Draghis Papiertiger
Viel Papier, zu wenig Bewegung. Kein seltener Befund. Heute: featuring Mario Draghi.

Papier ist geduldig, sagt man. Mario Draghis großer Bericht über Europas Wettbewerbsfähigkeit liegt jetzt ein Jahr zurück. Das Ergebnis? Viel Papier, zu wenig Bewegung. 383 Maßnahmen zählte das Draghi-Observatorium – umgesetzt sind davon ganze 11,2 Prozent. Die Papierstapel in der EU-Kommission sind gewachsen, die Reformkraft noch nicht.
Dabei sind die Herausforderungen vom italienischen Ex-Ministerpräsidenten und Ex-EZB-Chef durchaus klar benannt worden: Energiepreise sind standortschädlich hoch, Forschungsausgaben zu unkoordiniert, Investitionen zu niedrig, und von einem europäischen Kapitalmarkt spricht man nur in EU-Regelwerken aber nicht in der europäischen Realität.
Papiertiger gegen Drachenbär
Wer so gegen die geopolitischen „Drachenbären“ antreten will – wie die geopolitischen Widersacher des Westens gerne von Velina Tchakarova beschrieben werden –, bringt eher ein Origami-Schwert zum Duell.
Wer als Papiertiger gegen den Drachenbären antreten will, bringt ein Origami-Schwert zu Duell.Lukas Sustala
Leiter Thinktank und Martial-Arts-Experte
Genau deshalb hat Georg Lundström-Halbgebauer im NEOS Lab Policy Brief destilliert, was es jetzt braucht: nicht noch mehr Papiere, sondern konkrete Schritte. Mehr Freihandelsabkommen, um europäischen Unternehmen Zugang zu neuen Märkten zu verschaffen. Eine Kapitalmarktunion, die Investitionen ermöglicht. Energiekosten, die nicht länger Standortkiller sind. Zielgerichtetere Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die wieder für Innovation auf Weltniveau sorgen können. Kurz: eine Wirtschaftspolitik, die Industrie nicht zu konservieren versucht, sondern erneuert, stärkt – oder besser: zukunftsfest macht. Denn Papier mag geduldig sein. Der Markt ist es nicht.
Papier ist geduldig, der Markt nicht
Bleiben Europas Standortnachteile bestehen, die Dottore Draghi diagnostiziert hat, verliert Europas Industrie weiter Marktanteile im globalen Wettbewerb und kann entsprechend weniger investieren.
Apropos Wettbewerb: In Österreich wurde zuletzt vieles von den davongaloppierten Lohnstückkosten überschattet. Aber immerhin haben sich die Sozialpartner hierzulande bei einer Frage zu einem Entschluss durchgerungen. Der neue Metaller-KV-Abschluss liegt deutlich unter der Inflation. Das bedeutet: kurzfristig weniger Kaufkraft, langfristig mehr Wettbewerbsfähigkeit. Klingt nicht romantisch, ist aber realpolitisch sinnvoll. Denn der Markt zahlt in der Industrie die Löhne – und der ist bekanntlich nicht geduldig.