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Das Menschenbild der „neuen“ ÖVP

Ein Blogbeitrag von Josef Lentsch

Am Mittwoch präsentierte ÖVP-Chef Sebastian Kurz das zweite von drei Kapiteln seines Wahlprogramms, mit einem Fokus auf Wirtschaft und Bildung. „Liberal und christlich-sozial“ solle es sein, so wird er nicht müde zu betonen. Aber was ist eigentlich das Menschenbild der „neuen“ ÖVP? Drei programmatische Anhaltspunkte für eine Verortung:

Religion

Die ÖVP schlägt vor, „dass es einen verpflichtenden Ethikunterricht für all jene geben soll, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen“. Das wirft gleich mehrere Fragen auf: Brauchen die Teilnehmer_innen des Religionsunterrichts keine Ethik? Warum können Teilnehmer_innen des Ethik-Unterrichts nicht auch den Religionsunterricht besuchen? Der Verdacht kommt auf, dass Religion und Philosophie, deren Teil die Ethik ja ist, hier gleichgesetzt werden. Mehr noch: entsprechend dem Vorschlag dient Philosophie als Ersatz für Religion. Bei einem Ethikunterricht geht es aber nicht um Vermittlung von Weltanschauung und Werten, sondern um das kennen und nutzen lernen der analytischen Instrumente des Geistes – das, was Irmgard Griss „Kritisches Denken“ nennt.

Staatskunde

Darüber hinaus fordert die ÖVP ein neues schulisches Pflichtfach für alle Schüler_innen ab der 5. Schulstufe: darunter finden sich einige sinnvolle Vorschläge wie die Vermittlung der Grundzüge der Verfassung und des Rechtsstaates in Österreich, und einige klassisch konservative Signalwörter wie „Werte, Traditionen und Kultur unseres Landes“. Heißen soll das neue Pflichtfach „Staatskunde“. Auch das wirft wieder Fragen auf: was wurde eigentlich aus dem Fach Politische Bildung, das seit 30 Jahren nicht flächendeckend umgesetzt wird? Und warum Staatskunde? Im angloamerikanischen Kontext, wo das Bürgerverständnis ein anderes ist, heißt es „civic education“, übersetzt also Bürgerschaftliche Bildung, oder Bürger_innenkunde. Dazu gehören auch Themen wie Bürgerrechte und Freiheiten, die aber unter dem Abschnitt zu Staatskunde keine Erwähnung finden.

Schulautonomie

Der Begriff Autonomie, Herz der gerade erst beschlossenen Bildungsreform, kommt kein einziges Mal vor im Schulkapitel. Stattdessen: „hören wir endlich auf, über Organisation zu reden“. Das Kalkül ist wohl: den Leuten geht das Thema schon auf die Nerven. Damit verhungert aber nicht nur die unfertige Bildungsreform auf halbem Weg (Politik ist etwa immer noch im Klassenzimmer in Form der Landeshauptleute als Chefs der Bildungsagenturen). Die neue ÖVP macht damit auch klar, was sie unter Autonomie versteht: Organisation. Als wäre Autonomie nur eine Frage der Strukturen.

Philosophie als Ersatz für Religion, starker Staat statt starker Bürger, und Autonomie als Organisations-Frage: ob dieses Menschenbild christlich-sozial ist, ist unklar – es ist jedenfalls konservativ und etatistisch. Eines ist es sicher nicht: aufgeklärt und liberal.

Oder anders gesagt: Das Menschenbild der „neuen“ ÖVP ist das der alten.

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