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Die größte Lehrplanreform seit Jahren, und keiner bemerkt es

Eine der größten Lehrplanreformen der letzten Jahrzehnte lässt der Bildungsminister Polaschek medial unter den Tisch fallen. Eine kleine Aussendung am ersten Sommerferienwochenende zeigt, dass es anscheinend nicht den Willen gibt, diese Reform groß zu inszenieren. Dabei geht es für das österreichische Schulsystem um sehr viel. Schüler_innen, Lehrer_innen und Eltern warten nämlich schon sehr lange auf dringend benötigte Reformen. Denn die letzten Reformen fielen zu zaghaft aus. Leider scheint auch diese Reform, jene mit großen Erwartungen zu enttäuschen. Hier ein kurzer Überblick warum.

Von Johannes Stolitzka

Photo by Kimberly Farmeron Unsplash.

Seit Monaten warten viele Menschen auf die Lehrplanreform. Sie soll eine der größten der letzten Jahrzehnte sein und Österreichs Bildungssystem endlich neue Frische verleihen. Das hört sich gut an. Doch der Bildungsminister Polaschek verzichtet auf eine große Präsentation. Das heißt: keine Pressekonferenz, keine Fragen zur Reform und keine Events. Still und heimlich wird eine Aussendung am ersten österreichweiten Schulferienwochenende an Medien geschickt. Doch warum wird eine Reform mit diesem Ausmaß derart klein gehalten?

Eventuell ist der angekündigte große Wurf doch nicht so groß, wie sich viele erwartet und noch viel mehr erhofft haben. Eine Reform ist nämlich dringend nötig, will man den negativen Trend, den das Bildungssystem seit Jahren verfolgt, umkehren. Österreich rutscht nämlich bei PISA immer mehr ab. In den Lehrplänen fehlt es an 21st Century Skills, wie Probleme erkennen und lösen, soziale Kompetenz und psychische Gesundheit. Zudem mangelt es enorm an modernen Unterrichtsmethoden und digitalen Tools. 

So gibt es besonders im Bereich der Digitalisierung und des MINT Bereichs viel Zukunftspotenzial. Doch kann dieses Potenzial mit den derzeitigen Lehrplänen nicht abgeschöpft werden. Die Regierung hat mit dem Pflichtfach digitale Bildung für die ersten drei Schulstufen der Mittelschulen und AHS einen wichtigen Schritt gemacht. Doch ist es nicht nur mit diesem Fach getan. Digitale Tools sind wertvolle Unterrichtsunterstützungen für alle Fächer und sollten deswegen flächendeckender eingesetzt werden. Auch wenn es um die Organisation des Schulalltags geht. Ob das die neuen Lehrpläne erfüllen können, ist anzuzweifeln. Andere Länder wie Estland oder Finnland sind uns hier Jahrzehnte voraus.

Auch hat uns die Coronapandemie vor Augen geführt, wie wichtig die psychische Gesundheit der Schüler_innen ist. Denn der Anstieg von Depression bei Schüler_innen ist ein deutliches Warnsignal. Außerdem ist das Erlernen im Umgang mit der eigenen Psyche ein wichtiger Teil der Entwicklung hinzu einem selbstbestimmten und gesunden Lebens. In England wurde deswegen eine Studie zur Einführung eines Fachs "Mindfulness" (dt.: Achtsamkeit) durchgeführt. Hier werden Kinder in ihrer Mental Health Literacy gestärkt und können von Meditation bis hin zu Resilienz-Trainings viele wichtige Kompetenzen erlernen.

Insgesamt wird also diese Lehrplanreform zu kurz greifen, weil die Abkehr von der reinen Wissensvermittlung nicht geschafft wird und viele wichtige Kompetenzen weiterhin nicht ausreichend gelehrt werden. Die NEOS Lab Bildungsinitiative "Talente blühen!" hat in einer im März präsentierten Publikation gezeigt, wohin sich Lehrpläne in Zukunft entwickeln sollten. Denn eine rasant ändernde Welt braucht auch einen flexiblen und praxisnahen Unterricht. Deswegen sollten fächerübergreifende Projekte in den Schulen von morgen im Vordergrund stehen. Monolithische und streng voneinander getrennte Einzelfächer müssen zurückgedrängt werden. Es sollten Themen- oder Lebensbereiche den Stundenplan ausfüllen und so für maximal fächerübergreifenden Unterricht sorgen. Damit brechen Schulen mit der Tradition der reinen Wissensschmieden und machen den Weg frei für Tempel der Kompetenz- und Talenteförderung.

Der Bildungsminister wollte anscheinend nicht, dass zu viel über die neue Lehrplanreform diskutiert wird. Entweder ist ihm die Lehrplanreform nicht wichtig genug oder es besteht die Angst, dass der große Wurf doch keiner ist. Damit werden schon jetzt große Erwartungen enttäuscht. Die Initiative "Talente blühen!" hat schon vor Monaten gezeigt, dass es viel mehr braucht, als ein paar neue Fächer und ein paar neue Namenschilder für einzelne Disziplinen. Denn nur mit einer ganzheitlichen Reform des Fächerkanons und der Lehrpläne ist eine echte Veränderung möglich.

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