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Der Mythos vom „billigen russischen Gas“

Lukas Sustala
Lukas Sustala  | Zuletzt aktualisiert am 04.03.2024

Russisches Gas werde „zu Vorkriegszeiten verkauft“ und „Basis unseres Wohlstands“. Sätze wie diese werden von österreichischen Politikern erzählt. Doch sie sind weit von der Realität entfernt. Eine Mythenjagd des NEOS Lab.

Als Wladimir Putin vor zwei Jahren den Befehl gab, die Ukraine zu überfallen, wurde nicht nur die Sicherheitsordnung Europas erschüttert, wie Velina Tchakarova in ihrem Beitrag eindrücklich schildert. Parallel wurde der größte Erpressungsversuch der modernen Geschichte gestartet. Russland hat seine Energieexporte zu Waffen gemacht und versuchte mit einseitigen Lieferdrosselungen und leer gelaufenen Gazprom-Speichern in der Europäischen Union Regierungen unter Druck zu bringen. 

Die Folge: Auch Österreich fragt heute deutlicher denn je, ob Energiesicherheit auch Teil einer Sicherheitsstrategie sein muss. Auch wenn die Antwort „ja“ ist, stellt sich dann die Frage: Kostet das dann mehr? Russisches Pipeline-Gas gilt als billig. Von der FPÖ über den Wirtschaftskammerpräsidenten bis hin zu einzelnen Unternehmern wird russisches Gas regelmäßig als wichtige und günstige Basis für Wohlstand präsentiert. Doch stimmt das? Eine Mythenjagd durch die Daten. 

Keine Spur von „billig“

Im NEOS Lab haben wir zunächst etwa die Außenhandelsstatistik der Statistik Austria analysiert. Das haben wir auch schon in der Vergangenheit getan: Oft ging es dabei um die Zahlungen österreichischer Importeure an die russische Gazprom. Mithilfe der Außenhandelsdaten lassen sich aber auch die Preise für Gasimporte in den vergangenen Jahren nachzeichnen. Sie zeigen die Mengen und Werte des Erdgases, das über die Grenze nach Österreich eingebracht ist. Auch in Deutschland werden sogenannte Grenzpreise für Gas veröffentlicht. Allerdings lässt Österreich darüber hinaus auch noch zu, die Importe bestimmten Exportländern zuzuweisen. 

Tatsächlich zeigt ein Blick auf die Preise für russische und nichtrussische Gasimporte nach Österreich in den Jahren 2007–2021 einen sehr ähnlichen Verlauf. Die Preise bewegten sich in Tandem und waren mal niedriger, mal höher. Das ist auch nicht weiter überraschend. Russisches Gas war nicht billiger, sondern stets zu Marktpreisen bewertet. Damit sind Aussagen wie jene von Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, wonach Gas „zu Vorkriegszeiten“ geliefert würde, jedenfalls als Fehlinformation entlarvt. Auch Rechtspopulisten behaupten oft, dass russische Gasimporte „billig“ seien. 

Doch wie sieht es nach 2021 aus? Also ab jenem Zeitpunkt, ab dem Russlands Gazprom aktiv die Speicher in Europa leerte, um die Erpressung der Energiepolitik vorzubereiten? Aber diesem Zeitpunkt ändert sich erstmals der ermittelte Preis aus der offiziellen Außenhandelsstatistik: Es zeigen sich plötzlich signifikante Aufschläge für russisches Gas. Dies widerspricht der weitverbreiteten Vorstellung, russisches Gas sei eine günstige Option für Österreich. 

Belege für „billiges russisches Gas“ zeigen die offiziellen Daten in jedem Fall nicht.  Die Außenhandelsstatistik zeigt klar: Russisches Gas war durchschnittlich um 22 Prozent teurer als andere Importe im Jahr 2023. In manchen Monaten verdoppelten sich die Kosten gar. Diese Zahlen stellen die Behauptungen von Gazprom und deren Befürwortern, das russische Gas sei preiswert, stark infrage. Vielmehr zeigt sich, dass die Importe aus Russland sehr ähnlich zum Börsepreis am CEGH (Central European Gas Hub) entwickelt haben. Vielmehr sind offensichtlich die sonstigen Importe günstiger geblieben. Woran das liegt, ist schwer zu sagen. Eine Möglichkeit wäre, dass nichtrussische Liefermengen zu langfristigen Preisen eingekauft wurden, und nicht wie russisches Gas zu aktuellen Kursen bewertet wurden. Darüber hinaus können auch unternehmenseigene Verrechnungspreise den Preis dämpfen, oder Mengen, die gar nicht erst in der offiziellen Statistik aufscheinen. 

Doch woher kommt der große Preisabstand zu den nichtrussischen Mengen? Es sind vor allem die Preise von Deutschland, die dafür den Ausschlag geben. In der folgenden Tabelle sind die Preise aus der Statistik für die wichtigsten Importländer jenseits von Russland aufgetragen für die drei Jahre 2021, 2022, 2023. Es werden jeweils die gewichteten Durchschnittspreise für die Kalenderjahre gezeigt. 

Die Kunden in Österreich zahlen drauf

Kommen wir nun zu den Endkundenpreisen. Haben wir dort einen besonderen „Russlandabschlag“ in Österreich beobachtet? War Gas in Österreich billiger, weil russisches Gas verwendet wurde? Erste Analysen in der akuten Energiekrise, etwa vom renommierten Ökonomen Daniel Gros, haben den Mythos bereits 2022 weitgehend entzaubert. Analysiert man dieselben Daten von Eurostat für Österreich, dann sieht man: Weder Haushaltskunden noch Unternehmenskunden haben in Österreich je besonders wenig für Gas bezahlt. Vor 2021/22 lagen die Preise meist ähnlich hoch wie im Rest Europas (was nicht überraschend ist, wenn das Gas der Gazprom zu Marktpreisen bewertet und verkauft wurde). 

Doch auch hier gab es in der Energiekrise eine deutliche Preissteigerung in Österreich. Bei den Unternehmenskunden war diese weniger ausgeprägt als bei den Haushalten. 

Energiepolitik von nützlichen Idioten?

Das wirft die Frage auf: Warum? Warum hält sich nicht nur der Mythos vom „billigen“ Gas, wenn es weder bei den Endkunden noch bei den Importen Hinweise darauf gibt, sondern eher Hinweise auf das Gegenteil: Eine Abzocke? Tatsächlich zeigt nicht nur die oben skizzierte Analyse der Außenhandelsdaten, dass die russischen Gasimporte eher teuer als billig waren. Auch die Energieagentur schreibt in ihrer viel beachteten Analyse 2022: „Daraus lässt sich ableiten, dass weder in Deutschland noch in Österreich billiges russisches Gas „angekommen“ ist.“ (Energieagentur)

Natürlich lässt das den unangenehmen Schluss zu, dass die österreichische Energiepolitik von Gazprom-Propaganda eingefangen war und sich zu Putins „nützlichen Idioten“ gemacht hat. Denn die Milliarden für das russische Gas sind aktuell durchaus wichtige Stabilisatoren für die Gazprom und für die russische Kriegswirtschaft. Und die jüngsten Zahlen von Bruegel zu den stark gesunkenen EU-Energieimporten aus Russland legen nahe, dass Österreichs Gasimporte mittlerweile fast ein Zehntel der Geldflüsse für Russland ausmachen. 

Zwei Jahre nach dem Angriff auf die Ukraine, finanziert Österreich einen wichtigen Teil der internationalen Devisen für die russische Energie- und Kriegswirtschaft.

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