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Appell für ein antifragiles Europa

Die liberale Demokratie und der europäische Zusammenhalt geraten zunehmend unter Druck durch autokratische globale Akteure. Wie man dagegen ankommen soll, war die zentrale Frage des Panel Talks, das das NEOS Lab Am Heumarkt in Kooperation mit dem European Liberal Forum (ELF) organisierte.

Silvia Nadjivan
Silvia Nadjivan
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Namhafte Expert:innen kamen am 27. November 2025 beim Panel Talk Am Heumarkt zusammen, um einerseits Ausprägungen von hybrider Kriegsführung und antidemokratischer Infiltrierung zu analysieren und andererseits entsprechende Gegenstrategien zu diskutieren. Helga Pattart-Drexler, NEOS-Lab-Geschäftsführerin, führte durch den Abend. Dabei stand die zentrale Frage im Mittelpunkt: „Was kann Europa gegen Desinformationskampagnen, Cyberangriffe und autokratische Einflussnahme durch Russland und zusehends Chinas sowie der USA unter Donald Trump tun?“ Einen Einblick in die vielschichtigen Antworten wird das demnächst erscheinende Buch „Fragile Europe“ des European Liberal Forum (ELF) bieten. Einen Vorgeschmack boten der Herausgeber und ELF-Vizepräsident Miłosz Hodun wie auch manche der Co-Autor:innen.

Problem europäische Fragilität

Wie immanent die hybride Kriegsführung Russlands gegenüber Europa ist, verdeutlichen aktuelle besorgniserregende Entwicklungen. Letzten November verübte der russische Geheimdienst einen Sprengstoffanschlag auf eine polnische Bahnstrecke. Parallel dazu lief, wie Miłosz Hodun erklärte, eine aggressive Desinformationskampagne auf den sozialen Plattformen, „denn 60 Prozent der Beiträge verbreiteten prorussische Propaganda“, so Hodun. Das alles in einem Land, das aus der historischen Erfahrung heraus eigentlich zum Bollwerk gegen die russische bzw. sowjetische Invasion zählt. Denn in einem Punkt stimmen die proeuropäischen wie auch europaskeptischen Lager überein, und das ist der gemeinsame Gegner Russland.

Was sich allerdings breit macht, ist eine zusehends Ukraine-skeptische Haltung. Die Instrumentalisierung von sozialen Medien soll die Skepsis gegenüber der Ukraine und der EU zusätzlich anheizen. Weitere Beispiele, vor allem zur Einflussnahme seitens Chinas und der USA unter Trump 2.0, werden sich im Buch „Fragile Europe“ finden, das mit seinen Handlungsempfehlungen die Fortsetzung von „Putin’s Europe“ darstellt.

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„Europa braucht ein neues Mindset.“

Völkerrechtsexperte Ralph Janik stellte das Konzept „Antifragilität“ vor.

Leben in der Utopie

Der Völkerrechtsexperte Ralph Janik gestaltete seine Keynote ganz nach dem Motto „Thinking out of the Box“, indem er dem Konzept der resilienten Demokratie jenes der „Antifragilität“ von Nassim Nicholas Taleb gegenüberstellte. Im Gegensatz zu Resilienz gehe es bei Antifragilität, so Janik, darum, nicht den vorherigen Zustand wiederherzustellen, sondern neue Entwicklungen zuzulassen und dadurch Demokratie und den europäischen Zusammenhalt nachhaltig zu stärken. Er appellierte dabei für ein neues Mindset, das Europa für zukünftige Herausforderungen dringend benötigen werde. Schließlich werden diese tendenziell mehr als weniger sein, auch wenn es in Europa seit 1945 einige gab. Vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine waren dies der Zypernkonflikt 1974 und die jugoslawischen Zerfallskriege der 1990er Jahre, nicht zu vergessen auch 9/11, der Anschlag auf das World Trade Center in New York, mit all den globalen sicherheitspolitischen Auswirkungen. Schließlich gab Janik zu bedenken: „Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass wir in jener Utopie leben, die die Gründer:innen des gemeinsamen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg erschaffen haben.“ Und: „Wir müssen antifragil sein.“

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Pavel Havlíček, Peter Bátor, Malwina Talik

Harte Realität

Den Panel Talk moderierte Dietmar Pichler, Experte für die Bekämpfung von Desinformation, wobei er mit seinen Fragen einen spannenden Bogen von aktuellen Ausprägungen autokratischer Infiltrierung über Hotspots bis zu möglichen Auswegszenarien spannte. Peter Bátor, Direktor des liberalen Inštitút Martina Filka, schöpfte bei seinen Ausführungen aus seiner jahrelangen Erfahrung als Politikstratege und -berater. So betonte er, dass er in dieser Funktion bereits 2014 vor der hybriden Kriegsführung Russlands gegen Europa gewarnt hatte, also in Zeiten der russischen Krim-Annexion. Feindliche Ziele seien damals bereits Polen, UK und Deutschland gewesen. Zu den aktuellen Friedensverhandlungen forderte er die EU auf, endlich „Ownership“, also Verantwortung, zu übernehmen. Denn: „Wir befinden uns seit 3,5 Jahren im Krieg. Es geht hier nicht nur um die Ukraine, sondern auch um die Freiheit und Souveränität Europas.“ Jedes Einverständnis zu Ungunsten der Ukraine biete Russland ein zukünftiges Einfallstor.

Autokratische Netzwerke

Als wichtiger Dreh- und Angelpunkt für internationale Spionagetätigkeiten erweist sich Wien. „Symbolischer könnte der Austragungsort dieser Veranstaltung nicht sein“, betonte NEOS Lab Senior Researcherin Silvia Nadjivan. Denn parallel zum Beginn der Organisation des „Fragile Europe“ Panel Talks füllten neue Details rund um einen noch immer nicht völlig aufgeklärten Spionageskandal die österreichische Berichterstattung. Ungeklärt sind nach wie vor die genauen Verbindungen und Machenschaften des russischen Geheimdiensts in Österreich. Bisherige Hinweise deuten auf die extreme Rechte und die FPÖ hin.

Weitere Skandale lassen sich außerdem auf europäischer Ebene festmachen. Beim Korruptionsskandal rund um die rechtspopulistische französische Partei Rassemblement National und Russland ist die Parteichefin Marine le Pen rechtskräftig verurteilt worden. Beim Spionageskandal der rechtsextremen AfD ist ein enger Mitarbeiter des ehemaligen AfD-Politikers Maximilian Krah rechtskräftig verurteilt worden, weil er nachweislich für China spioniert hatte. So ist nicht nur, aber vor allem die extreme Rechte in derartige Skandale verwickelt. Autokratische Narrative korrelieren also mit antidemokratischer Agitation.

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Pavel Havlíček, Peter Bátor, Malwina Talik, Silvia Nadjivan, Dietmar Pichler

Anti-Gender-Bewegung als disruptives Instrument

„Putins Russland hat nachweislich von 2019 bis 2023 europaweit die Anti-Gender-Bewegung massiv unterstützt“, weiß Malwina Talik, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) und freiberufliche Politikanalystin. Das primäre Ziel dieser massiven Unterstützung ist, Menschenrechte in Europa zu torpedieren und dabei die Öffentlichkeit zu polarisieren und folglich Europa von innen zu zersetzen. Besondere Zielscheiben dieser zugleich antidemokratischen und aggressiven Bewegung mit Unterstützung Russlands sind liberaldemokratische Politiker:innen, darunter vor allem Frauen wie mitunter die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, Österreichs Außenministerin Beate Meinl-Reisinger sowie Maia Sandu, Präsidentin der Republik Moldau. Und die Republik Moldau ist das erste Land, in dem die russische Propagandamaschinerie die Parlamentswahlen nicht antidemokratisch infiltrieren und dadurch den proeuropäischen Kurs – im Unterschied zu Georgien – aufhalten konnte. Wichtiger Grund dafür war die enorme Unterstützung der EU unter der Ägide der EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos.

Gegenmaßnahmen auf EU-Ebene

Während die russische und chinesische Staatsspitze u.a. mittels Korruption die europäische Öffentlichkeit antidemokratisch zu infiltrieren trachten, setzen die USA unter Trump 2.0 ausschließlich auf öffentliche Inszenierungen und soziale Plattformen. Dies sei genauso besorgniserregend, betonte Pavel Havlíček, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Association for International Affairs (AMO) in Prag. Beispielhaft nannte er das Gespräch zwischen Elon Musk auf dessen sozialer Plattform X (ehemals Twitter) und der AfD-Parteichefin Alice Weidel kurz vor den Bundestagswahlen in Deutschland – ein klarer Versuch der Wahlbeeinflussung also. In Tschechien selbst beschrieb er die Reaktion auf Infiltrierungsversuche von außen als durchwachsen, weil es innerhalb der rechtskonservativen und ultrarechten Regierung keine hierzu keinen Konsens gebe. Die Lösung liegt somit wie so oft auf EU-Ebene; neben dem Digital Services Act (DSA), dem European Media Freedom Act (EMFA) erarbeitet auch der European Democracy Shield (EUDS) Sonderausschuss Strategien zur Verteidigung des europäischen Informationsraums und folglich der liberalen Demokratie in Europa. Abgesehen davon appellierte er an Europa, „den konstruktiven Dialog mit den USA abseits von Trump und dessen Administration aufrechtzuerhalten”.

Lösungsvorschläge gibt es viele. Was es jetzt braucht, ist der Mut, sich den neuen Herausforderungen resilient bis antifragil zu stellen.

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