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Fünf liberale Forderungen für ein starkes Europa

Silvia Nadjivan
Silvia Nadjivan

Die Wahlen zum EU-Parlament rücken näher. Die liberale Fraktion hat ihr Programm formuliert. Fünf der Forderungen näher beleuchtet.

Seit dem ALDE-Kongress in Brüssel am 20. März 2024 steht die liberale Spitzenkandidatin für die bevorstehenden EU-Parlamentswahlen im Juni 2024 fest: die FDP-Politikerin und Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie tritt gemeinsam mit Sandro Gozi von der italienischen Europäischen Demokratischen Partei (EDP) und mit der Renew-Europe-Präsidentin Valérie Hayer von der französischen Regierungspartei Renaissance als Wahlkampftrio auf.

Als „Team Europa“ treten sie für notwendige Reformen bezogen auf EU-Institutionen und Prozesse ein, was nur einen der zehn Punkte bzw. Prioritäten der Renew Europe Now Plattform abbildet. Ersichtlich wird dabei, dass sich die liberale Fraktion in Europa aktuellen Herausforderungen stellt und auch Unangenehmes direkt anspricht. Zweifellos müssen genau jetzt mutige Schritte gesetzt werden, um das gemeinsame Europa durch die drastisch hereingebrochenen VUCA-Zeiten (nämlich Zeiten der Vulnerabilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität) zu führen und langfristig zu stärken. Was in NATO-Kreisen anlässlich des Zerfalls des Staatssozialismus in Osteuropa und einer damit neuen geopolitischen Ordnung seit Anfang der 1990er Jahre erkannt wurde, gilt insbesondere heute im Zuge noch nie dagewesener Probleme sowie Bedrohungen im Inneren und Äußeren Europas. Schließlich steht die Weltpolitik vor einer Wende, weg vom unipolaren System unter US-amerikanischer Führung hin zu einem bipolaren oder gar multipolaren System mit konkurrierenden regionalen Mächten vor dem Hintergrund knapper werdender Ressourcen. 

Forderungen, die Europa erfüllen sollte

Um in der neuen Mächtekoalition bestehen zu können und mehr noch im Inneren sowie Äußeren mehr Gewicht zu erlangen, sollte das Europa von morgen die folgenden Forderungen erfüllen.

1. Verteidigungsfähig

Die EU muss in der Lage sein, den Frieden auf dem eigenen Kontinent selbst verteidigen zu können.

Zu Beginn des Superwahljahrs 2024 ist noch völlig unklar, wer in den USA die Präsidentschaftswahlen in den USA gewinnen wird, der skandalumwitterte Kandidat der Republikaner und Ex-Präsident Donald Trump oder der aktuell amtierende Präsident und zugleich demokratische Kandidat Joe Biden. Nachdem Trump bei jeder Gelegenheit die NATO kritisiert hat und sogar einen Ausstieg der USA öffentlich angedacht hat, muss Europa für den Ernstfall, nämlich einen etwaigen Wegfall des jahrzehntelangen Verbündeten und „Weltpolizisten“ USA, gewappnet sein. So wie jedes EU-Mitgliedsland darauf vorbereitet sein muss, sich selbst verteidigen zu können und damit keine potenzielle Gefahr für die anderen EU-Mitglieder darzustellen, benötigt Europa eine gemeinsame sicherheits- und verteidigungspolitische Strategie, verbunden mit gemeinsamen Beschaffungsprozessen. Die Rüstungsindustrie darf nicht mehr von rein nationalen Interessen dominiert sein.

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2. Energiepolitisch unabhängig

Im globalen Wettbewerb mit China und den USA muss die EU energiepolitisch unabhängiger und wirtschaftlich für Investor:innen und Hochqualifizierte attraktiver werden.

Vorbei sind die Zeiten, zu denen die EU Gas aus Russland und Produkte aus China bezogen hat und außerdem unter dem militärischen Schutz der USA gestanden ist. In der neuen globalen Mächtekonstellation zwischen den Konkurrenten USA und China, verbunden mit einer neuen Konfliktlinie China-Indien, verlagert sich der geopolitische Fokus der Großmächte zusehends auf den Indopazifik. Europa muss sich geopolitisch und geoökonomisch neu positionieren. Zuallererst geht es darum, aus der Gasabhängigkeit von Russland zu kommen, Energielieferungen zu diversifizieren und verstärkt auf erneuerbare Energien zu setzen. Energiekosten wie auch die Teuerung sowie Inflationsrate müssen sinken, um im globalen Wettbewerb mithalten zu können. Das bezieht sich auch auf den globalen Wettbewerb um die besten Köpfe. Es ist höchst an der Zeit, Europa u.a. mittels Steuersenkungen für neue Investitionen attraktiver zu machen und Hochqualifizierte u.a. mit einer neuen Willkommenskultur verstärkt anzulocken.

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3. Liberal-demokratisch resilient

Die europäischen Werte wie demokratische Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung müssen gegenüber autokratischen Tendenzen innerhalb der EU besser geschützt und Verstöße dagegen stärker sanktioniert werden.

Aktuelle Wahlergebnisse in ganz Europa wie auch Umfragen vor den Europawahlen im Juni 2024 zeigen, dass populistische, autokratische und antidemokratische Kräfte stark im Auftrieb sind. Neben dem hybriden Krieg Russlands gegen Europa als äußere Bedrohung zählen diese Entwicklungen zur inneren Bedrohung, zugleich auch teils von Russland mitfinanziert. Zwar besteht kein Automatismus zwischen sozialer Unzufriedenheit und dem Erstarken von Populismen, jedoch bilden Unsicherheit, Angst und Orientierungslosigkeit den Nährboden für populistische Manipulationen. Unter dem Vorwand die besseren Demokrat:innen zu sein, versuchen Autokrat:innen, und hier vor allem rechtspopulistische, Bürger:innenrechte, Rechtsstaatlichkeit wie auch die Unabhängigkeit von Justiz und Medien auszuhöhlen. Gegen einderartiges Vorgehen, das den EU-Grundwerten massiv widerspricht, ist vehement vorzugehen. Das Artikel-7-Verfahren als erwiesene Sanktionsmöglichkeit sollte daher rascher und konsequenter gegen rechtswidriges Verhalten einzelner EU-Mitgliedsländer angewendet werden.

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4. Durch Bildung gestärkt

Das bereits erfolgreiche Erasmus+-Programm muss noch weiter ausgebaut werden, um die Jugend mittels Bildung und Kultur vor Extremismen zu schützen.

Angesichts wachsender Desinformation, Fake News und Verschwörungserzählungen wird es vor allem in sozialen Medien zusehends schwieriger, fundierte Informationen von haltlosen Behauptungen zu unterscheiden. Das betrifft insbesondere Jugendliche und junge Menschen, die viel Zeit auf derartigen sozialen Plattformen verbringen. Immer notwendiger wird es deshalb, sich eine gewissen Medienkompetenz (media literacy) als eine neue (digitale) Form der Alphabetisierung anzueignen. Abgesehen von diesen konkreten pädagogischen Maßnahmen in der formalen und non-formalen Bildung benötigt es auch ein ganzheitliches Konzept zu Bildung und Kultur für junge Menschen. Deswegen ist die Forderung von Renew, das jahrzehntelang bestehende und höchst erfolgreiche Erasmus-Programm noch weiter auszubauen, sehr begrüßenswert. Schließlich erstreckt sich dieses umfassende EU-Programm mit zahlreichen Förderungen für Jugendaustauschprojekte bis Lebenslanges Lernen bis nach Australien und Neuseeland. Erasmus+ gezielt für Schüler:innen auszubauen, um sie mit einem spannenden Bildungs- und Kulturangebot gegen sämtliche Manipulationen im digitalen Netz zu wappnen, erscheint daher völlig logisch.

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5. Global mit Gleichgesinnten verbündet

Weltweit muss eine globale demokratische Allianz mit gleichgesinnten Ländern geschmiedet werden, um einerseits die EU und andererseits die europäischen Werte global zu stärken.

Da heuer, im besagten Superwahljahr, in 76 Ländern weltweit über vier Milliarden Menschen aufgerufen sind, zu den Urnen zu gehen, werden sie auch größtenteils die Richtungsentscheidung treffen, zwischen einer pluralistischen oder einer autokratischen Gesellschaftsform. Dass die demokratische Herrschaftsform alles andere als selbstverständlich ist, haben bereits die Entwicklungen der letzten Jahre gezeigt. Mittlerweile geht es mehr noch um einen offen ausgetragenen Konkurrenzkampf der Systeme zwischen der westlichen Welt mit ihren liberal-demokratischen Werten, allen voran Europa, USA Australien, Neuseeland und demokratischer asiatischer Staaten auf der einen Seite und anti-demokratischen Akteuren wie Russland, China, Naher Osten, Teile Afrikas und Südamerikas. Mit dem Ende des Unilateralismus, also der globalen US-Vorherrschaft, kann nicht mehr per se mit einer – wenn auch nur oberflächlichen – internationalen Zustimmung zu westlichen Werten gerechnet werden. Allein das offene Anzweifeln der UN-Menschenrechtscharta verdeutlicht eine gewisse Erosion bisher unhinterfragter globaler Werte. Europa ist daher gefordert, nicht nur im Inneren mittels Demokratiebildung Überzeugungsarbeit zu leisten, sondern auch auf globaler Ebene verstärkt mit internationalen Verbündeten eine liberal-demokratische Allianz zu bilden. Sobald das bisherige Institutionengefüge ins Schwanken gerät, müssen globale Netzwerke und Strukturen soweit gefestigt sein, um liberal-demokratische Werte aufrecht zu erhalten.

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Was noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre, ist inzwischen Realität geworden: die Erosion von bisherigen geopolitischen Machtkonstellationen und parallel dazu eine Zunahme von unterschiedlichen Krisen (u.a. Energiekrise) und Konfliktherden (u.a. in Osteuropa und im Nahen Osten) wie auch ein Erstarken von autokratischen Einflussnahmen und letztlich hybrider Kriegsführung. In einer derartigen Permakrise, verbunden mit einer tiefgreifenden Demokratiekrise, bieten liberale Ansätze die genau jetzt notwendigen Visionen für die Zukunft Europas.

(Bild: MarianVejcik/iStock)

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