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Präsidentschaftswahlen in Frankreich – welche Rolle hat der Präsident und wie funktioniert das politische System in Frankreich?

Dieter Feierabend
Dieter Feierabend

Brexit, Trump, Le Pen? Diese Frage stellen sich nicht nur Französ_innen dieser Tage, insbesondere da diedeutsch-französische Achse ein wesentlicher Motor für das Funktionieren der Europäischen Union ist. Mit 66 Mio. Einwohner_innen sind Wahlen in der (derzeit) drittgrößten Volkswirtschaft in der EU auch aus europäischer Perspektive aus Interesse. Über die Kandidat_innen, Skandale und mögliche Auswirkungen der Wahl wird medial viel berichtet und diskutiert. Wussten Sie jedoch, dass der französische Präsident weder dem Parlament, noch der Verfassungsgerichtsbarkeit verantwortlich ist? Dass die starke außenpolitische Rolle sich nicht aus der Verfassung ergibt, sondern anhand der politischen Praxis in der 5. Republik? Oder das die Französ_innen bis 18.6. insgesamt bis zu 4x an die Wahlurnen schreiten werden?

In zwei Teilen widmet sich dieser Blog dem politischen System Frankreichs: Angesichts des ersten Wahlgangs der Präsidentschaftswahlen kommenden Sonntag ( 23.4.) widmet sich der erste Teil den Charakteristika des Politischen Systems, den Kompetenzen der wesentlichen Akteure sowie dem Wahlsystem mittels dessen der/die Präsident_in gewählt wird. Teil 2 behandelt die Nationalversammlung sowie das französische Parteiensystem.

Charakteristika des politischen Systems

Aus historischer Perspektive sind zwei Strömungen für das Verständnis des politischen Systems wichtig: Im Laufe der letzten 150 Jahre bildete sich der Diskurs zwischen Verfechtern die für eine starke monarchische (später präsidiale) Souveränität entraten, und jene die für eine starke Parlamentssouveränität  kämpften im politischen System wieder. Ende der 1950er Jahre hatte Frankreich ein politisches System mit einem starken Parlament und einer schwachen Exekutive. Im Schnitt wechselte alle 6 Monate die Regierung. Dies führte während der Algerienkriese (Frankreich war zum damaligen Zeitpunkt noch eine Kolonialmacht) zur Implosion des Parteiensystems. Der letzte Ministerpräsident der 4. Republik, General Charles de Gaulle, trat sein Amt unter der Bedingung Reform der Verfassung an, zu der es 1958 auch kam. Im Rahmen dieser wurden die Rechte des Parlaments massiv beschnitten und die Aufgaben der Exekutivorgane massiv ausgeweitet. Da jede Generalrevision der Verfassung nach französischer Leseart eine neue Republik konstituiert, sprechen wir seit 1958 von der 5. Republik, welche sich wie folgt aufbaut:

Bildquelle: http://bit.ly/2obunZ9

Neben den in der Grafik abgebildeten Akteuren (Präsident, Premierminister, Parlament (Nationalversammlung und Senat) sind gerade in Frankreich die Verwaltungsebenen von Interesse, besonders wenn wir über die Aufgabenverteilung sprechen. Frankreich kennt vier Verwaltungsebenen:

  • Die unterste Ebene ist die Gemeinde (über 35.000), die vor allem für die Flächennutzung und Stadtplanung sowie für die (Mit-)Finanzierung der Départements verantwortlich sind.
  • Darüber finden wir die Départements (101 in ganz Frankreich, z.B. Alpes-de-Haute-Provence), die sich um die Themen Sozial- und Gesundheitswesen, Jugend-, Alten- und Behindertenhilfe sowie die Entwicklung des ländlichen Raums kümmern.
  • Die zweithöchste Ebene sind Regionen (26), die für die regionale Wirtschaftsentwicklung, Verkehrs-, Raumplanung sowie die berufliche Aus- und Weiterbildung zuständig sind.
  • An der Spitze steht der – berühmt berüchtigte – Zentralstaat, der u.a. in der Verteidigungs-, Außen- oder Sicherheitspolitik wesentlich die Leitlinien bestimmt.

Auf den ersten Blick mag das französische System sehr föderal aussehen, jedoch maximal auf dem Papier. So haben die Verwaltungseinheiten unterhalb des Zentralstaats im Rahmen von Dezentralisierungsgesetzen (2 Wellen, 1982 und 2002) zwar mehr Entscheidungsbefugnisse bekommen, jedoch besitzen sie – im Gegensatz zu den Bundesländern in Österreich – effektiv keine Gesetzgebungsbefugnisse. Problematisch – und ein zentraler Grund der zur Reformträgheit beiträgt – ist die mangelnde Kompetenzabgrenzung bzw. das Teilen von Kompetenzen. So sind beispielsweise drei Ebenen für das Schulwesen zuständig. Die Regionen kümmern sich um die Gymnasien, das Département um Sekundarschulen (colléges) und die Gemeinden um Grundschulen und Kindergärten. Eine einheitliche Bildungspolitik, die Missstände beseitigt und Chancen für alle ermöglicht, ist so schwer zu erreichen.

Kompetenzen der wesentlichen Akteure

Die zentrale Figur in der 5. Republik ist das Amt des Staatspräsidenten. Er/Sie verkörpert die Einheit der Nation und die Kontinuität des Staates. Eine Besonderheit des französischen Systems ist, dass der Präsident nicht dem Parlament verantwortlich ist und seine Handlungen verfassungsgerichtlich nicht kontrollierbar sind. Ebenso besitzt er – im Gegensatz zu den meisten Präsidenten anderer Staaten – eigenständige Kompetenzen, die keiner Gegenzeichnung durch den Ministerpräsidenten oder eines Ministers bedürfen. Hierzu zählen beispielsweise

  • die Ernennung und (faktisch) Entlassung des Premierministers
  • der Erlass eines Referendums (Vorschlag der Regierung oder des Parlamentes ist reine Formalie)
  • das Recht, die Nationalversammlung aufzulösen,
  • die Ernennung von 3 Mitgliedern des Verfassungsrates sowie dessen Anrufung,
  • das Recht, Mitteilungen an das Parlament zu richten oder einen Gesetzentwurf an das Parlament zurückzuverweisen,
  • das Recht, Verhandlungen über internationale Verträge zu führen und diese zu ratifizieren.

Angesichts der Fülle an Kompetenzen sowie der schwachen Kontrolle durch andere Institutionen des Staates, wird das politische System Frankreichs auch oft als „Präsidialsystem“ genannt.

Die Exekutive wird durch den Premierminister geführt, der vom Präsidenten ernannt wird. Der Premierminister kann sowohl durch die Nationalversammlung (anhand eines Misstrauensvotums), als auch durch den Präsidenten abberufen werden, wodurch er in der politischen Praxis eine eher schwache Stellung einnimmt.

Das Parlament besteht aus einem Zweikammernsystem, dem Senat sowie der Nationalversammlung. Die Zuständigkeiten sind durch einen, in der Verfassung festgelegten, Katalog klar geregelt. Im Unterschied zu anderen Parlamenten sehen wir einen starken formellen Einfluss der Regierung auf die Tätigkeit des Parlaments. So ist es die Regierung, die der Nationalversammlung die Tagesordnung vorgibt. Verglichen mit der Nationalversammlung besitzt der Senat (Vertretung der Gemeinden und Départements) nur eine sehr schwache Stellung, da die Nationalversammlung den Senat überstimmen kann. Einzige Ausnahme sind Verfassungsänderungen, hier besitzt der Senat ein Vetorecht.

Diese Machtverteilung bzw. das Rollenverständnis ändert sich jedoch signifikant, wenn die Mehrheit der Nationalversammlung eine andere politische Ausrichtung besitzt als der Präsident. In diesem Fall (Cohabitation) verlieren realpolitisch (jedoch nicht verfassungsmäßig) viele Kompetenzen an Bedeutung, da die Nationalversammlung jede Regierungsvorlage bzw. jeden nicht genehmen Ministerpräsidenten ablehnen kann. De facto beschränkt sich die Rolle des Präsidenten dann auf außenpolitische Agenden (die so nicht aus der Verfassung zu interpretieren ist, diese Praxis wurde von de Gaulle begründet, der alle wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen alleine traf), während er innenpolitisch weitgehend auf zeremonielle Agenden reduziert wird.

Nach der längsten Cohabitation (1997-2002 zwischen dem sozialistischen Premier Jospin und dem konservativen Präsidenten Chirac), kam es zu einer Modifizierung der Verfassung. Die Amtszeit des Präsidenten wurde von 7 auf 5 Jahre verkürzt, außerdem finden die Wahlen zur Nationalversammlung nun unmittelbar nach den Präsidentschaftswahlen statt. Bis zum 18.6. werden die Französ_innen somit insgesamt bis zu vier Mal an die Wahlurnen schreiten werden.Ziel der Reform war das Risiko einer Cohabitation zu minimieren, was auch gelang. In den letzten 15 Jahren bekam die Partei, die den Präsidenten stellte, auch in der nachfolgenden Wahl zur Nationalversammlung eine Mehrheit.

Wahlsystem für Präsidentenwahlen

Auf den ersten Blick ist das Wahlsystem zur Präsidentschaftswahl sehr ähnlich verglichen mit dem österreichischen System. Bis zu 2 Wahlgänge (die immer an einem Sonntag stattfinden müssen) sind vorgesehen. Wenn nach dem ersten Wahlgang ein Kandidat oder eine Kandidatin mehr als die Hälfte der abgegebenen bekommt, so ist diese Person gewählt. Ist dies nicht der Fall, treten die beiden stimmenstärksten Kandidat_innen in einer Stichwahl, die 2 Wochen nach der ersten Runde stattfindet, gegeneinander an. Gewählt ist auch hier, wer mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen bekommt. Interessant ist jedoch wer als Kandidat bzw. Kandidat_in antreten kann. Im Gegensatz zu Österreich müssen keine Unterstützungserklärungen von Bürger_innen gesammelt werden. Um zur französischen Präsidentschaftswahl antreten zu können, muss man nominiert werden. Dies erfolgt mittels Unterstützerunterschriften gewählter Mandatsträger_innen (hauptsächlich Abgeordnete auf Europa-, Staats-, Regions-, Départementsebene oder Bürgermeister_innen).

Die riesige Machtfülle sowie die Rolle Frankreichs innerhalb der Europäischen Union machen die Wahlen am Sonntag (bzw. in 2 Wochen) zu einem europaweiten Event. Wer auch immer gewählt wird, wird in den nächsten fünf Jahren die Rolle Frankreichs und Europas wesentlich prägen.

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