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Unsere Sicherheit in Zeiten hybrider Kriegsführung

Am 26. Oktober 1955, also vor 70 Jahren, beschloss der Nationalrat das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität. Seit dem EU-Beitritt hat sich die Qualität der österreichischen Neutralität geändert. Neue Herausforderungen stellen sich in Zeiten von Russlands hybridem Krieg gegen Europa.

Silvia Nadjivan
Silvia Nadjivan
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© Rainer Zisser, Österreichisches Bundesheer

Der 26. Oktober ist in Österreich ein wichtiger Feiertag. Erinnert wird an den Erlass des österreichischen Neutralitätsgesetzes, basierend auf dem Moskauer Memorandum von 1955. An diesem sogenannten Tag der Fahne haben österreichische Festivitäten Tradition. Besuchen kann man wie jedes Jahr die Heeresschau am Heldenplatz, den Bundespräsidenten in der Hofburg, das österreichische Parlament und vieles mehr. Doch der geopolitische Kontext ist jetzt anders als früher.

2025 – ein besonderes Gedenkjahr

Mit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus und Ende des Kalten Kriegs 1990 schien es lange Zeit so, als könnte man in Europa das Kapitel imperialistischer Bedrohungsszenarien abschließen. Parallel zu den geografisch eingegrenzten, zugleich folgenschweren jugoslawischen Zerfallskriegen der 1990er Jahre nahm der europäische Integrationsprozess neuen Schwung auf. Österreich trat 1995, also vor 30 Jahren, der Europäischen Union bei und damit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) wie auch der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP).

Das alles war zum Zeitpunkt des Beitritts ebenso wenig Thema wie der damals noch anstehende Beitritt in die europäische Währungsunion. Dass sich die Qualität der österreichischen Neutralität mit dem EU-Beitritt geändert hat, verdeutlichen die europäischen Debatten rund um die aktuellen hybriden Bedrohungen – spätestens seit den verheerenden Folgen von Drohnenalarm auf europäischen Flughäfen dieses Jahr, darunter in Dänemark, Deutschland, Spanien und dem Nicht-EU-Land Norwegen. 

Drohnenattacken als Teil des hybriden Kriegs

Parallel zum Angriffskrieg gegen die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 führt Russland einen hybriden Krieg gegen Europa. Bisher hat dieser mitunter aus Desinformation, Spionage, Finanzierung antidemokratischer Parteien und Cyberangriffen auf kritische Infrastruktur bestanden. Seit letztem September sind Drohnenattacken als eine neue Methode hinzugekommen. Sie haben zum Ziel, die europäischen Regierungen zu provozieren und die Bevölkerung zu verunsichern. Obwohl der Kreml dementiert und nicht in allen Ländern ausreichende Beweise vorliegen (aus Sicherheitsgründen wird ja von einem Abschuss über zivilem Luftraum abgeraten), sprechen alle Indizien für den Aggressor Russland.

In höchster Alarmbereitschaft sind schon längst Estland, Rumänien und Polen. Die polnische Regierung hat nach dem Drohnenabschuss Anfang September ein Verfahren nach Artikel 4 des NATO-Vertrags beantragt. Drohnenvorfälle kommen also vermehrt auf, während die Drohnenabwehr hinterherhinkt.

Dringlichkeit von Sky Shield

Parallel zu Polens Luftraumverletzung im September hat die österreichische Regierung den Nationalen Sicherheitsrat einberufen. Obwohl eine dringende Budgetsanierung bevorsteht, bleibt es beim österreichischen Beitritt zu Sky Shield, dem europäischen Luftraum-Verteidigungssystem. Mit breiter Parlamentsmehrheit wurde das auch letzten März beschlossen, das heißt alle außer der FPÖ stimmten zu. Neben Österreich beteiligt sich auch die Schweiz als weiteres neutrales Land daran. Wie notwendig eine gemeinsame und dabei effiziente sowie kostengünstige Flugabwehr ist, verdeutlichen gerade die jüngsten Vorfälle. Denn die Folgen von Drohnenattacken betreffen uns alle, gleich ob es sich um Drohnenalarm bis nach Mallorca handelt oder tagelange Flugverzögerungen in München oder Berlin. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft bewaffnete Drohnen über ganz Europa fliegen könnten, wozu die bisher gesichteten Drohnen nur eine Vorstufe wären.

Vorkehrungen auf EU-Ebene

Wie dringlich eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist, zeigt allein der Sitzungsplan in nur einer Woche, in der sowohl ein Außenminister:innen-Treffen (20. Oktober) als auch ein zweitägiges EU-Ratstreffen stattfindet (23.–24. Oktober). Auf der Tagesordnung stehen der russische Aggressionskrieg gegen die Ukraine und die europäische Solidarität mit dem angegriffenen Nachbarland. Die längst überfällige strategische Autonomie Europas steht gerade nicht auf der Tagesordnung, allerdings die Readiness Roadmap 2030, also der Fahrplan, europaweit bis 2030 verteidigungsfähig zu sein. Mehr denn je wird jetzt deutlich, dass Österreich eben Teil dieser gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist. Denn lange Zeit nach dem EU-Beitritt blieb die vertraglich festgehaltene Beistandspflicht Österreichs unter Voraussetzung der sogenannten irischen Klausel (laut Art. 42 Abs. 2 EUV) unbeachtet. Diese besagt, dass Österreich im Ernstfall einem anderen EU-Mitgliedsland beistehen muss, jedoch die Art des – wohlgemerkt nichtmilitärischen – Beistands wählen kann.

Meinungsbild in Österreich

Wie Meinungsumfragen immer wieder verdeutlichen, gibt es in Österreich die mehrheitliche Erwartung, im Fall eines kriegerischen Angriffs von den EU-Mitgliedsländern verteidigt zu werden. Zugleich besteht aber im öffentlichen Bewusstsein kaum die Bereitschaft, im umgekehrten Fall beizustehen. Auch erscheint die Diskussion rund um die Bereitschaft, im Kriegsfall Österreich zu verteidigen, nicht friktionsfrei. Mit Stand 2024 wären nur 28 Prozent bereit, Österreich im Kriegsfall zu verteidigen. Diese Ergebnisse können auch als Folge der sogenannten Friedensdividende gesehen werden.

Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs liegen 80 Jahre zurück, die letzten drei Generationen hatten das Glück, keinen Krieg direkt erleben zu müssen – mit Ausnahme der Jugoslawien-Kriege in den 1990er Jahren. Bis vor kurzem hielten die USA eine schützende Hand über Europa. Die Verteidigungsausgaben gingen europaweit und insbesondere in Österreich infolge dieser Friedensdividende zurück.

Das alles hat sich seit dem russischen Aggressionskrieg – beginnend mit der Besetzung der Krim 2014 – und jetzt mit US-Präsident Donald Trump dramatisch geändert. Was es jetzt dringend braucht, sind – neben der österreichischen – auch eine neue Sicherheits- und Verteidigungsstrategie auf europäischer Ebene und letztlich ein offener Dialog ohne Denkverbote. Dessen kann man auch im besonderen Jubiläumsjahr heuer gedenken.

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