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Vom Preis, eine Frau zu sein

Silvia Nadjivan
Silvia Nadjivan

Zum Weltfrauentag hat sich das NEOS Lab die Lücke in den „Lebenserwerbseinkommen“ angesehen. 585.000 Euro verdienen Frauen im Lauf ihres Berufslebens weniger als Männer.

Der Weltfrauentag gibt jedes Jahr Anlass, bisherige Errungenschaften in Sachen Geschlechter- und Chancengerechtigkeit kritisch zu beleuchten.

Ohne Zweifel gibt es wichtige historische Meilensteine hinsichtlich bürgerlicher Rechte und Freiheiten zu feiern. Doch gerade bei der wichtigen Chancengerechtigkeit und der finanziellen Unabhängigkeit gibt es noch viel Aufholbedarf. Die vielen Hinweise in Form von „Gender-Pay-Gaps“, Pensionslücken oder der höheren Armutsgefährdung von Frauen rufen das immer wieder in Erinnerung. Doch wie hat sich die Lage von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und bei den Einkommen verändert? Um diese Frage zu beantworten, haben wir uns im NEOS Lab den „lifetime earnings gap“ angesehen, die Lücke im Lebenserwerbseinkommen. Wie viel kostet es also, in Österreich eine Frau zu sein? Den Wert einer Eigentumswohnung.

Wie steht es um die Lücke beim Lebenserwerbseinkommen?

Eine Statistik-Austria-Sonderauswertung für das NEOS Lab zeigt auf Basis der Daten von 2022 eine Lücke im Lebenserwerbseinkommen von 585.000 Euro. So hoch ist der Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Lebenseinkommen von Männern und Frauen über ein Berufsleben. Das ist nicht zuletzt auf die Arbeitszeit zurückzuführen. Wenn man ausschließlich Vollzeit-beschäftigte Frauen mit Vollzeit-beschäftigten Männer vergleicht, schrumpft der Abstand im Lebenserwerbseinkommen auf rund eine viertel Million Euro. Auch diese Zahl sinkt seit 2004.

Positives Ergebnis dieses Längsschnittsvergleichs ist aber, dass der Abstand zwischen den Einkommen, also der Gender-Pay-Gap, sukzessive schrumpft. Seit 2000 hat der Unterschied im Lebenseinkommen um rund 8 Prozentpunkte abgenommen. 

Der Rückgang der unbereinigten Einkommenslücke passiert quer durch alle Altersgruppen. Beispiel: Im Schnitt haben 30-jährige Frauen im Jahr 2000 um rund 42 Prozent weniger Erwerbseinkommen gehabt als 30-jährige Männer. 2022 waren es „nur“ noch 32 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland hat die Bertelsmannstiftung etwa einen Gap im Lebenserwerbseinkommen in Deutschland von knapp 45 Prozent ermittelt.

(Un-)Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Dass Frauen, insbesondere Mütter, so viel weniger verdienen als Männer, liegt vor allem daran, dass Kinderbetreuung nicht fair verteilt ist, auch wegen unzureichender Kinderbetreuungsplätze. Trotz des ermutigenden Anstiegs der Erwerbsbeteiligung von immerhin rund 500.000 Frauen seit dem Jahr 2000 bleibt der Zuwachs bei Vollzeitbeschäftigungen für Frauen mit nur 50.000 deutlich dahinter zurück. Dies weist auf ein strukturelles Problem im Arbeitsmarkt hin.

Statistisch betrachtet ermöglicht nur jeder zweite Kindergarten beiden Elternteilen eine Vollzeitbeschäftigung. In manchen Bundesländern gibt es gar keine Kindergärten, die den VIF-Kriterien entsprechen würden (u.a. Mittagessensangebot und wöchentliche 40-Stunden-Mindestöffnungszeiten). Die Entscheidung zur Teilzeitarbeit wird von vielen Müttern daher nicht freiwillig, sondern notgedrungen gefällt. Auch andere unbezahlte, familiäre Care-Arbeit wird überwiegend von Frauen geleistet. Teilzeitstellen gibt es aber wiederum nicht in allen Branchen, vor allem nicht in den gut bezahlten, mit Option auf attraktive Karrierewege und Führungspositionen. Eine weitere Folge dieser Teilzeitarbeit ist eine deutlich geringere Pension im Ruhestand, nahe der Armutsgefährdung. Zudem berücksichtigt die aktuelle Politik nicht die veränderten Lebensrealitäten von Frauen und Familien, die historisch hohe Steuerlast und unzureichende Wahlfreiheit für Frauen erhöht damit den Druck auf die Kaufkraft.

Notwendige Maßnahmen

Was sollte also geschehen, um den „lifetime earnings gap“, die Einkommenslücke über ein ganzes Erwerbsleben, weiter zu schließen?

  • Mehr ganztägige Kindergartenplätze in ganz Österreich sind notwendig, um Frauen bezüglich Betreuung echte Wahlfreiheit zu garantieren. Ab dem ersten Lebensjahr sollte jedes Kind einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben.
  • Das Karenz-, Kinderbetreuungs- und Steuersystem muss so weit reformiert werden, dass Vollzeitarbeit attraktiver wird. Anstatt Teilzeitarbeit zu subventionieren, sollte es einen Vollzeitbonus geben. Zudem ist ein standardmäßiges Pensionssplitting gegen Altersarmut hilfreich.
  • Die in Österreich zur Verfügung stehenden Karenzmodelle sollten fairer und flexibler werden, damit auch die Väterkarenz völlig normal wird und standardmäßig beide Elternteile in Karenz gehen. Das könnte etwa mit einem einkommensabhängigen Kindergeldkonto erreicht werden,  das für beide Elternteile jeweils sechs bis zwölf Monate Karenzzeit vorsieht. Auch in Skandinavien ist es wesentlich üblicher, dass sowohl Väter als auch Mütter nicht übertragbare Karenzzeiten haben, die den Anreiz für faire Aufteilungen schaffen. 
  • Zu guter Letzt sollte das Betreuungsangebot auf ganz Österreich ausgeweitet werden, um auch alleinerziehenden Eltern den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu erleichtern.

Die Frage nach Beruf und Familie sollte in Österreich keine notgedrungene Entweder-oder-Entscheidung sein, sondern eine individuell getroffene, freie Wahl sein. Vollzeitbeschäftigung für Frauen mit Familie sollte daher ebenso möglich sein, wie sich mit den eigenen erworbenen Mitteln ein Eigenheim zu schaffen. Der akute Arbeitskräftemangel und eine alarmierende Geburtenrate in Österreich erfordern schließlich visionäre Gesellschaftspolitik und derart konkrete Maßnahmen.

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