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Freiheit gibt es nicht geschenkt

Ein Gast-Blogbeitrag von Ulrich Mayer

Wie soll der Westen mit ihn bedrohenden politischen Ideologien und kulturellen Einflüssen umgehen? Eine gewichtige Frage, mit der sich Carlo Strenger, schweizerisch-israelischer Professor für Psychologie und Philosophie in seinem letzten Buch „Zivilisierte Verachtung“, auseinandersetzte. In seinem neuen Werk „Abenteuer Freiheit – Ein Wegweiser für unsichere Zeiten“ nimmt er sich den westlichen Kulturkreis und seine Bürger_innen selbst vor – und spart dabei nicht an Kritik, wie das kostbare Gut „Freiheit“ von diesen leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird.

Rund um drei zentrale Thesen entwickelt Strenger dabei einen kurzweiligen Essay, in dem er beschreibt, warum die Freiheit für ihre Anhänger und Verfechter weder auf der Erde noch im Himmel ein Paradies bereithält und warum sie dennoch (oder gerade deshalb) die menschenwürdigste Lebensform ist, die wir bisher gefunden haben:

1. Die Freiheit im Westen ist aufgrund des mangelnden politischen und gesellschaftlichen Engagements seiner Bürger_innen bedroht

Strenger sieht die Freiheit in den westlichen Demokratien deshalb gefährdet, weil die Bürger_innen diese mittlerweile als „gottgegeben“ und selbstverständlich ansehen – obwohl sie eben genau das nicht ist. Mitbestimmung und Demokratie wurden über Jahrhunderte hinweg von, im wahrsten Sinne des Wortes, Freiheitskämpfer_innen mühsam den politischen und religiösen Autoritäten abgerungen oder forderten in Kriegen mit totalitären politischen Systemen unzählige Menschenleben.

Einmal erkämpft, dürfen wir als Nachkommen uns aber nicht zurücklehnen und die Hände in den Schoß legen. Freiheit und Demokratie müssen stets neu gewonnen werden. Wir alle sind dazu aufgefordert, an unserer politischen und gesellschaftlichen Freiheit mitzuarbeiten.

2. Die Freiheit bietet keine Rettung, außer sich selbst

Im Gegensatz zu Religionen und „politischen Religionen“ (vgl. Eric Voegelin) wie dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus, bietet die Freiheit keine spirituelle Erlösung und kein politisches Endziel. Sie lässt uns mit unseren existenzielle Ängsten und Sorgen ziemlich allein. Im Gegenzug folgert Strenger, sei die Furcht vor der Freiheit „die tiefste Motivation für unmenschliche Handlungen“.

Als spirituellen Ersatz weist er auf die philosophische Strömungen der Stoiker und Epikureer im Altertum, sowie des Modernismus und des Existenzialismus in der Neuzeit hin. Strenger argumentiert, dass wir uns von der utopischen Vorstellung verabschieden müssen, dass es dauerhaftes Glück für alle geben kann (Stichwort: „Her mit dem schönen Leben!“). Stattdessen ist ein „mehr an seelischer Freiheit“ nur dann möglich, wenn wir unsere endliche Existenz und den beschränkten Einfluss auf unser Lebensglück akzeptieren. Letztendlich ist das „existenzielle Unbeschützt-sein“ aber der geistige Preis der Freiheit.

3. Der Liberalismus hat keine „final solution“

Im Liberalismus gibt es keine endgültigen Wahrheiten und schon gar keine „final solutions“ (vgl. Isaiah Berlin). Er lebt vom Pluralismus und vom Austausch der Meinungen, „von seiner Offenheit für Kritik und dem Willen, sich immer wieder von der empirischen Realität korrigieren zulassen – ein Idealzustand, den Karl Popper als ‚offene Gesellschaft‘ bezeichnet hat.“

Joseph Schumpeter bringt es wohl am besten auf den Punkt, wenn er sagt: „Die relative Gültigkeit der eigenen Überzeugungen zu erkennen und dennoch entschlossen für sie einzutreten, das ist es, was einen zivilisierten Menschen von einem Barbaren unterscheidet.“

Conclusio: Der Freiheit anderer Name heißt Verantwortung
Der Abenteuer verheißende Buchtitel spart die mühsame Seite der Medaille „Freiheit“ noch aus. Im Inneren wird aber hauptsächlich die beständige persönliche „Aufgabe Freiheit“ und die damit verbundene Arbeit an sich selbst und der liberal-demokratischen Gesellschaft betont.

Einen genauen „Wegweiser für unsichere Zeiten“, wie der Untertitel suggeriert, bleibt Strenger aber meiner Meinung nach schuldig. Er gibt keine konkreten Handlungen oder Maßnahmen aus, die die Bürger_innen der westlichen Demokratien beherzigen sollten. Es scheint ihm eher um die Beschreibung einer freiheitlichen Lebenseinstellung zu gehen, als um eine To-do-Liste, die man Schritt für Schritt abarbeiten könnte. Einerseits bleibt das Buch also an einer philosophisch-theoretischen Oberfläche – andererseits lässt Strenger es uns offen, wie wir persönlich an die Sache herangehen sollen.

Mit dem „Abenteuer Freiheit“ will Strenger Lust auf ein selbstbestimmtes Leben machen, aber auch warnen: Das „Ende der Geschichte“ (vgl. Francis Fukuyamas) ist noch lange nicht erreicht.
Und es hängt von uns ab, auch den kommenden Generationen ein Leben in politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Freiheit zu ermöglichen.

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