Der Krieg in der Ukraine lässt vieles unbedeutend, ja geradezu lächerlich erscheinen. Unsere Probleme müssen ja an Bedeutung verlieren, wenn es nicht weit von uns entfernt um Leben oder Tod geht. Die schrecklichen Ereignisse machen bewusst, was Frieden, Freiheit und Sicherheit bedeuten. Wir erleben hautnah, dass ohne Frieden, Freiheit und Sicherheit alles nichts ist. Uns bleibt nur, den Notleidenden zu helfen, Menschen bei uns aufzunehmen und sie zu unterstützen.
Der brutale Angriff auf die Ukraine zeigt uns aber auch, wie glücklich wir uns schätzen können, Mitglied der EU zu sein und in einer Demokratie zu leben. Beides gibt es nicht zum Nulltarif. Die EU ist nur so stark, wie ihre Mitglieder es zulassen. Für die Mitgliedstaaten stehen aber oft nicht gemeinsame Interessen im Vordergrund. So wird EU-Skepsis geschürt, um bei Wahlen zu punkten. Um dem entgegenzuwirken, braucht es informierte und kritische Bürgerinnen und Bürger.
"Auch ein neutraler Staat muss sich verteidigen können. Anders als in der Schweiz und in Schweden ist das bei uns noch nicht im allgemeinen Bewusstsein verankert. Hier haben wir dringenden Nachholbedarf."
Und die Demokratie? Auch sie ist nur so stark, wie wir es zulassen. Denn die Demokratie ist keine Dienstleistung, die wir in Anspruch nehmen können, ohne etwas dafür tun zu müssen. Nur wenn wir Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und Grundfreiheiten schätzen und auch bereit sind, uns für eine saubere Politik einzusetzen, kann die Demokratie Bestand haben.
Es ist daher gerade jetzt notwendig, dass wir uns gegen Korruption und Misswirtschaft in der staatlichen Verwaltung wehren. Verglichen mit dem, was in der Ukraine geschieht, mögen das Luxusprobleme sein. Nur ein gut verwalteter und von verantwortungsvollen Politikern geführter Staat kann aber den gewaltigen Herausforderungen gewachsen sein. Zu Klimaänderung, Energiekrise, Pandemie kommt jetzt noch die veränderte und auch für einen neutralen Staat bedrohliche Sicherheitslage. Denn Neutralität allein bietet keinen ausreichenden Schutz. Auch ein neutraler Staat muss sich verteidigen können. Anders als in der Schweiz und in Schweden ist das bei uns noch nicht im allgemeinen Bewusstsein verankert. Hier haben wir dringenden Nachholbedarf.
Irmgard Griss war Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und Abgeordnete zum Nationalrat der NEOS.
Der Kommentar erschien am 14. März 2022 in der Kleine Zeitung.