille? Trump? Clinton?

Mit diesem sehr bedenklichen Zugang zum Thema Wahlen lassen sich auch autoritäre Policies durchsetzen, nicht ohne Grund versteifen sich autoritäre Machthaber auf den „Willen der Bevölkerung“.

Ad2) Unser derzeitiges Setting hindert niemanden daran die Anzahl an Ministerien zu reduzieren, die Koalitionsverhandlungen zu verkürzen bzw. Oppositionsparteien in die Gesetzgebung einzubinden. Siehe Skandinavien. In Norwegen beispielsweise ist es Usus, das Gesetzesvorschläge der Opposition von den Regierenden aufgenommen werden. Oder Schweden: dort regiert eine Minderheitsregierung (wieder einmal), die sich ihre Mehrheiten suchen muss. Es geht also auch ohne Änderung des Wahlrechts bzw. gibt es kein Wahlrecht das „bessere“ oder „verantwortungsvollere“ Politiker_innen produziert. Die Idee das die politische Kultur (z.B. Einbindung von Oppositionsparteien, Ignoranz gegenüber Andersdenkenden) sich durch ein Wahlrecht ändern ließen, wird zwar oft genannt, ist jedoch grundfalsch.

Ad3) Hier wird der Bevölkerung Sand in die Augen gestreut. Nehmen wir als Fallbeispiel die Idee das die stärkste Partei auch den Bundeskanzler stellt. Entweder kann dieser dann vom Parlament nicht abgewählt werden (dies wäre SEHR bedenklich, da quasi ein Freibrief gegeben würde) oder eine Partei hat einfach einen fixen Anspruch auf den Posten und wenn eine Person abgelehnt wird dann kann diese Partei eine andere Person nominieren. Dies kann u.a. zu Problemen führen wenn Personen vorgeschlagen werden, die schlichtweg für die Mehrheit der Abgeordneten nicht tragbar sind. Berlin hat auf Bezirksebene (Bezirksverordnetenversammlung – BVV) ein solches System und dort sind beispielsweise in bestimmten Bezirken Posten der Exekutive durch die AfD zu besetzen. Im Bezirk Pankow hat die AfD aber jemand völlig jenseitigen aufgestellt und insgesamt 6 Wahlgänge sind schon gescheitert. Das dies kein Phänomen von (Rechts-)populisten, sondern ein spezifischer Nachteil des gewählten Systems ist, zeigt die BVV Reinickendorf. Dort ist ein SPD Politiker bei der Wahl zum Stadtrat gescheitert.

Ad4) Ein  Wahlsystem beeinflusst

  • das Verhalten der Bevölkerung
  • die Anzahl an und das Verhalten der Parteien
  • die Art wie in Parlamenten Beschlüsse gefasst werden bzw. das Verhalten von gewählten Abgeordneten

 

Dies wird in den SPÖ Vorschlägen nur mangelhaft abgebildet. Was bedeutet beispielsweise die Idee das Mitglieder der Bundesregierung „auch ihre Aufgabe im Nationalrat wahrnehmen“? Müssen Minister_innen aus gewählten Abgeordneten ausgewählt werden? Bekommt eine Partei zusätzliche Sitze wenn ein_e Minister_in nicht in den Nationalrat gewählt wurde? In diesem Fall würde ich beispielsweise als Regierungsmitglieder nur Personen auswählen die nicht dem Nationalrat angehören, damit ich die Anzahl an Mandaten für meine Partei schön erhöhen kann.

In Summe ein klares Nicht genügend und nur heiße Luft. Fast alles von dem, was Kern will, können wir auch schon jetzt, allein es fehlt der Wille.

Wer etwas wissenschaftlichere Literatur bevorzugt, hier ein Lesetipp: Electoral Systems

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