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Versorgungsmangel oder Ärztemangel: Woran das Gesundheitssystem wirklich krankt

Der sogenannte Ärztemangel ist seit Jahren Dauerthema in den österreichischen Medien. Dabei sind sich alle Expert:innen einig, dass es den so nicht gibt. Das wirkliche Problem: zu wenige Kassenärzt:innen und daraus folgend ein wahrgenommener Versorgungsmangel im niedergelassenen Bereich. Ursachen und Lösungen sind komplex. 

Seit etwa 2005 ist der Ärztemangel eines jener Themen, die als Dauerbrenner die österreichische Medienlandschaft prägen. Davor warnte die Österreichische Ärztekammer noch, es gebe zu viele Ärzt:innen und suchte nach Lösungen für die sogenannte Ärzteschwemme. Doch seither hört und liest man das Gegenteil: unbesetzte Kassenstellen, zu lange Wartezeiten, und überhaupt seien die Patient:innen immer unzufriedener mit der medizinischen Versorgung. Zugleich heißt es aber immer wieder, Österreich habe eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Wie passt das zusammen? 

Ärztemangel, was ist das eigentlich? 

Einen Ärztemangel gibt es dann, wenn die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen größer ist als das Angebot. Die Physikerin weiß: Leistung ist Arbeit durch Zeit. Es kommt also nicht nur darauf an, wie viele Menschen in die Ärzteliste der ÖÄK eingetragen sind (50.631), sondern auch, wie viel sie arbeiten. Das magische Wort heißt Vollzeitäquivalente: Das ist die Anzahl der gearbeiteten Stunden geteilt durch die übliche Arbeitszeit bei Vollzeit. Grob geschätzt sind das für die österreichische Ärzteschaft etwa 41.000 Vollzeitäquivalente, oder etwa 4,5 Vollzeitärzt:innen pro 1.000 Einwohner:innen. Das ist üppig. 

Es gibt keinen Ärztemangel, aber einen Versorgungsmangel

Die OECD erhebt regelmäßig, wie viele praktizierende Ärzt:innen es in den Mitgliedstaaten gibt. Seit Jahren liegt Österreich hier im Spitzenfeld. 2022 gab es 5,4 Ärzt:innen pro 1.000 Einwohner:innen. Nur Griechenland (6,6) und Portugal (5,7) hatten auf die Bevölkerung gerechnet noch mehr. Regionale Unterschiede gibt es zwar, doch selbst im strukturschwachen Burgenland liegt die Ärztedichte bei 4,25 und damit deutlich über dem OECD-Schnitt von 3,7. Es ist also glasklar: einen absoluten Ärztemangel gibt es nicht. Damit ist die Diskussion aber noch nicht beendet. 

Obwohl Österreich im internationalen Vergleich eine hohe Ärztedichte aufweist, ist die Lage im Hinblick auf Allgemeinmedizin wesentlich angespannter. Während im OECD- Schnitt 23 Prozent der Ärzteschaft Allgemeinmedizin praktizieren, waren es in Österreich lediglich 13 Prozent, womit das Land auf Platz 28 von 38 liegt. Das bedeutet, dass auf tausend Österreicher:innen durchschnittlich nur 0,65 Allgemeinmediziner:innen kommen. 

Noch verheerender ist das Bild bei den Kassenärzt:innen. Ihr Anteil an der Ärzteschaft liegt bei 18,3 Prozent. Wie hoch der Anteil der Allgemeinmediziner:innen bei den Kassenärzt:innen ist, kann nur geschätzt werden – was viel über die schlechte Datenlage im Gesundheitssystem verrät. Es gibt also einen Versorgungsmangel im öffentlichen Gesundheitswesen. 

Unattraktive Kassenverträge

In den letzten Jahren gab es einen klaren Trend: Immer weniger Ärzt:innen entschieden sich für einen Kassenvertrag. Doch woran liegt das? Obwohl man immer wieder das Gegenteil liest, ist es nicht nur das Geld. Denn Wahlärzt:innen verdienen deutlich weniger als Kassenärzt:innen. Im Jahr sind es durchschnittlich 94.566 Euro, und damit etwa 45.000 Euro weniger als Vertragsärzt:innen. Wichtiger dürften strukturelle Faktoren sein. Die Kassenverträge schreiben die Öffnungszeiten und Tarife vor. In der Wahlarztpraxis ist das anders. Gerade für die neue Generation an Ärzt:innen, die mehr Wert auf Work-Life-Balance legt und die Zeit mit der Familie als Priorität erkennt, spielt das eine wesentliche Rolle. 

Unerwünschte Nebenwirkungen 

Dass die niedrige Kassenarztdichte ein ernstes Problem ist, zeigt sich an drei Phänomenen: Erstens müssen Patient:innen lange auf einen Termin in einer Kassenordination warten. Zweitens führt das dazu, dass diejenigen, die es sich leisten können, zu Wahlärzt:innen wechseln. Denn dort ist es wesentlich leichter einen raschen Termin zu bekommen. Drittens weichen diejenigen, die es sich nicht leisten können, Wahlarztkosten vorzustrecken, in die Spitäler aus. Dadurch sind vielerorts die Notaufnahmen mit Patient:innen überlastet, die dort nicht hingehören. Das ist nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein administratives Problem, denn dadurch müssen die Bundesländer Kosten decken, für die eigentlich die ÖGK zuständig ist. Sowohl die Finanzierung als auch die Entscheidungsprozesse im österreichischen Gesundheitssystem sind im Föderalismus-Dschungel gefangen. Das ist ineffizient und erschwert Kontrolle und Reformen.

Der demografische Wandel und die steigende Nachfrage nach medizinischen Leistungen verschärfen die Problematik weiter. Die zunehmende Alterung der Bevölkerung erhöht die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen, insbesondere in der geriatrischen und chronischen Versorgung, während viele Ärzt:innen selbst vor der Pensionierung stehen. Mit einem generellen Ärzt:innenmangel ist allerdings – wenn überhaupt – erst  2030 zu rechnen, wie Prognosen der Gesundheit Österreich zeigen. 

„Österreichs Gesundheitssystem ist gut, aber ineffizient“

Trotz aller Probleme ist die Lage noch lange nicht katastrophal. Obwohl medial oft anderes verbreitet wird, ist die Lebenserwartung in Gesundheit hierzulande überdurchschnittlich hoch. Die vorzeitige Sterblichkeit aus vermeidbaren oder behandelbaren Gründen liegt deutlich unter dem EU-Schnitt. 99 Prozent der Österreicher:innen bekommen die medizinische Versorgung, die sie brauchen. Einen ungedeckten Bedarf an medizinischen Leistungen gibt es kaum: Nur 0,6 Prozent der Bevölkerung gaben an, dass ihre Bedürfnisse nicht gedeckt würden. Österreich liegt hier im EU-Spitzenfeld. 

Im Spitzenfeld liegt das Land allerdings auch bei den Kosten. Österreich zählt zu den EU-Mitgliedern mit den höchsten Gesamtausgaben für das Gesundheitssystem, und das schon seit langem. Nur Deutschland und Belgien geben im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftsleistung mehr für Gesundheit aus. Grundsätzlich lohnen sich Gesundheitsausgaben. Wo mehr ausgegeben wird, ist auch die Lebenserwartung der Bevölkerung in Gesundheit höher. Doch der internationale Vergleich zeigt, dass viele Länder im Verhältnis zu ihren Ausgaben bessere Ergebnisse erzielen als Österreich. Was das Land 2022 mit circa 10 Prozent des BIP an Gesundheitsausgaben erreichte, sollte auch mit etwas über 9 Prozent möglich sein. Das entspräche einer Einsparung von bis zu 5 Milliarden Euro jährlich. Österreichs Gesundheitssystem ist also gut, aber ineffizient. 

Was bisher geschah 

Es fehlt an Kassenärzt:innen. Bisherige Versuche, das zu ändern, haben noch nicht ausgereicht. Mit der Gesundheitsreform bzw. dem Finanzausgleich 2023 wurde eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, darunter die Schaffung von 100 neuen Kassenstellen und der Ausbau von Primärversorgungseinheiten (PVE). Diese Einheiten sollen die Versorgungssituation verbessern, indem sie multidisziplinäre Gesundheitsdienste unter einem Dach vereinen und eine Entlastung für Allgemeinärzt:innen bieten. Das Ziel, bis 2025 insgesamt 120 PVEs einzurichten, ist jedoch aufgrund von Verzögerungen und personellen Engpässen gefährdet. 

Initiativen zur Bindung von Absolvent:innen an das öffentliche Gesundheitssystem, wie das Landärzt:innenstipendium und reservierte Studienplätze, zeigen begrenzte Erfolge. Besonders erfolgreich ist das Modell des Bundesheers, das Medizinstudierenden finanzielle Sicherheit und berufliche Perspektiven bietet, gekoppelt an eine Verpflichtung im öffentlichen Dienst. Dieses Modell könnte für den zivilen Bereich adaptiert werden, um die Abwanderung von Mediziner:innen ins Ausland zu verringern und sie dazu zu motivieren, im öffentlichen Gesundheitssystem tätig zu werden. 

Für sinnvolle Reformen wäre auch eine Verbesserung der Datenmenge und -qualität dringen notwendig – und nicht zuletzt ein Ende des Kompetenz-Wirrwarrs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, also eine Föderalismusreform. 

Ausführlicher lest ihr über die Probleme und Lösungsansätze in unserem bald erscheinenden Policy Brief. Stay tuned!

(Bild: cdc/unsplash)

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