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Anti-Teuerungsmaßnahmen: Zu früh, zu viel, zu wenig treffsicher

Lukas Sustala
Lukas Sustala

Eine neue Analyse für das Neos Lab zeigt, dass die wenig zielgerichteten Hilfsmaßnahmen der Regierung im heurigen Jahr den Namen Gießkanne verdienen. Teilweise wurde überkompensiert, dadurch wurde die Inflation zusätzlich befeuert und Anreize, den Energieverbrauch zu senken, wurden konterkariert. Im voraussichtlichen Rezessionsjahr 2023 wird es daher umso wichtiger sein, Steuergelder effizient einzusetzen, um einerseits gezielt Energiearmut zu vermeiden, andererseits nicht neuerlich die Inflation von staatlicher Seite anzukurbeln. Von Günther Oswald und Lukas Sustala.

Foto: Pixabay via Pexels.

Es war ein wahrer Fleckerlteppich an Hilfsmaßnahmen, den die Regierung in den letzten Monaten gegen die Teuerung beschlossen hat. Mehr als 20 Einzelmaßnahmen listet der Budgetdienst in seinen Analysen auf. Im Nationalrat wurden mittlerweile alle Beschlüsse gefasst, die letzten mit dem Budget 2023 Mitte November.

Zeit, sich die Wirkung näher anzusehen. Das Neos Lab hat daher den Umweltökonomen Kurt Kratena mit einer umfassenden Analyse beauftragt. Ziel war es, auszuwerten, welche Effekte sich für die Volkswirtschaft und die Umwelt ergeben und wie diese zusammenspielen.

Welche Szenarien gerechnet wurden

Da das wirtschaftliche Umfeld noch immer von großer Unsicherheit geprägt ist, mussten natürlich einige Annahmen getroffen werden. Konkret wurden für die Preise von Gas und Strom zwei Szenarien gerechnet:

  • Im Niedrigpreisszenario steigen die Gaspreise von heuer knapp 75 Euro pro Megawattstunde auf rund 115 Euro im kommenden Jahr. Die Strompreise der Haushalte steigen von heuer knapp 100 Euro/MWh auf rund 250 Euro im Jahr 2023 (für die Industrie auf knapp 300 Euro). Danach stabilisieren sich die Preise und sinken ab 2025 wieder ab.
  • Im Hochpreisszenario, das an eine Studie von EcoAustria angelehnt ist, kommt es 2023 noch zu massiven Preissteigerungen (auf 160 Euro je MWh bei Naturgas und gut 400 Euro je MWh bei Strom). Auch 2024 sind die Preise in diesem Szenario noch etwas höher, ehe sie dann signifikant zurückgehen.

Welche Teuerungsmaßnahmen berücksichtigt wurden

Ergänzend dazu wurden im makroökonomischen Input-Output-Modell des CESAR-Instituts alle auf Bundesebene beschlossenen Steuererleichterungen, Transferleistungen und Preisdeckelungen berücksichtigt.

Auf steuerlicher Ebene ist das vor allem die Abschaffung der kalten Progression sowie die Senkung des FLAF-Beitrags. Diese Kosten liegen nächstes Jahr bei 1,8 Milliarden Euro und steigen auf 7,8 Milliarden Euro bis 2026.

Dazu kommen Transferleistungen wie die Valorisierung von Sozialleistungen (z.B. Familienbeihilfe), höhere Pendlerförderungen, die Erhöhung des Klimabonus, das Aussetzen der Ökostrom-Pauschale oder die Reduktion der Energieabgaben. Die Kosten für Transferleistungen lagen heuer am höchsten (bei rund 7,9 Milliarden Euro) und sinken danach ab. Die Strompreisbremse schlägt 2023 mit 2,7 Milliarden Euro zu Buche und 2024 mit 1,1 Milliarden Euro.

Diese Grafik zeigt, wie sich die einzelnen Komponenten der Entlastungsmaßnahmen über den Zeitraum 2022 bis 2026 verteilen.

Ergebnisse im Niedrigpreisszenario

Zunächst ein Blick auf die Ergebnisse im Niedrigpreisszenario.

1. Auswirkungen auf die Einkommen

Auf Haushaltsebene zeigt sich folgendes Bild: Ohne Teuerungsmaßnahmen wäre es heuer zu einem Realeinkommensverlust von ca. 2,2 Prozent gekommen. Durch die Maßnahmen steigen die Realeinkommen um 1 Prozent, sie überkompensieren den Verlust also sogar.

Ungleich ist allerdings die Verteilung: In der unteren Einkommenshälfte kommt es nur im ersten Dezil zu einem Einkommensplus, die Dezile zwei bis fünf verzeichnen trotz staatlicher Hilfen Einkommensverluste. Für die obere Einkommenshälfte, deren Realeinkommen auch ohne Hilfen nur geringfügig sinken oder sogar leicht steigen würden, bewirken die Maßnahmen einen noch höheren Anstieg des Einkommens. In diesem Bereich werden also keine Einkommensverluste kompensiert, sondern schon bestehende Einkommenssteigerungen weiter erhöht.

Im kommenden Jahr zeigt sich dann ein gegenteiliges Bild. Die Realeinkommen aller Einkommensgruppen sinken aufgrund weiter steigender Energiepreise. Die Anti-Teuerungsmaßnahmen können die weiteren Energiepreissteigerungen also nicht ausgleichen. Vor allem im untersten Einkommensbereich ist diese Verschlechterung der Einkommenssituation im Jahr 2023 ausgeprägt.

2. Makroökonomische Folgen

Die makroökonomische Betrachtung zeigt, dass der starke Geldmitteleinsatz im heurigen Jahr die ohnehin vergleichsweise gute Konjunktur zusätzlich ankurbelt. Wegen der anhaltenden Nachholeffekte nach der Covid-Pandemie wäre das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auch im Szenario ohne Anti-Teuerungsmaßnahmen um 4,4 Prozent gewachsen. Durch die Maßnahmen steigt das BIP-Wachstum gemäß der Simulation auf 5,1 Prozent. Der private Konsum legt durch die staatlichen Hilfsmaßnahmen um fast zehn Prozent zu (statt 8,1 Prozent im Szenario ohne Maßnahmen). Auch die Investitionstätigkeit der Unternehmen fällt durch die Maßnahmen etwas höher aus (4,5 statt 4,3 Prozent).

Die Anti-Teuerungsmaßnahmen erhöhen also im heurigen Jahr die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stark und erzeugen somit weiteren Inflationsdruck. Nicht zuletzt wegen der beschriebenen realen Einkommensverluste im kommenden Jahr leidet der private Konsum (minus 0,7 Prozent) dann aber 2023. Die größeren Rückgänge im Szenario mit Anti-Teuerungsmaßnahmen sind wieder auf den Niveaueffekt (größeres Plus 2022) zurückzuführen. Das BIP wird gemäß den Berechnungen um 0,8 Prozent sinken. Die Simulation geht also von einer moderaten Rezession aus.

3. Ökologische Folgen

Auch bei geringen Preiselastizitäten, wie sie im hier verwendeten Modell integriert sind, führen derart massive Preiserhöhungen, wie sie in 2022/23 bei Gas und Strom zu beobachten sind, zu entsprechenden Nachfragereaktionen und somit zu einer signifikanten Reduktion des Energieverbrauches. 2022 ist diese noch hauptsächlich auf Preiseffekte zurückzuführen, 2023 wird sie auch durch die Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivität beeinflusst. Insgesamt ist heuer mit einem Rückgang des Energieverbrauchs um rund zehn Prozent zu rechnen. Für 2023 ergibt die Analyse einen weiteren Rückgang um 7,2 Prozent. Bei Gas sinkt der Verbrauch heuer um 17,3 Prozent. Das starke Plus bei Petroleum (plus 32,2 Prozent) ist auf die Normalisierung des Flugverkehrs nach der Pandemie zurückzuführen.

Die Reaktionen in der Energienachfrage führen zu entsprechenden Reduktionen der CO2-Emissionen von knapp 7 Prozent im heurigen Jahr und nicht ganz 6 Prozent im Jahr 2023. Dabei zeigt sich, dass jene Wirtschaftszweige, die stark von Gas abhängig sind, die Emissionen teils um ca. ein Viertel (Papier und Pappe, Steine und Erden (=Glas)), teils in nur geringem Ausmaß (Chemie: minus 6,9 Prozent, Eisen und Stahl: minus 11,7 Prozent) reduzieren. Im Verkehrsbereich, in der Stromerzeugung und in den Haushalten sinken die Emissionen aufgrund der schwachen wirtschaftlichen Aktivität und als Folge allgemeiner Trends (Heizungstausch, E-Autos). Die kurzfristigen Nachfrageelastizitäten für die privaten Haushalte sind im Modell allerdings extrem niedrig.

Ergebnisse im Hochpreisszenario

Im Hochpreisszenario gibt es folgende Ergebnisse:

1. Auswirkungen auf die Einkommen

Ein weiterer massiver Anstieg der Energiepreise im kommenden Jahr, wie er im Hochpreisszenario angenommen wird, würde die Haushaltseinkommen 2023 deutlich stärker sinken lassen als im Niedrigpreisszenario. Die Einbußen wären in etwa doppelt so hoch (minus 8 Prozent statt minus 4 Prozent). Vor allem in den unteren Dezilen wären die negativen Effekte besonders stark (minus 13 bis minus 14 Prozent im untersten Einkommensdrittel). Die Anti-Teuerungsmaßnahmen kompensieren in diesem Szenario also nur einen kleineren Teil der von den Preissteigerungen verursachten Realeinkommenseffekte.

2. Makroökonomische Folgen

Die Folge: Der private Konsum wird wesentlich stärker gedämpft, es kommt im Hochpreisszenario im kommenden Jahr zu einer stärkeren Rezession mit einem BIP-Rückgang von 1,8 Prozent und einem Rückgang der Beschäftigung von 2,4 Prozent (im Niedrigpreisszenario minus 1,0 Prozent). Die höheren Energiepreise stimulieren die Nachfrage nach Kapital und Nicht-Energie-Vorleistungen, wodurch es zu vermehrtem Outsourcing und höheren Investitionen kommt.

3. Ökologische Folgen

Der Energieverbrauch, speziell der von Gas und Strom, wird durch die höheren Preise weiter gedämpft. Insgesamt geht er im Jahr 2023 um 9,7 Prozent zurück (im Niedrigpreisszenario waren es 7,2 Prozent). Der Rückgang bei Elektrizität und Gas fällt um rund 5 Prozentpunkte stärker aus als im Niedrigpreisszenario.

Der Verbrauchsrückgang fällt bei den Haushalten wesentlich schwächer aus als die Industrie. Die gasintensive Industrie (Papier und Pappe, Chemie, Eisen und Stahl), die den Einsatz von Gas in der Produktion nur schwer verringern oder durch andere Energieträger substituieren kann, reduziert den Verbrauch und damit auch die CO2-Emissionen nur mehr in geringerem Ausmaß als andere, nicht so energieintensive Branchen. Insgesamt werden die CO2-Emissionen gegenüber dem Niedrigpreisszenario um weitere 1,2 Prozent (minus 7,0 statt minus 5,8 Prozent) verringert.

Schlussfolgerungen

  • Für das Jahr 2022 bestätigt sich die Kritik vieler Ökonomen und Ökonominnen. Da zahlreiche Hilfsinstrumenten nach dem Gießkannenprinzip verteilt wurden, kommt es teilweise zu einer Überkompensation der Kosten, die durch die gestiegenen Energiepreise entstehen. Dadurch wurde und wird die Inflation mit Steuergeld zusätzlich befeuert. In den Dezilen zwei bis fünf, die wesentlich stärker unter der Krise leiden, kommt es trotz der stärksten Kompensation zu einem realen Verlust bei den Haushaltseinkommen.
  • Treffsicher wäre es also gewesen, bei den Hilfsinstrumenten stärker auf die tatsächliche Betroffenheit abzustellen. Haushalte sind, je nach Heizsystem, Wohnsituation und Einkommen extrem unterschiedlich von der Teuerung betroffen. Das wurde von der Regierung weitgehend ignoriert.
  • Auf politischer Ebene wäre es daher wichtig, die sachliche Kritik von Fachleuten aufzunehmen. Zuletzt hatte auch die EU-Kommission kritisiert, die österreichischen Hilfsmaßnahmen seien "nicht zielgerichtet". Angesichts der Belastungen für das Budget und des hohen Schuldenstandes wäre es aus Brüsseler Sicht geboten, Antiteuerungs-Maßnahmen besser auf die am stärksten gefährdeten Haushalte und Unternehmen auszurichten, auch um Anreize zur Verringerung der Energienachfrage zu erhalten. Der IWF hatte in seinem jüngsten Länderbericht ebenfalls deponiert, die bisherigen Geldleistungen zur Inflationsbekämpfung seien "großzügig und nicht zielgerichtet" und könnten die Teuerung zusätzlich befeuern. Es braucht jedenfalls endlich eine effiziente Verwendung der öffentlichen Mittel statt immer neue „Gießkannen“.
  • Vor allem im kommenden Jahr, im dem die Wirtschaft laut Szenariorechnung in eine Rezession schlittern dürfte, wird es daher einen gezielteren Mitteleinsatz als bisher brauchen, um die Inflation nicht noch weiter von staatlicher Seite anzuheizen. Wenn es zu einer weiteren Verschärfung der Energiekrise kommt, sollten Hilfsinstrumente auf betroffene Haushalte fokussiert sein. Ziel muss es sein, gerade ärmere Haushalte vor Energiearmut zu schützen. Dort, wo das möglich ist, sollten aber auch Anreize zur Verringerung der Energienachfrage wirken können. Zu befürchten ist allerdings, dass die Regierung nichts aus den bisherigen Fehlern lernt und weiter Helikopter-Geld verteilt. Im Budget sind Überschreitungsermächtigungen von 6,5 Milliarden Euro für den Energiebereich vorgesehen. Drei Milliarden Euro für etwaige Mehrauszahlungen beim Stromkostenzuschuss, 2,5 Milliarden für Maßnahmen zur Sicherstellung der Energieversorgung, eine Milliarde für einen aufgestockten Energiekostenzuschuss für Unternehmen.
  • Die Bundesregierung sollte jede Maßnahme besser auf europäischer Ebene akkordieren, damit es nicht zu einem schädlichen Subventionswettlauf kommt.
  • Die vielen Milliarden Euro an Mehrkosten durch gestiegene Gas- und Ölpreise müssen ein Weckruf sein, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu forcieren. Der Staat sollte nicht die Bremse für den Ausbau sein, sondern soll bürokratische Hürden abbauen, entsprechende Flächen bereitstellen und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Die Bundesländer müssen in die Pflicht genommen werden.
  • Die aktuelle Schätzung zeigt auch, dass die Warnungen vor einer tiefen Depression übertrieben waren. Viele Unternehmen haben sich in den vergangenen Monaten rasch auf die gestiegenen Preise eingestellt, ohne die Produktion signifikant zu drosseln. Das Potenzial dieser kurzfristigen unternehmerischen Anpassungen ist aber zunehmend erschöpft. Die Politik sollte die unternehmerische Vorleistung bei der Anpassung an die hohen Energiepreise durch ein klares Commitment für die Transformation unterstützen, statt weiter auf immer mehr Konservierung der Preise und Wirtschaftsstrukturen zu setzen. Das heißt auch, das Steuersystem strukturell umzubauen, also den Faktor Arbeit zu entlasten, um so den Standort wettbewerbsfähiger zu machen.

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