Ein Policy Brief von Silvia Nadjivan, Katharina Geißler, Wolfgang Gruber
Der aktuelle europaweite Anstieg von Populismen verdeutlicht, dass liberale Demokratie und demokratische Errungenschaften keine Selbstverständlichkeit sind. Dieser Policy Brief deckt die Methoden und Mechanismen von Populismen auf und entwickelt liberale Gegenstrategien als konkrete Handlungsempfehlungen.
Die Studie im Überblick
Aktuelle Wahlergebnisse in ganz Europa und besonders in Österreich machen deutlich: Populistische, hier rechts- ebenso wie linkspopulistische Parteien, sprechen mit vereinfachten, polarisierenden, ja polemischen Antworten auf komplexe Problemlagen wieder vermehrt Menschen an.
Mit dem Wissen, dass Krisen und vor allem die derzeitige Polykrise (oder sogar „Permakrise“) eine wichtige Grundlage für das Erstarken von populistischen Strömungen ist, verwundert deren aktuelle Erfolgswelle nicht. Krisen müssen nicht automatisch Links- und vor allem Rechtspopulismen anheizen. Die soziale Unzufriedenheit über bestehende Probleme wird vielmehr für populistische Zwecke benutzt, anstatt evidenzbasierte Problemlösungen anzubieten.
Angesichts wachsender populistischer Tendenzen ist es aus liberaler Sicht umso wichtiger, nicht nur vor populistischen Parteien zu warnen, sondern verstärkt auf die eigene visionäre Agenda für die Zukunft zu setzen.
Vor dem Hintergrund sozialer Unzufriedenheit geben Populist:innen vor, im Namen des sogenannten Volkes zu sprechen, anstatt sich die gesellschaftliche Vielfalt als soziale Realität einzugestehen. Dieses als homogen vorgestellte Volk versuchen sie mit zugleich banalen und eingängigen Slogans anzusprechen, wie beispielsweise mit „Make Amerika Great Again“ (Donald Trumps Slogan beim US-Präsidentschaftswahlkampf 2016).
Mit einer vereinfachenden und emotionalisierenden Rhetorik fordern Populist:innen offiziell das Selbstbestimmungsrecht ihres konstruierten Volkes oder inszenieren sich sogar als „querdenkende Opposition“.
Populismus kann in allen Lagern festgestellt werden, wobei das als homogen verstandene Volk immer eine andere Zielgruppe adressiert: Der Linkspopulismus richtet sich vertikal gegen die Wirtschaftseliten „im Namen eines inklusiven Volkes der Arbeit“ (Möller 2021 7f.) und horizontal gegen seine ideologischen Gegner von rechts. Der Rechtspopulismus zieht die Trennlinie ebenfalls vertikal im Sinne einer Gegnerschaft gegenüber dem politischen Establishment und horizontal zwischen seinem national, ethnisch oder nativistisch definierten Volk und der Bedrohung von außen, sprich Einwanderung (Till 2019, 17), aber auch der imaginierten Bedrohung im Inneren, nämlich von links. Der populistische Zentrismus gibt vor, mit „gesundem Menschenverstand“ gegen die „Streitlust“ von Politiker:innen des rechten und linken Randes vorzugehen. (Möller 2021, 8)
1. Ein Vergleich von 18 populistischen Parteien in 10 EU-Mitgliedsländern zeigt: Ihr Gefahrenpotenzial für die liberale Demokratie ist von deren konkreter Position abhängig – „nur“ Opposition oder doch Regierungsfunktion.
2. Alle 18 Parteien zeigen das gleiche populistische Grundmuster: Sie geben vor, für „das Volk“ zu sprechen. Sie grenzen sich zu einem imaginierten „Feind“ ab, der zugleich als Sündenbock fungiert. Sie blenden komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge aus und versprechen einfache Lösungen.
3. In Opposition treiben populistische Parteien mit hetzerischer Rhetorik Regierungen der Mitte oftmals vor sich her. Als Koalitionspartner erscheinen sie angesichts der aktuellen Polykrise überfordert. In Regierungsverantwortung führen sie in ihren Ländern Autokratien ein.
4. Es gibt keinen Automatismus zwischen Krisen, Unzufriedenheit und Populismen. Dennoch ist soziale Unzufriedenheit ein wichtiger Motor für Populismen. Mit vereinfachten Erklärungen werden gesellschaftliche Polarisierungen zusätzlich angeheizt.
5. In Europa gibt es mehr rechts- als linkspopulistische Parteien. Weder im finnischen noch im ungarischen noch im polnischen Parlament ist eine linkspopulistische Partei im Parlament vertreten. Zugleich erfreut sich Agrarpopulismus steigender Beliebtheit.
6. Rechtspopulismen haben sich vor allem von der sogenannten Migrationskrise (2015) genährt. Als gemeinsame Klammer fungiert das Schreckgespenst des „Großen Austauschs“ („The Great Replacement“).
7. Aufwind für linkspopulistische Parteien gaben Finanzkrise, Eurokrise und wirtschaftliche Rezession seit 2007. Zentrale Bezugspunkte: Antikapitalismus, teilweise Antiamerikanismus sowie Pazifismus.
8. Aufgrund ihrer antipluralistischen Grundhaltung erweisen sich populistische Parteien als gern gesehene Verbündete aufseiten autokratischer Drittstaaten, allen voran Putins Russland.
9. Das konkrete Verhältnis zu Russland und zu Putin persönlich bestimmt auch die jeweilige Position bezogen auf den aktuellen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Davon abhängig lassen sich drei Grundpositionen festmachen: eine eindeutig proukrainische, eine ambivalente und eine prorussische Position.
10. Liberalismus schützt vor Autoritarismus und sichert Freiheit, Rechtsstaatlichkeit sowie sozialen Zusammenhalt in einem gemeinsamen Europa. Liberal-demokratische Parteien sind aufgerufen, weniger gegeneinander, sondern vielmehr miteinander gegen Populismen anzutreten.
Im Liberalismus liegt die Lösung
Zahlen & Fakten
18 populistische Parteien
werden in diesem Policy Brief verglichen
10 EU-Länder
werden in diesem Policy Brief betrachtet
63 %
der Menschen in Österreich sind unzufrieden mit ihrer Demokratie (Eurobarometer 2023)
5 Liberale gegenstrategien
Ein Auszug aller Handlungsempfehlungen dieser Publikation
Neues liberal-demokratisches „Drehbuch“ nötig
Anstatt sich mit den unzähligen Desinformationskampagnen und Fake News von Populist:innen herumzuschlagen, sind liberal-demokratische Parteien gefordert, ihre eigene Themensetzung voranzutreiben.
Ausschluss ist keine Lösung
Keine Politik ist alternativlos und sollte sich über alle anderen stellen. Das gilt auch für Liberale. In einer Demokratie sollte um die besten Lösungen gestritten werden, auch mit den populistischen Kräften.
Teilhabe stärken
Liberale Demokratien sind beratschlagend, also auf ständige Kommunikationsarbeit – besonders mit den Bürger:innen – angewiesen. Dabei darf das Kommunizieren auf Augenhöhe nicht zu kurz kommen.
Raus aus dem Korruptionssumpf
Es gibt einen nachweislichen Zusammenhang zwischen Korruption und Populismus: Populismen entfalten sich besonders erfolgreich auf einem korrupten Nährboden.
Notwendige Reformen anpacken
Aufgrund des derzeit geltenden Einstimmigkeitsprinzips können sich einzelne EU-Mitgliedstaaten vor gemeinsamen Herausforderungen drücken oder wichtige Beschlüsse verhindern. In gewissen Fällen kann die Einführung eines Mehrstimmigkeitsprinzips als legitime Reform erachtet werden.