Warum gerade Österreich mehr Freihandel und Mercosur braucht
Das EU-Mercosur-Abkommen öffnet vier große südamerikanische Märkte, senkt Zölle auf Industrie- und Agrargüter, schützt europäische Herkunftsbezeichnungen und stärkt Europas Versorgung mit kritischen Rohstoffen. Es stärkt nicht nur Europas Wirtschaft, sondern ist auch ein wichtiger geopolitischer Hebel.

© KI-generiert
Seit 1999 verhandelt die EU nun schon mit dem südamerikanischen Handelsblock Mercosur. Es war eine der seltenen guten Nachrichten der letzten Monate: Am 6. Dezember 2024 einigten sich die Verhandler auf ein umfassendes Freihandels-Abkommen, und am 3. September startete die EU-Kommission den Ratifizierungsprozess.
Bis das Abkommen in Kraft tritt, wird es aber noch einige Zeit dauern. Denn einerseits müssen es die nationalen Parlamente der Mercosur-Mitgliedstaaten ratifizieren, andererseits muss es auch den Spießrutenlauf durch die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten überstehen: Der Handelsteil fällt in die exklusive Kompetenz der Union und kann daher durch Rat und EU-Parlament beschlossen werden. Hier ist die größte Hürde der mögliche Widerstand von Frankreich, Italien und Polen. Der politische Teil hingegen muss durch alle nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten. Das könnte komplizierter werden.
Neue Märkte, weniger Zölle, mehr Resilienz
Mit dem Wegfall eines Großteils der Zölle werden EU-Produkte in Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay spürbar günstiger. Das hilft der heimischen Industrie, und dort vor allem den Branchen Maschinenbau, Chemie und Pharma sowie der Autoindustrie – Bereiche, in denen Europa stark ist. Gleichzeitig reduziert das Abkommen Abhängigkeiten von den USA und China und schafft Alternativen, wodurch die EU weniger erpressbar durch neue Handelshemmnisse wird.
Für Österreich bedeutet das: bessere Absatzchancen für Autos und Autoteile, Maschinen, Mess- und Umwelttechnik sowie hochwertige Konsumgüter. Österreich verzeichnet seit Jahren einen Export-Überschuss mit Mercosur. Der Außenhandel mit dem Freihandelsblock wächst dynamisch. Österreich könnte durch einen Abschluss die Dynamik bei den Exporten weiter steigern und damit den Standort stärken. Die Alpenrepublik zählt also zu den klaren Gewinnern von Mercosur.
Autoindustrie und Zulieferer können aufatmen
In Mercosur-Staaten sind Importzölle auf PKW traditionell hoch. Ihre schrittweise Absenkung verbessert die Position europäischer Hersteller deutlich und stabilisiert Lieferketten – auch für österreichische Betriebe, die eng in die deutsche Automobilbranche eingebunden sind. Öffnungen bei öffentlicher Beschaffung und klare technische Regeln (Normen, Konformitätsbewertungen) senken zusätzlich die Markteintrittskosten – weil die Hürden durch unterschiedliche staatliche Vorgaben abgebaut werden.
Chancen für die Landwirtschaft, Schutz für „Tiroler Speck“
Natürlich ist es Teil eines Handelsabkommens, dass auch Mercosur-Produkte mehr Marktzugang in die EU erhalten. Aber: Empfindliche Bereiche bleiben klar kontingentiert und an EU-Standards für Lebensmittelsicherheit, Tier- und Pflanzengesundheit gebunden. Gleichzeitig profitieren europäische Erzeuger vom besseren Zugang zu einer kaufkräftigen Mittelschicht: Wein, Käse, Spezialitäten und 344 geschützte geografische Angaben werden anerkannt. Das schützt „Tiroler Speck“, „Steirisches Kürbiskernöl“ und „Steirischen Kren“ vor Nachahmungen.
Überhaupt setzt das Abkommen neue Standards. Es verankert etwa die Verpflichtung auf das Pariser Klimaabkommen, nachhaltige Forstwirtschaft sowie grundlegende Mindeststandards beim Arbeitsschutz. Das ist insbesondere in einer Region wie Südamerika mit der für das Weltklima so essenziellen Amazonas-Region ein wichtiger Beitrag. Es sieht Überwachungs- und Konsultationsmechanismen vor, inklusive eines Streitschlichtungs-Mechanismus und erlaubter Schutzmaßnahmen für den Fall, dass Importdynamiken Branchen unverhältnismäßig treffen. Handel wird so als Hebel für Standards genutzt – nicht als Hintertür zu deren Abbau.
Kritische Rohstoffe für Clean-Tech und Rüstung
Für die Energiewende und für ihre Rüstungsindustrie braucht die EU sichere Quellen für kritische Rohstoffe, wie etwa Grafit (Batterieproduktion) und Aluminium (Leichtbau). Beide sind für fast alle Rüstungsgüter relevant. Mit 68 Millionen Tonnen war Brasilien 2024 der viertgrößte Grafit-Produzent der Welt. Das Land produziert außerdem 7,75 Prozent des weltweiten Bauxits, das zur Herstellung von Aluminium gebraucht wird, und hält 9 Prozent der globalen Reserven, womit es auch hier auf dem vierten Platz liegt.
Auch wenn es kein eigenes Rohstoffkapitel enthält, wird das Freihandelsabkommen Exportbeschränkungen auf alle Rohstoffe aus Argentinien, Paraguay und Uruguay senken oder beseitigen, ebenso wie auf ausgewählte Rohstoffe aus Brasilien. Der Mercosur-Deal reduziert also Exportrestriktionen und schafft Planbarkeit. Das diversifiziert und stärkt europäische Lieferketten, kann aber Chinas aktuelle Dominanz nicht wirklich brechen.
Warum jetzt ratifizieren?
Lange Untätigkeit hat andere Akteure – vor allem China – in Südamerika vorangebracht. Mit der Ratifizierung würde die EU Verlässlichkeit und Einigkeit signalisieren, die Industrie stärken, neue Standards setzen und wichtige Partnerschaften vertiefen. Das wäre eine wichtige Demonstration der Stärke und ein klares Zeichen, dass es immer noch eine große Mehrheit der Weltstaaten gibt, die für eine regelbasierte internationale Ordnung stehen. Wie Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihrer „State of the European Union“-Rede sagte, befindet sich Europa in einem Kampf um seine Zukunft. Für die EU ist das Abkommen 26 Jahre nach dem Verhandlungsstart daher kein „Nice-to-have“, sondern ein „Must-have“.