Seit Jahren wird mehr Transparenz in öffentlichen Angelegenheiten gefordert. Es soll einen gläsernen Staat und nicht gläserne Bürger geben. Eine berechtigte Forderung. Doch mancher wird sich fragen: Sind wir nicht längst gläserne Bürger? Verbleibt überhaupt noch ein Raum für privaten Austausch, wenn damit gerechnet werden muss, dass veröffentlicht wird, was sich (echte oder vermeintliche) Freunde, oft zu später Stunde, über ihr Mobiltelefon geschrieben haben? Ist die Privatsphäre nicht (mehr) geschützt?
Doch, kann man beruhigend antworten. Aber der Schutz vor unliebsamen Veröffentlichungen ist von vornherein schwach. Es kann ja nicht mehr zurückgeholt werden, was einmal verbreitet wurde. Dass etwa bei herabsetzenden Äußerungen eine Gegendarstellung verlangt werden kann, bewirkt oft nur, dass die Beleidigung auch bei denen in Erinnerung gerufen wird, die sie schon vergessen hatten.
Bei Personen des öffentlichen Lebens kommt noch etwas hinzu. Sie müssen mehr aushalten als gewöhnlich Sterbliche. Absolut geschützt ist nur der höchstpersönliche Lebensbereich. Dazu gehören Gesundheit, Sexualleben, Familienleben. In allen anderen Bereichen kann das Informationsinteresse der Öffentlichkeit das Interesse an der Geheimhaltung überwiegen.
"Personen des öffentlichen Lebens müssen mehr aushalten als gewöhnlich Sterbliche."
Die bekannt gewordenen Chatnachrichten lassen zwar Rückschlüsse auf die Denkungsart der Beteiligten zu, ihren höchstpersönlichen Lebensbereich betreffen sie aber nicht. Daher ist eine Interessenabwägung zulässig und geht wohl zu ihren Ungunsten aus. Denn die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, wie Inhaber höchster Ämter denken. Das lässt ja auch Rückschlüsse darauf zu, wie sie ihr Amt ausüben. Denn bei der Anwendung von Gesetzen gibt es so gut wie immer einen Spielraum. Wie der genützt wird, hängt letztlich davon ab, wer das Gesetz anwendet.
Höchste Ämter müssen daher mit Personen besetzt werden, die fachlich und auch moralisch qualifiziert sind. Sie dürfen sich nicht einer Partei oder sonst wem immer verpflichtet fühlen, sondern ihre Loyalität muss dem Amt gelten.
Irmgard Griss war Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und Abgeordnete zum Nationalrat der NEOS.
Der Kommentar erschien am 09. Juni in der Kleine Zeitung.