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Wider die russische Infiltrierung der europäischen Demokratie

Silvia Nadjivan
Silvia Nadjivan

Noch immer scheint die perfide hybride Kriegsführung des Putin-Regimes gegen die liberale Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa vielen Menschen gar nicht bewusst zu sein. Umso wichtiger ist es daher, öffentlich darüber zu reden, um dagegen anzukämpfen.

Im Sinne von internationalem Awareness-Raising veranstaltete das European Liberal Forum (ELF) am 18. November in Sofia gemeinsam mit der Project: Poland Foundation und der Friedrich Naumann Foundation (FNF) eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Russian Influence in European Democracy“. Dabei ging es nicht nur darum, Schlaglichter auf ausgewählte EU-Länder wie Bulgarien, Polen, Österreich und Slowakei zu werfen, sondern es wurde auch über liberale Gegenstrategien diskutiert. Wie wichtig ein derartiger Austausch ist, zeigen die Entwicklungen im aktuellen Superwahljahr, so auch die letzten US-Präsidentschafts- und bulgarischen Parlamentswahlen.

sofia panel

Silvia Nadjivan, Michal Adam, Mila Moshelova, Miłosz Hodun

Bulgarien im dauerhaften Krisenmodus

Symbolträchtiger könnten Zeit und Ort nicht sein: knapp vor dem 1.000. Tag des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und in jener europäischen Hauptstadt, wo die russische Propaganda am aggressivsten, die Regierungskrise folglich am stärksten ausgeprägt ist. Schließlich belegen die Sprachrohre des Kremls die höchsten Funktionen im Land, wie Mila Moshelova, Politikanalystin und Moderatorin des Panels, unermauerte. Die prorussische Propaganda unter Leugnung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine erfolgt somit von der bulgarischen Staatsspitze, was nach der zuvor jahrelangen proeuropäischen Haltung bemerkenswert ist. Zudem hat das Land seit 2021 sieben Parlamentswahlen durchlaufen, ohne dass eine funktionsfähige Regierung gebildet werden konnte. Stattdessen befinden sich prorussische Handlanger und liberaldemokratische Kräfte im Dauerstreit.

Fragiler Hoffnungsschimmer Polen

Unter Verweis auf die seinerseits mitherausgegebene Publikation „Putin’s Europe“ mit zahlreichen Case Studies und liberaldemokratischen Gegenstrategien erläuterte Miłosz Hodun, 2. Vizepräsident von ELF, den mühsamen Rückweg Polens zu europäischen Standards unter der vorwiegend liberaldemokratischen Regierung Donald Tusks. Auch wenn das Artikel-7-Verfahren gegen Polen seit letztem Mai eingestellt ist, bleibt es alles andere als garantiert, dass die autokratische PiS-Partei nach den nächsten Parlamentswahlen nicht wieder die Regierung bildet und die schwer erkämpften rechtsstaatlichen Reparaturarbeiten der Tusk-Regierung zunichte macht. Gegenüber Russland und dessen Völkerrechtsbruch besteht zwar eine landesweite, auch historisch bedingte, Abneigung, jedoch hält sich eine völlig absurde Verschwörungserzählung hartnäckig in der Öffentlichkeit: Donald Tusk sei ein Spion des Kremls. Nebenbei bemerkt wurde dort eine völlig andere Spionageaffäre aufgedeckt. Hoffnung könnten dagegen die nächstes Jahr bevorstehenden Präsidentschaftswahlen bieten, wenn der PiS-Gefolgsmann Andrzej Duda mit seiner Blockadehaltung endlich abgewählt werden könnte.

Sorgenkind Slowakei

Eine deutliche Abkehr von EU und NATO erfährt derzeit auch die Slowakei unter der prorussischen und ungarnfreundlichen Regierung von Robert Fico, wie Michal Adam, Politikanalytiker der Partei Progressive Slowakei, feststellte. Die russische Infiltrierung lasse sich dabei sowohl auf der narrativen als auch auf der institutionellen Ebene feststellen. So wird der öffentliche Diskurs zusehends in eine EU- und NATO-feindliche Richtung gelenkt, während prorussische Haltungen an Bedeutung gewinnen. Parallel dazu bekleiden immer mehr Putin-Sympathisant:innen staatliche Positionen. Das alles geht einher mit einer insgesamt schwachen Außenpolitik der Slowakei, wodurch laut Adam die offizielle Positionierung leicht manipuliert werden kann, nicht zuletzt durch Spionagetätigkeiten bis ins Verteidigungsministerium. Dem antidemokratischen und antieuropäischen Kurs der Fico-Regierung widersetzt sich allerdings eine breite liberaldemokratische Protestbewegung in der Slowakei. So demonstrierten am 17. November, dem Jahrestag der Samtenen Revolution 1989, Tausende Menschen in Bratislava gegen Ficos Boykott der Ukraine-Hilfe sowie der EU-Sanktionen gegen Russland und dessen geplanter Reise nach Moskau.

Krisen-Gewinnler FPÖ

Deutlich perfider verläuft vergleichsweise die prorussische Unterwanderung in Österreich, weiß Silvia Nadjivan. Schließlich werden hierzulande im Gegensatz zu Bulgarien, der Slowakei und auch Ungarn keine offensichtlich Putin-freundlichen Positionen der „Putin-Versteher“ eingenommen, jedoch EU und NATO vehement angefeindet. Am Beispiel der FPÖ-Kampagnen zu den Europa- und Nationalratswahlen lassen sich diese Anfeindungen klar nachzeichnen, genauso wie am FPÖ-Parteiprogramm, das sich dezidiert von Regularien der supranationalen Organisation EU abwendet wie auch Sky Shield und die Kooperation mit der NATO ablehnt, unter dem Vorwand, Frieden zu erreichen – übrigens ohne Hinweis auf das berühmte Wie. Als jüngstes Beispiel dient die Diskussion rund um den Stopp der russischen Gaslieferungen für Österreich. Ohne klarzustellen, wie Frieden in der Ukraine erreicht werden könne, mobilisiert die FPÖ in populistischer Schwarz-Weiß-Manier gegen die österreichische Unterstützung der Ukraine und EU-Sanktionen gegen Russland. Die Strategie, zu polarisieren anstatt konkrete Lösungen zu bieten, haben der FPÖ den großen Stimmenzuwachs bei den Europa- und Nationalratswahlen beschert. Schließlich besteht große soziale Unzufriedenheit angesichts multipler Krisen (von Energiekrise, Inflation, Teuerung, Migration bis zu den Folgen der Corona-Krise), woraus vor allem rechtspopulistische Parteien wie die FPÖ politisches Kapital schlagen können.

Sicherheitsrisiko für Österreich

Eine mögliche Regierungsbeteiligung der FPÖ wäre in Österreich nicht nur eine Gefahr für die liberale Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sondern auch ein sicherheitspolitisches Risiko. Abgesehen von der berühmt berüchtigten Ibiza-Afäre offenbarte die Affäre rund um den österreichischen Nachrichtendienst (BVT-Affäre) unter dem damaligen Innenminister Herbert Kickl Verstrickungen bis zum russischen Geheimdienst. In der Folge wurde Österreich aus dem internationalen Informationsnetzwerk ausgeschlossen und erst wieder unter der türkis-grünen Regierung mit Vorbehalt wieder aufgenommen. Und es waren die internationalen Hinweise und Warnungen, die die geplanten Terroranschläge bei der Wiener Pride Parade im Juni 2023 und bei den drei letztlich im August 2024 abgesagten Taylor-Swift-Konzerten in Wien verhinderten. Undenkbar unter einer FPÖ-Regierung.

Was es zu tun gilt

Bei all den verschiedenen und länderspezifischen Unterschieden gilt es für liberaldemokratische Kräfte in ganz Europa, den Menschen auf Augenhöhe zuzuhören, deren Ängste und Sorgen ernst zu nehmen, konkrete Lösungen zu bieten und europaweit miteinander verstärkt zu kooperieren. Die liberaldemokratischen Gegenstrategien umfassen schließlich verstärkte Aufklärungs- und Bildungsarbeit genauso wie intensivierte Vernetzungsarbeit in einem zusehends vor allem institutionell gestärkten Europa.

(Titelbild: Baris-Ozer/iStock)

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