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Fünf Mythen über die Teilzeit

Teilzeit boomt – und für den Sozialstaat wird das immer mehr zum Problem. Aber warum verbringen die Menschen immer weniger Zeit mit Erwerbsarbeit? Ist es wirklich „Lifestyle-Teilzeit“, oder sind einfach nur die Anreize falsch? Ein genauer Blick auf die Teilzeitrepublik Österreich von Georg Lundström-Halbgebauer und Lukas Sustala.

Wer arbeitet wie viele Stunden pro Woche? Ganz genau wissen wir das nicht. Die zentrale Datenquelle zur Arbeitszeit in Österreich ist die Arbeitskräfteerhebung im Mikrozensus der Statistik Austria, bei der die Befragten sich selbst auf Teilzeit oder Vollzeit zuordnen. Wir haben also vor allem Selbsteinschätzungen, aber keine objektiven Messwerte. Mittlerweile hat die Dreierkoalition aus NEOS, ÖVP und SPÖ ein Gesetz in den Nationalrat gebracht, das künftig dafür sorgt, dass Arbeitsstunden bei Beschäftigungsbeginn an die Sozialversicherung gemeldet werden. Die Datenlage wird sich also bald deutlich bessern. Vieles wissen wir aber schon jetzt. 

Teilzeitrepublik Österreich 

Laut OECD war die Teilzeitquote in Österreich 2024 die dritthöchste in der EU. Der Anteil der Teilzeitkräfte an allen Arbeitnehmer:innen ist von 2004 bis 2024 in Österreich um 37,4 Prozent gestiegen. Während das ein gravierender Anstieg ist, bleibt Österreich etwa hinter der Schweiz und den Niederlanden zurück, wo die Teilzeitquote noch stärker gestiegen ist.

Ein Teilzeitboom ist also kein österreichisches Spezifikum, aber in Österreich doch besonders stark ausgeprägt. So ist auf dem österreichischen Arbeitsmarkt nicht erst seit gestern der Trend zu weniger Arbeitsstunden deutlich sichtbar. Seit 1995 sind zwar insgesamt etwa 819.000 Erwerbstätige hinzugekommen, aber unterm Strich wurden keine neuen Vollzeitstellen geschaffen – sondern ausschließlich Teilzeitstellen. 

Mythos 1: Wer Teilzeit arbeitet, leistet weniger 

Leistung ist ein Begriff aus der Physik und beschreibt, wie viel Arbeit pro Zeit geleistet wird. Man misst sie nicht in Stunden, sondern in Watt oder als Output pro Input (also Produktivität). Und das ist der springende Punkt: In Österreich wird deutlich kürzer gearbeitet als im EU-Durchschnitt. Das sagt aber nicht das Geringste über die Leistung aus. 

Arbeitszeit-Europameister ist Griechenland, und das schon seit langem. Die Hellenische Republik ist für ihre idyllischen Küsten, ihre hervorragende Küche und als Wiege der europäischen Kultur bekannt. Als Triebfedern der europäischen Wirtschaft kennt man eher Deutschland, Frankreich oder Italien, wo aber im EU-Vergleich eher unterdurchschnittlich lang gearbeitet wird. „Mehr“ hilft also nicht unbedingt mehr

Laut ILO-Daten hat Österreich weltweit die neunthöchste Arbeitsproduktivität pro Stunde. Wenn sie arbeiten, schaffen Österreicher:innen also im weltweiten Vergleich besonders viel Wert. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass die Arbeitsproduktivität pro Stunde stagniert, und dass durch die hohe Teilzeitquote die Arbeitsproduktivität pro Person deutlich niedriger ist als in anderen Ländern. Das ist kein Luxusproblem. Denn Produktivität sichert Wohlstand, gerade in einer kleinen offenen Volkswirtschaft wie Österreich. 

Mythos 2: Viele Menschen werden „unfreiwillig“ in die Teilzeit gedrängt 

Hört man linken Ökonom:innen und Denkfabriken zu, könnte man auf die Idee kommen, dass es für den Teilzeit-Boom nur einen Schuldigen gäbe: Unternehmen, die ihre Beschäftigten in die Teilzeit drängen. Außerdem gäbe es nicht genügend Vollzeit-Stellen. Ihre Lösung sind daher oft noch mehr staatliche Regulierung. 

Dabei gibt es insgesamt genügend Stellen. Es stimmt zwar, dass in einigen Branchen Teilzeit üblicher ist als in anderen und mehr Stellen in Teilzeit ausgeschrieben werden als früher. Das liegt aber auch an der Nachfrage von Bewerber:innen und nicht nur an fehlenden offenen Vollzeitstellen. Vollzeit dominiert noch immer den österreichischen Stellenmarkt: 2024 waren etwa 74 Prozent der ausgeschriebenen Stellen Vollzeit-Positionen

Auch unfreiwillige Teilzeit ist in Österreich kein großes Thema. Laut OECD-Daten sind in Österreich nur 6,4 Prozent aller Beschäftigen in unfreiwilliger Teilzeit. Beim Arbeitszeit-Europameister Griechenland sind es 38,3 Prozent. Es wartet also kein Ersatzheer von Teilzeitkräften darauf, endlich seine Stunden erhöhen zu dürfen. Laut WIFO wollten von 2005 bis 2022 nur 6 bis 9 Prozent aller Erwerbstätigen mehr Stunden arbeiten, als sie es zum Zeitpunkt der Befragung taten. Auch der Mikrozensus zeigt: Während Betreuungspflichten noch immer der wichtigste Grund sind, warum Österreicher:innen in Teilzeit arbeiten, sagt eine immer größere Gruppe, dass Vollzeitarbeit einfach nicht gewünscht ist. Mittlerweile sind es bereits rund 86.000 Männer und 268.000 Frauen, die so denken, quer durch alle Altersgruppen. Vor 20 Jahren waren es noch 14.000 Männer und rund 91.000 Frauen. Wer in Österreich Teilzeit arbeitet, tut dies also in der Regel aus eigener, freier Entscheidung. Daran wird auch kein „Recht auf Vollzeit“ etwas ändern. 

Mythos 3: Frauen sind so oft in Teilzeit, weil die Kinderbetreuung fehlt

Lange Zeit war die Forderung nach mehr Kinderbetreuung der einzige Lösungsansatz, um insbesondere mehr Frauen zu ermöglichen, in Vollzeit zu arbeiten. So wichtig hochqualitative Kinderbetreuung ist: Das allein reicht nicht aus. Laut einer Studie der Statistik Austria ist es vielmehr so, dass 70,2 Prozent der wegen Betreuungspflichten Teilzeiterwerbstätigen sich auch selbst um ihre Kinder kümmern wollen. Daran wird auch kein „Recht auf Kinderbetreuung“, wie es unlängst von Grünen Chefin Leonore Gewessler gefordert wurde, etwas ändern. 

Faktisch richtig ist hingegen, dass Frauen durchschnittlich deutlich mehr Zeit mit unbezahlter Care-Arbeit verbringen als Männer. Weltweit sind es in entwickelten Ländern etwa dreieinhalb Stunden pro Tag, die Frauen sich um Kinder, Haushalt oder kranke Verwandte kümmern. Bei Männern sind es im Durchschnitt nur knapp zwei Stunden. Frauen verrichten also 1,6-mal mehr Care-Arbeit als Männer, auch in Österreich. Selbst wenn Frauen mehr arbeiten als Männer im selben Haushalt, übernehmen sie immer noch 60 Prozent der Kinderbetreuung. Hier kann und muss moderne Sozialpolitik ansetzen.

Mythos 4: Steuern haben doch eh keine Auswirkung auf Teilzeit 

In der Teilzeit-Debatte fehlt der Blick auf die Anreize. Steuern, Abgaben und Transferentzug (also niedrigere Sozialleistungen bei höherem Einkommen) können zu Teilzeitfallen werden. Denn die Österreicher:innen sind zwar nicht faul, aber auch nicht dumm. Wenn beim Wechsel von Teil- auf Vollzeit wenig Netto für noch weniger Freizeit bleibt, dann tun sich das viele nicht an.

Die Daten bestätigen den Eindruck der Bevölkerung, dass sich mehr arbeiten nicht lohnt: Die Steuerbelastung auf zusätzliches Einkommen liegt massiv über dem OECD-Schnitt. Für jeden zusätzlich verdienten Euro über dem Durschnitts-Verdienst fallen 58 Prozent mehr an Steuern und Abgaben an. Anders ausgedrückt: Der Nutzen von zusätzlicher Arbeit passt nicht zu den damit verbundenen Kosten.

Es gibt noch eine weitere Erklärung für den zunehmenden Fatalismus in einigen Alterskohorten. Die Immobilienpreise sind den Arbeitseinkommen in den letzten Jahren davongaloppiert. Was vor einer Generation mit einem Durchschnittseinkommen leistbar war, ist heute Luxus. So überrascht es nicht, dass fast die Hälfte der Männer und mehr als ein Viertel der Frauen, die Teilzeit arbeiten, es damit begründen, dass sie sich ihre Träume auch in Vollzeit nicht leisten könnten. Warum also sollten sie sich mehr anstrengen, wenn am Ende nichts dabei herauskommt

Mythos 5: Dem Sozialstaat ist die Teilzeit egal 

Die Politik hat nicht die Aufgabe zu moralisieren, sondern sie muss die richtigen Rahmenbedingungen sichern. Dennoch gibt es sozialpolitische Gründe, gewisse Trends bei der Arbeitszeit kritisch zu sehen. So hat die Agenda Austria berechnet, dass dem Staat 4,9 Milliarden Euro an Einnahmen entgehen, weil so viele Menschen aus freien Stücken lieber Teilzeit als Vollzeit arbeiten. Das ist die eine staatliche Seite der Medaille. Die andere ist das Einkommen: Würden alle Teilzeitbeschäftigten, die seit 2019 dazugekommen sind und sich freiwillig gegen Vollzeit entscheiden, nun doch aufstocken, könnten die Österreicher:innen jährlich bis zu 4,8 Milliarden Euro mehr verdienen. Diesen zusätzlichen Konsum bräuchte die stotternde Wirtschaft wie einen Bissen Brot. 

Grundsätzlich hat es den Staat wenig anzugehen, ob jemand so viel arbeitet, wie er oder sie kann oder wie er oder sie will. Auch eine sogenannte Lifestyle-Teilzeit ist völlig in Ordnung. Genauso wie es völlig in Ordnung ist, wenn ich mich entscheide, mein Auto nur Haftpflicht und nicht Vollkasko versichern zu lassen. Problematisch wird es, wenn ich Haftpflicht bezahle, aber Vollkasko verlange. Genau das passiert aber, wenn Teilzeit-Beschäftigte einen vollen Anspruch auf alle möglichen Leistungen erwerben. Dann ist es nämlich keine individuelle Entscheidung mehr, sondern eben mit einem Zugriff auf das Geld anderer Leute verbunden. Und das geht uns gerade aus. Daher wäre es hoch an der Zeit, Steuer-, Abgaben- aber auch Förderwesen grundlegend darauf zu untersuchen, ob sie die richtigen Anreize fördern. Wenn sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen, ist das positiv, wenn sie aber zur Inaktivitätsfalle werden, weil mehr Arbeit sogar bestraft wird, wäre das negativ. Eine große Strukturreform würde im Abgabensystem wohl nicht nur das Einkommen, sondern auch das Arbeitsausmaß berücksichtigen. Aktuell ist das aufgrund fehlender Daten in Österreich aber gar nicht möglich. 

Fazit: Anreize statt Vorschriften 

Zusammenfassend ist die Datenlage (wie so oft) unzureichend. Dennoch ist vieles von dem, was gerade durch die politische Arena gejagt wird, nicht nur nicht empirisch fundiert, sondern sogar explizit das Gegenteil der Faktenlage. Wer Teilzeit arbeitet, leistet genauso etwas wie diejenigen, die Vollzeit arbeiten. Die freiwillige Teilzeit nimmt in Österreich stark zu, weswegen ein Recht auf Vollzeit wenig hilft. Genauso wenig liegt es ausschließlich an fehlender Kinderbetreuung, dass viele Menschen Teilzeit arbeiten. Vielmehr stimmen die Anreize oft nicht. Deswegen kann es oft rational im Eigeninteresse von Beschäftigten liegen, weniger zu arbeiten, weil sie dann in Relation zu ihrem Aufwand mehr verdienen. Der Staat sollte die richtigen Rahmenbedingungen setzen, statt die Menschen mit noch mehr Regulierung und moralischen Präzeptionen zu bevormunden. 

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