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Wie der Arbeitskräftemangel unseren Wohlstand gefährdet

Lukas Sustala
Lukas Sustala

Der Arbeitskräftemangel ist längst zum Wohlstandsrisiko geworden. In sechs Grafiken zeigt sich sein Ausmaß in Österreich. Wenn wir ihn nicht besser in den Griff bekommen, droht ein weiterer Abstieg für den Wirtschaftsstandort Österreich. Das NEOS Lab will daher mit Bürger:innen und Unternehmer:innen Lösungen finden – und hat zusammen mit dem Abgeordneten Gerald Loacker einen partizipativen Prozess gestartet.

Bild: Adolfo Félix, unsplash.com

Der Arbeitsmarkt in Österreich wurde auf den Kopf gestellt. Mittlerweile halten nicht mehr Arbeitgeber:innen mögliche Bewerber:innen „in Evidenz“, es ist längst anders herum, wie AMS-Chef Johannes Kopf gerade schilderte (Ö3: Frühstück bei mir). 

Das hat mehrere Gründe. Einer ist simple Mathematik. Der demografische Wandel hat Österreich erreicht und die Zahl derjenigen, die von der Statistik Austria als „im arbeitsfähigen Alter“ eingestuft werden, nimmt ab heuer ab. Das trägt zu einer paradoxen Situation bei: Unternehmen müssen derzeit nicht Mitarbeiter:innen abbauen, weil sie keine Aufträge mehr haben, sondern Aufträge ablehnen, weil sie nicht genügend Mitarbeiter:innen haben. Der Arbeitskräftemangel ist in Österreich zu einem der wichtigsten Hemmschuhe für das Wachstum geworden. In Salzburg geben bereits sieben von zehn Betrieben an, die von Fachkräftemangel betroffen sind, dass sie Umsatzeinbußen haben, weil ihnen Mitarbeiter:innen fehlen. 

Österreich, Land des Arbeitskräftemangels

Diese Wohlstandsbremse droht noch weiter angezogen zu werden. Denn in Österreich hat sich der Arbeitsmarkt zuletzt trotz der Energiekrise noch weiter sehr positiv entwickelt. Die Bundesregierung hat die gute Konjunkturlage zudem weiter mit Subventionen und hoher Neuverschuldung angekurbelt, gleichzeitig sind in Österreich sehr lange auch noch Kurzarbeitshilfen gelaufen, die Menschen in Beschäftigung gehalten haben. Die Folge: Österreich ist in der EU das Land mit dem höchsten Stand an offenen Stellen, die noch nicht besetzt werden konnten. Die so ermittelte „Vakanzenrate“ liegt bei fast 5 Prozent, viel höher als im Schnitt der vergangenen Jahre und auch deutlich höher als im EU-Vergleich. 

Steuersystem macht einen Strich durch die Rechnung

Dass sich die Lage wenig entspannt hat, liegt nicht zuletzt auch an der immer noch hohen Belastung des Faktors Arbeit. Wie wir auch in unserer 2022 veröffentlichten Studie („Gesucht! Lösungen für den Arbeitskräftemangel“) argumentiert haben, ist die hohe steuerliche Belastung jeder zusätzlichen Arbeitsstunde ein Hemmnis für eine rasche Ausweitung des Arbeitskräfteangebots. Wer will schon gerne von 30 auf 35 Stunden aufstocken, wenn bei den laufenden Bezügen fast sechs von zehn Euro in Form von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern weggeknabbert werden? Laut der „OECD Taxing Wages“-Studie, die in allen Industrieländern die Steuer- und Abgabensysteme vergleicht, zahlen die Unternehmen einem Durchschnittsverdiener in Österreich zwar vergleichsweise hohe Gehälter und Lohnnebenkosten, doch die Menschen verdienen dafür unterm Strich vergleichsweise geringe Nettoeinkommen. Die Mitarbeiter:innen kosten zu viel und verdienen zu wenig, wie das auch der Unternehmer und Ex-NEOS-Abgeordnete Sepp Schellhorn gerne zusammenfasst.   

Österreich auf dem Weg in die Teilzeitfalle

Das österreichische Steuersystem hat natürlich auch Auswirkungen auf die Struktur der neu geschaffenen Stellen. Ein Steuersystem, das bereits einen Durchschnittsverdiener mit einer Abgabenbelastung von fast 50 Prozent konfrontiert, lädt natürlich nur bedingt dazu ein, noch eine Stunde mehr zu arbeiten oder von Teilzeit auf Vollzeit aufzustocken. Das Gegenteil ist in Österreich zu erkennen. Österreich hat mit den Niederlanden mittlerweile die höchste Teilzeitquote in Europa. Seit 1995 ist kein neues Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis mehr dazugekommen. Dafür sind rund 800.000 neue Teilzeitjobs entstanden. 

Solange diese Teilzeit-Jobs vor allem freiwillig entstehen, und zum Beispiel ein Ausdruck von neuen, modernen Arbeitswelten sind, wäre auch wenig einzuwenden. Doch es ist ein Faktum, dass viele Menschen gar nicht anders können, als in Teilzeit zu arbeiten, weil z.B. Schulen und Kindergärten keine qualitätsvollen ganztägigen Angebote haben. Das hat mittel- und langfristig natürlich auch Folgen für das Auskommen im Alter.

Dass mittlerweile auch aus der Industriellenvereinigung oder der Wirtschaftskammer lauthals nach einem Ausbau des Kinderbetreuungsangebots gerufen wird, ist nicht verwunderlich. Dass sich diesem Ruf auch die Landwirtschaftskammer angeschlossen hat, zeigt, wie groß der Bedarf mittlerweile ist. Klar ist aber, dass gerade auch die Kinder und Jugendlichen davon profitieren würden, wenn es einen hochqualitativen Ausbau des Betreuungsangebots geben würde.   

Mangelberufe nehmen zu

Auch wenn der demografische Wandel längst den gesamten Arbeitsmarkt fest im Griff hat, so zeigt ein Blick auf die verschiedenen Wirtschaftssektoren überdeutlich, dass der allgemeine Arbeitskräftemangel den Fachkräftemangel in der Wirtschaft an vielen Stellen noch einmal massiv verschärft. Das gilt etwa für Spezialist:innen im IKT-Bereich. Österreich hat hier einen eklatanten Mangel. Ebenso hat die Pandemie auch noch Branchen wie die Hotellerie oder die Gastronomie erschüttert. In der Steiermark etwa ist die Mangelberufsliste von 74 auf 129 Jobs gestiegen (Krone). Die Wirtschaftskammer rechnet noch mit einer massiven Verschärfung dieser Situation bis 2040. Die Folge wäre wohl, dass sich weniger neue Unternehmen in Österreich niederlassen, oder aber mehr arbeitsplatznahe Aus- und Weiterbildungen angeboten werden müssen, um das fehlende Arbeitskräfteangebot zu schaffen. 

Die liberale Denkfabrik Agenda Austria hat in einer ausführlichen Studie zum Arbeitskräftemangel zudem aufgezeigt, dass sich die Zahl der Mangelberufe seit 2014 mehr als verzehnfacht hat. Sie ziehen sich mittlerweile längst durch die verschiedenen Branchen – vom Elektroinstallateur bis zum Koch. Nachzulesen ist die Studie hier: https://www.agenda-austria.at/publikationen/der-arbeitsmarkt-faehrt-achterbahn/das-west-ost-gefaelle/

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Kein schöner Land für Talente

Doch auch bei der Entschärfung des Arbeitskräftemangels durch qualifizierte Zuwanderung tut sich Österreich schwer. Denn ein neuer Index der Industrieländer-Denkfabrik OECD zeigt: Für international flexible Talente und Fachkräfte ist Österreich aus verschiedenen Gründen wenig attraktiv. Österreich habe „einen substanziellen Rückschritt im Ranking“ erlebt, warnt die OECD. „Hochqualifizierte Arbeitnehmer haben es in Österreich schwerer, entsprechend ihrer Qualifikation beschäftigt zu werden, dazu kommt ein großer Steuer- und Abgabenkeil, eine hohe Ablehnungsquote für Visa und lange Visa-Zulassungsverfahren.“ Auch bei der Integration und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist Österreich international nicht im Spitzenfeld anzutreffen. Das verschärft den Arbeitskräftemangel noch zusätzlich. 

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Bei der Attraktivität für internationale Talente liegt Österreich nur im unteren Mittelfeld. 

Handlungsempfehlungen: 

Es ist wichtig, den Arbeitskräftemangel zu entschärfen. Das ist einerseits ökonomisch vernünftig. Denn wenn eine der wichtigsten Wachstumshürden in Österreich kleiner ausfällt, sichert das auch Wohlstand im Land. Das ist aber auch für die Beschäftigten sinnvoll. Arbeitskräftemangel äußert sich oft auch in (Über-)Forderung am Arbeitsplatz. Nachrichten über unterbesetzte Pflege- oder Spitalsstationen zeigen das besonders deutlich. 

Was ist also zu tun, um den Arbeitskräftemangel zu reduzieren? Einige Leitplanken ergeben sich aus der Studienlage:

  • Jedes Potenzial nutzen: Bessere Ergebnisse im Schulsystem sowie ein längeres gesundes Berufsleben sollten den Arbeitsmarkt durchgehend entlasten, sowohl bei den jüngeren als auch bei den älteren Arbeitnehmer:innen. Reformen im Bildungssystem müssen es ermöglichen, dass weniger junge Menschen das Bildungssystem ohne grundlegende Fertigkeiten verlassen. Und Reformen im Pensionssystem müssen verhindern, dass gesundheitlich fitte, ältere Menschen den Arbeitsmarkt weiterhin so früh verlassen (müssen).
  • Hürden für mehr Beschäftigung abbauen. Das Steuersystem sollte dahingehend umgebaut werden, dass vor allem die Mehrbelastung für die Ausweitung der eigenen Arbeitszeit wegfällt. Dazu könnten die Arbeitsstunden in die Berechnung des Steuersatzes einfließen oder ein eigener „Vollzeit“-Bonus eingeführt werden. Die einfachere Variante wäre allerdings, die zusätzliche Steuerbelastung jedes Euros zu senken. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Steuerreformen ausschließlich auf Verteilung geachtet und die unteren Einkommen in der Steuerprogression entlastet. Dabei braucht es gerade in der Mitte eine Entlastung.
  • Lohnnebenkosten senken. Eine weitere Entlastung sollte bei den Lohnnebenkosten in Angriff genommen werden. Der Wettbewerb um internationale Fachkräfte wird härter, und Österreich muss an mehreren Schrauben drehen, um in ihm nicht weiter abzurutschen.
  • Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern. Investitionen in die Elementarpädagogik rechnen sich mehrfach. Für die Kinder, für die Bildungskarrieren, für die Eltern und ihren Zugang zum Arbeitsmarkt. In Zeiten eines nie dagewesenen Arbeitskräftemangels ist es so wichtig wie schon lange nicht, statt kleiner Veränderungen im System eine große Reform in Angriff zu nehmen. Im NEOS Lab haben wir errechnet, dass es jährlich wohl rund 1,5 Milliarden Euro zusätzlich braucht, um die Betreuungssituation der skandinavischen Länder auch in Österreich zu erreichen. Weil so viel Zeit verstrichen ist, müssen nun alle zusammen die Möglichkeiten schaffen: Betriebe, Länder und der Bund.
  • Arbeitslosenversicherung reformieren. Die Arbeitslosenversicherung in Österreich kann und sollte verbessert werden. Aktive Arbeitsmarktpolitik sollte man daran messen, wie rasch Menschen wieder in Beschäftigung kommen. Ein Arbeitslosengeld, das völlig unabhängig davon ist, läuft diesem Ziel zuwider. Eine degressive Ausgestaltung (Erhöhung des Arbeitslosengelds zu Beginn, Senkung nach mehreren Monaten) sollte eingeführt werden. Weitere Vorschläge haben wir auch in der Publikation „Arbeitslosenversicherung statt Kündigung“ vorgestellt.

Wir wollen aber vor allem auch hören, welche Lösungen ihr seht, um den Arbeitskräftemangel zu lindern. Auf mitreden.lab.neos.eu habt ihr bis zum 18. April die Möglichkeit dazu:

OECD (2023): What is the best country for global talents in the OECD?

Wirtschaftskammer (2023): Der Arbeitsmarkt der Zukunft.

Eco Austria (2021): Kurzstudie: Wirtschaftspolitische Maßnahmen gegen durch Arbeitskräftemangel bedingte wirtschaftliche Wachstumshemmnisse

NEOS Lab (2022): Gesucht! Abhilfe für den Arbeitskräftemangel. Policy Brief.

NEOS Lab (2021): Arbeitslosenversicherung. Wie Kündigungen reduziert werden können. Policy Brief.

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