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Eine alternative Vergangenheit der politischen Zukunft

Ein Blogbeitrag von Josef Lentsch

Eine Erzählung über unsere politische Zukunft macht sich breit: die der „politischen Fragmentierung“. Der Atlantic etwa beobachtete bei der niederländischen Wahl nicht nur eine breitere Verteilung (die beiden größten Parteien VVD und PVV haben gemeinsam 34% der Stimmen), sondern auch eine Verteilung der Wählerstimmen auf mehr Schultern (2 neue Parteien zogen ein). Der Grund, Autor Uri Friedman, sei eine Zersplitterung des politischen Systems, die zu einem selbstverstärkenden Teufelskreis wird. Parteien mit immer weniger Macht können in immer komplexeren Parteisystem immer weniger durchsetzen, was den Populisten zu gute kommt, was wiederum dazu führt…

Natürlich muss man im konkreten Fall in Betracht ziehen, und das lässt der Atlantic außer Acht, dass hier einerseits das Wahlsystem eine gewichtige Rolle spielt (in den Niederlanden gibt es keine gesetzliche Minimalschwelle für den Einzug wie etwa in Österreich oder Deutschland), und dass Mehrparteienkoalitionen in den Niederlanden lange Tradition haben.

Aber: Diese Geschichte lässt sich nicht nur in den Niederlanden erzählen.

Millionen von Parteien mit nur einem Mitglied

Es ist eine Geschichte des Verfalls. Eine Geschichte, die auf ein dystopisches Ende der Geschichte hinausläuft. Immer mehr Parteien vertreten immer mehr Partikularinteressen (in den Niederlanden gibt es jetzt nicht nur eine Partei der 50+, sondern auch eine eigene Migrant_innenpartei). Das ganze lässt sich bis an sein logisches Ende denken: Millionen von Parteien mit nur einem Mitglied. Wir stehen vor einer Rückkehr in eine vergangen geglaubte zukünftige Hobbesianische Welt.

Diese Geschichte wird vor allem von den Parteien an der Macht gerne erzählt. Das lautet dann etwa so: Populisten destabilisieren die liberale Demokratie. Im Dramadreieck sind sie die Täter, und die Demokratie das Opfer. Die Machthaber können sich als Retter inszenieren.

Und damit stehen wir vor einem erstaunlichen alternativen Ergebnis, dessen Zeugen wir gerade werden. Weil Populisten das gesamte System destabilisieren, stabilisieren sie paradoxerweise dessen Teilsysteme. Und damit die „alte Ordnung“ der Parteien. ÖVP und SPÖ halten sich gerade darum immer noch an der Macht, weil die FPÖ die wahrgenommene Alternative ist. Siehe Wien-Wahlkampf. Der Schmiedl schickt den Schmied vor und sagt – das ist, was euch erwartet. Wollt ihr das wirklich? Damit werden zwar wie in den Niederlanden Pyrrhus-Siege errungen, aber eine echte Weiterentwicklung des Systems erschwert.

Was wäre eine alternative Erzählung der politischen Zukunft, und was braucht es dafür?

Übergang statt Fragmentierung

Die alternative Geschichte ist die: Wir befinden uns in einem demokratischen Übergang. Systeme destabilisieren, bevor sie sich weiterentwickeln. Das ist normal. Es kann beunruhigend sein, aber es ist normal. Übergänge in neue Gleichgewichte sind messy. Sie dauern. Einige Länder sind leider tatsächlich dabei den Schritt zurück zu machen. Davon sollten wir uns nicht abschrecken lassen.

Die Geschichte ist offen. Rückschritt ist möglich. Fortschritt auch.

Die Nachkriegsordnung hatte ihre Funktion. Jetzt hat sie ausgedient. Aber wir wollen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Es braucht eine neue Ordnung, die manches, Gutes übernimmt, und vieles verändert.

Wer hier mit anpacken will, ist herzlich willkommen. Aber die alten Akteure, die bestehenden Parteien, sind Teil dieses Systems, und großteils unreformierbar. Die Populisten sind unverantwortbar.

Neue Ordnung statt Verfall

Es braucht daher neue Akteure, die das gesamte System stabilisieren, also die liberale Demokratie, damit sich dessen Teilsysteme destabilisieren können. Damit sich der selbstverstärkende negative Kreislauf in einen positiven verwandelt. Dafür braucht es konstruktive Alternativen zu den Populisten. Es braucht neue Parteien im politischen Zentrum. Und es gibt sie, so viele wie niemals zuvor: etwa Nowoczesna in Polen, En Marche in Frankreich, Ciudadanos in Spanien oder NEOS in Österreich. Und es braucht auch neue zivilgesellschaftliche Plattformen, die hier auch mithelfen, das neue System nach und nach auf die Welt zu bringen: Organisationen wie Crowdpac sind ein Teil davon.

Sie alle haben die Rolle von Geburtshelfer_innen. Alle die bei einer Geburt dabei waren, wissen: sie dauert. Sie schmerzt. Sie braucht Vertrauen. Sie kann kompliziert sein. Aber es kommt der Moment, da muss das Kind auf die Welt. Und wenn es dann da ist, ist vieles anders, nicht alles besser, mitunter auch anstrengender, aber etwas Neues, Gutes ist geschaffen.

Das ist die eigentliche Geschichte unserer politischen Zukunft: wir alle können eine neue, bessere Ordnung schaffen, statt dem Verfall der alten zuzusehen.

Wir haben es in der Hand.

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