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Lehrplanreform: Der Minister lässt auf sich warten, der Arbeitsmarkt ist jedoch ungeduldig

Trotz monatelanger Ankündigungen und Verschiebungen wurde die dringend benötigte Lehrplanreform noch immer nicht präsentiert. Stattdessen sickern einzelne Änderungen, wie ein Fach digitale Bildung, durch. Der große Wurf fehlt, damit lässt der neue Bildungsminister warten. Der Arbeitsmarkt ist jedoch ungeduldig und die Schüler_innen und Lehrer_innen wollen Klarheit. Weder können die Schüler_innen weiter zu warten, noch können es Unternehmer_innen, die händeringend nach Arbeitskräften mit adäquaten Kompetenzen suchen. Es hängt also sehr viel davon ab, wie wir Schule in Zukunft gestalten wollen. Von Johannes Stolitzka

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Die Lehrpläne der Schulen sind veraltet. Das erkannte - spät, aber doch - auch der letzte Bildungsminister Heinz Faßmann. Als Reaktion wurde ein Prozess gestartet, um die Lehrpläne der Schulen grundsätzlich zu erneuern. Die Präsentation einer der größten Lehrplanreformen der 2. Republik wurde für den Herbst 2021 angekündigt. Als der Herbst ohne große Ankündigungen verstrich, hörte man von einer Verschiebung auf den Jänner und später auf den März 2022. Doch seitdem der neue Bildungsminister Martin Polaschek am Ruder ist, ist es sehr still um eine Reform geworden. Aus dem Umfeld des Ministeriums ist zu hören, dass auch intern Ratlosigkeit über den weiteren Prozess herrscht. Dass das Bildungssystem einen großen Reformwurf dringend benötigt, zeigen nicht nur ein negativer Trend bei PISA, sondern auch zunehmende Probleme am Arbeitsmarkt. Wo genau liegt aber das Problem der aktuellen Lehrpläne?

Der derzeitige Fokus liegt auf einem Pauken von Schulstoff, wobei wichtige Kompetenzen des 21. Jahrhunderts sträflich vergessen werden. Einerseits kommen einerseits Skills wie kritisches Denken, Problemerkennen und -lösen zu kurz. Andererseits werden die digitale Bildung, Wirtschafts- und Finanzbildung, politische Bildung und - die immer wichtiger werdende - gesundheitspsychologische Bildung noch immer zu oberflächlich gelehrt. Die Folgen sind weitreichender, als so mancher denken mag. 

Denn es liegt auf der Hand, dass im digitalen Zeitalter digitale Fähigkeiten, in einer globalen Welt Finanz- und Wirtschaftskompetenzen, in einer Demokratie politisches Bewusstsein und für ein gesundes Leben gesundheitspsychologisches Grundwissen benötigt werden. Ohne diese Kompetenzen wird es in Zukunft schwierig werden, den Alltag als mündige_r Bürger_in gestalten zu können. Ein Fehlen dieser Fähigkeiten hat aber noch weitreichendere Folgen, besonders mit Blick auf den österreichischen Wirtschaftsstandort. 

Denn nicht erst seit den letzten Monaten suchen Unternehmen händeringend nach Menschen mit genau jenen Fähigkeiten. Besonders im Bereich der IT müssen sich viele österreichische Unternehmer_innen über die Grenzen des europäischen Binnenmarktes hinaus nach Fachkräften umsehen, wobei ein kompliziertes Visaverfahren hier noch ein zusätzlicher Hemmschuh ist. 2020 hatten es 74% der Unternehmen, die nach IKT-Spezialist_innen suchten, schwer, überhaupt jemanden einstellen zu können. Das ist nicht nur im EU-Vergleich eine erschreckend hohe Zahl, sondern auch eine gravierende Steigerung seit 2012, wie Abbildung 1 zeigt. Dabei ist der Druck auf Unternehmer_innen insgesamt am Arbeitsmarkt sehr hoch: Mit über 170.000 offenen Stellen im 4. Quartal 2021 wurde ein neuer Rekord am Arbeitsmarkt verzeichnet, gleichzeitig waren jedoch fast 300.000 Arbeitslose zu vermelden. Hier scheint es immer öfter einen Mismatch zwischen Arbeitssuchenden and Anbietern zu geben.

Der Grund für das Fehlen von österreichischen Fachkräften ist hauptsächlich im Bildungssystem zu finden. Wie die OECD feststellte, ähneln die Jobwünsche der 15-Jährigen von heute stark den Berufswünschen von Schüler_innen vergangener Jahrzehnte. Doch aufgrund der digitalen Revolution sind einige der gewünschten Jobs von Automatisierung bedroht. Die Zahlen zeigen das deutlich: Nach ihrem Traumberuf gefragt, nennen Österreichs Schüler_innen zu ca. 40% Jobs, die es in Zukunft gar nicht mehr geben könnte; Schüler_innen aus bildungsfernen bzw. sozioökonomisch benachteiligten Familien sogar zu bis zu 43%.

Dabei könnten Schüler_innen im Bereich der IKT und des Gesundheits- und Sozialwesens mit hohen Einstiegsgehältern rechnen. Ein Fakt, der sich - zumindest auf den höheren weiterbildenden bzw. Hochschulen - nicht in den Inskriptionszahlen niederzuschlagen scheint, wie das Beispiel- des IKT Studiums deutlich zeigt: Trotz eines durchschnittlichen Bruttogehalts von über 3.800€ nach 36 Monaten, entfallen weniger als 6% aller Inskriptionen auf den Bereich IKT; 50% davon werden abgebrochen. Auch auf den Topverdienerbereich Gesundheits- und Sozialwesen entfallen lediglich 9% der Inskriptionen. Andere Studienrichtungen, die mit deutlich geringeren Gehaltssprüngen aufwarten, wie Geisteswissenschaften, erfreuen sich deutlich größerer Beliebtheit, wie Abbildung 2 zeigt.

Der Schlüssel, um einem zunehmenden Mismatch zwischen Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt entgegenzuwirken, ist der Lehrplan und noch viel mehr die Ausbildung der Lehrkräfte. Der beste Lehrplan kann die Arbeit der Lehrkraft nicht ersetzen: Lehrer_innen sind der wichtigste Erfolgsfaktor für eine gelungene Bildung, gleichzeitig sollten sie für ihre Schüler_innen als Vorbilder fungieren. Wenn sich nur ein 1/5 der Lehrer_innen auf digitales Unterrichten vorbereitet fühlen, ist es schwierig, als Vorbild für eine zukünftige IKT-Berufung zu dienen. Eine Neuordnung der Aus- und Weiterbildung ist deswegen in den Bereich der 21st Century Skills, so wie in den Bereichen Wirtschafts- und Finanzbildung, digitale Bildung, politische Bildung und gesundheitspsychologische Bildung, unbedingt erforderlich. 

Gleichzeitig muss das Bildungsministerium endlich mit offenen Karten spielen und neue Lehrpläne, angepasst an die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts, präsentieren: Sowohl die Zukunft der Schüler_innen, als auch des Standorts Österreich hängen davon ab. Weder können Unternehmer_innen, Lehrkräfte und Schulleiter_innen, noch die Schüler_innen länger auf dringend nötige Reformen warten.

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