Wie sich die Abschaffung der kalten Progression auswirkt
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Wie der Staat aus 8,6% Inflation 3,5% macht
Das Jahr 2022 ist vorüber, die Inflation lag im Vorjahr auf dem höchsten Stand in 48 Jahren, zeigen die neuen Zahlen der Statistik Austria. Der Verbraucherpreisindex legte im vergangenen Jahr um 8,6 Prozent zu – und damit so stark wie zuletzt in der großen Ölkrise der 1970er-Jahre.
Die Inflationsrate ist immer noch sehr hoch und wird auch 2023 hoch bleiben. Angesichts derartiger Teuerungswerte wird auch immer klarer, dass das von der Regierung gewählte Modell zur Abschaffung der kalten Progression in Hochinflationszeiten wie diesen erhebliche Schwächen hat und die Übergewinne, die der Staat aktuell erzielt, erst mit massiver Verzögerung an die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen zurückgibt.
Regierungsmodell mit Schwächen
Warum? Das Regierungsmodell stellt auf die Inflation im Zeitraum Juli des Vorjahres bis Juni des laufenden Jahres ab. Für das Jahr 2023 wurde so ein Anpassungsfaktor von 5,2 Prozent ermittelt. Dieser niedrige Wert ergibt sich, weil die Inflation in der zweiten Jahreshälfte 2021 noch deutlich geringer war (im Juli 2021 lag sie bei 2,9 Prozent).
Die Besonderheiten des Regierungsmodells führen zudem dazu, dass nicht alle Tarifstufen gleichmäßig um 5,2 Prozent angepasst werden. Ein Drittel des Entlastungsvolumens wurde für die zusätzliche Entlastung der unteren Einkommen verwendet. Das heißt also: Die Grenze, ab der überhaupt erst Steuern bezahlt werden müssen (bisher 11.000 Euro) sowie die ersten beiden Tarifstufen wurden um 6,3 Prozent angehoben.
Da aber dieses Drittel für die weiteren Tarifstufen fehlt, wurde bereits ab der dritten Tarifstufe (bisher 31.000 Euro) nur mehr eine Anpassung um 3,5 Prozent vorgenommen.
Das Problem dabei: In der zweiten Jahreshälfte ist die Inflation auf immer neue Höchstwerte geklettert - mit dem bisherigen Spitzenwert von 11,0 Prozent im Oktober. Im November und Dezember gab es - immerhin - das erste Mal seit langem keine weitere Steigerung. Der von der Statistik Austria am Donnerstag bekanntgegebene Dezember-Wert von 10,2 Prozent ist aber noch nicht wirklich eine Trendumkehr.
Anpassung der Tarifstufen bereits überholt
Würde man also nicht Juli 2021 bis Juni 2022, sondern Jänner 2022 bis Dezember 2022 für die kalte Progression heranziehen, ergäbe sich ein Anpassungsfaktor von 8,6 Prozent. Der Unterschied (3,3 Prozentpunkte), der sich binnen weniger Monate ergeben hat, macht somit deutlich mehr aus als die Inflation in einem normalen Jahr (das EZB-Ziel liegt bei zwei Prozent). Und wie beschrieben: ab der dritten Tarifstufe liegt der Unterschied bereits bei 5 Prozentpunkten – das ist also sogar die Inflation von zweieinhalb „normalen“ Jahren.
Die folgende Tabelle zeigt, welche Folgen es hat, die Steuerstufen so früh im Jahr anzupassen. Würde man die tatsächliche Inflation mit Ende Dezember kompensieren, dürfte die erste Steuerstufe nicht bei 11.693 Euro, sondern erst bei 11.935 Euro einsetzen. Die dritte Stufe (41 Prozent) sollte eigentlich erst ab 33.635 zur Anwendung kommen und nicht bereits bei 32.075 Euro. Für durchschnittliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bedeutet das, dass sie eigentlich bereits wieder eine zusätzliche Entlastung um rund 200 Euro pro Jahr bekommen müssten.
Staat profitiert von Teuerung und Nachholeffekten der Wirtschaft
Da die Kompensation der Hochinflationsmonate des zweiten Halbjahres im türkis-grünen Modell aber erst im nächsten Jahr erfolgt und somit erst im Steuerjahr 2024 schlagend wird, verbleiben die inflationsbedingten Übergewinne des Staates noch länger beim Finanzminister.
In der Budgetprognose zeigt sich das auch klar: Trotz Steuerreform und vermeintlicher Abschaffung der kalten Progression soll die Lohnsteuer laut Prognosen des Ressorts von heuer 31,6 Milliarden auf 33,5 Milliarden Euro im kommenden Jahr steigen. Im Jahr der großen Entlastung wirft die Lohnsteuer also knapp zwei Milliarden Euro mehr ab.
Wie sehr der Staat von der Teuerung und Nachholeffekten der Wirtschaft profitiert, lässt sich aktuell auch wieder am Budgetvollzug bis November ablesen. Insgesamt liegen die Budgeteinnahmen bereits um zehn Milliarden Euro über den Vorjahreswerten.
Allein bei der Umsatzsteuer nimmt der Finanzminister wegen der gestiegenen Preise um 4,4 Milliarden Euro mehr ein als 2021. Ins Auge sticht auch, wie stark sich die Budgetprognostiker des Ressorts bei der Körperschaftsteuer verschätzt haben. Erwartet wurden für das Gesamtjahr Einnahmen von zehn Milliarden Euro, nun wurden bis November bereits 13,4 Milliarden überwiesen.
Und was vor dem Hintergrund der gerade angelaufenen Verhandlungen um einen neuen Finanzausgleich bisher kaum diskutiert wird: Die Einnahmen der Länder liegen heuer um 3,7 Milliarden bzw. 25,5 Prozent über jenen des Vorjahres und somit noch einmal deutlich über allen Prognosen.
Resümee
Die Regierung sollte nicht nur die Übergewinne bei Energieunternehmen abschöpfen, sondern auch die eigenen Übergewinne zeitnah und vollständig an die Steuerzahler zurückgeben. Es gilt für den Finanzminister dasselbe wie für Energieunternehmen: er profitiert von Zufallsgewinnen. Das von der Regierung gewählte Modell zur Kompensation der kalten Progression mag für "normale" Teuerungsphasen gut funktionieren, führt aber bei außer Kontrolle geratenen Inflationswerten zu erheblichen Verwerfungen.
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