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Master schlägt Meister? 5 Mythen über die Lehre

Clemens Ableidinger
Clemens Ableidinger

Von wegen Abstellgleis. Die Lehre bietet in vielen Fällen bessere Jobaussichten als akademische Berufe und beinhaltet auch innovative Berufsbilder.

Foto: Vlada Karpovich / pexels.com

Die duale Ausbildung ist für viele Österreicher:innen eine ambivalente Sache. Einerseits weiß man sehr wohl, dass sie international hoch angesehen ist und ein gutes Mittel gegen Jugendarbeitslosigkeit ist. Andererseits gilt sie – vor allem im urbanen Raum und im akademischen Milieu – als eine wenig reizvolle Ausbildungsschiene. So vertreten manche Menschen allen Ernstes die Ansicht, eine Lehre sei vor allem ein „Plan B“ für junge Menschen, denen der Schulerfolg versagt geblieben ist. Andere finden die Lehre „eh wichtig“, aber eben nicht wichtig genug, um sie für sich selbst oder die eigenen Kinder ernstlich als attraktiven Bildungspfad zu erwägen. Dass diese „schlechte“ Meinung über die Lehre, objektiv betrachtet, jedoch nicht gerechtfertigt ist, lässt sich zahlenmäßig belegen.

Problematisch ist zudem, dass stereotype und vorschnelle Urteile wie diese ein ungünstiges Image schaffen, das der Lehre schadet. Schon jetzt gibt es einen eklatanten Lehrlingsmangel: Seit dem Jahr 1980 sinkt die Zahl an jungen Menschen, die eine Lehre beginnen, kontinuierlich. Dem steht eine steigende Zahl an Menschen gegenüber, die eine akademische Hochschulausbildung anstreben. Doch ist „studieren gehen“ immer die bessere Wahl als „zu lernen“? In diesem Blog nehmen wir fünf Mythen über die Lehre genauer unter die Lupe.

Mythos 1

Eine akademische Ausbildung bedeutet immer mehr Einkommen

Diese Behauptung stimmt im Durchschnitt für die meisten, aber nicht für alle OECD-Länder. Österreich ist einer dieser Sonderfälle, wo ein BA- oder vergleichbarer Abschluss durchschnittlich nur zu marginal besserer Bezahlung führt als der Abschluss der Sekundarstufe 2, während das Gehalt von Absolvent:innen einer Lehre mit tertiärer Kurzausbildung – d.h. Aufbaulehrgänge, Meisterschulen o.Ä. – etwa 20 Prozent über dem von BA-Absolventen liegt (Quelle: OECD, Education at a glance 2022). Berücksichtigt man auch den früheren Eintritt ins Erwerbsleben von Absolvent:innen einer Lehre, zeigt sich: Eine Lehre kann eine ökonomisch sehr reizvolle Ausbildungswahl sein. Außerdem ist es bei der Lehre wie beim Studium: Es gibt Bereiche und Felder, die höheres und solche, die niedrigeres Einkommen nach sich ziehen.

Mythos 2

Lehrberufe bieten wenig Zukunftsperspektive und Entwicklungschancen

Die Lehre ist in Österreich häufig der erste Schritt ins freie Unternehmertum. Von den Selbstständigen haben in Österreich 32 Prozent eine Lehre absolviert (Quelle: Statistik Austria (Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung 2021) + ibw-Berechnungen). Die Lehre ist damit häufiger die Startrampe in die wirtschaftliche Unabhängigkeit als eine Universitätsausbildung. Diese Feststellung ist nicht bedeutungslos. Denn gerade junge Menschen wollen sich gerne unternehmerisch entfalten und selbstständig machen, weil sie das als Chance für den eigenen sozioökonomischen Aufstieg betrachten.

Mythos 3

Die Lehre ist auf dem Arbeitsmarkt ein Auslaufmodell

Auch wenn die Berufsbilder der nächsten Jahrzehnte andere sein mögen, werden der Klimawandel und die damit verbundene Transformation Fachkräfte notwendig machen, die mit grünen Technologien umgehen lernen. Eine Lehrlingsausbildung, die dafür gerüstet ist, ist definitiv ein zukunftsträchtiges Modell. (Quelle: Cedefop; OECD, Apprenticeships for greener economies and societies 2022.) Darüber hinaus fehlen in sogenannten Klima-Jobs zehntausende Fachkräfte. Alleine für die Errichtung von Photovoltaikanlagen gäbe es schon jetzt Bedarf für 30.000 Arbeitskräfte. Die Lehre kann daher einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der ökologischen Wende leisten.

Darüber hinaus bietet eine Lehre immer noch sehr gute Jobchancen. So weisen derzeit zwar fast 78.000 aller beim AMS als arbeitslos gemeldeten Personen einen Lehrabschluss auf, diesen stehen aber 49.300 offene Stellen gegenüber, die nach einer Person mit abgeschlossener Lehre verlangen. Das ist ein bedeutend besseres Arbeitssuchenden/Job-Verhältnis als im Fall der Hochschulabsolvent:innen. Hier rittern fast 18.200 Arbeitssuchende um nur 3.500 Stellen. Dabei handelt es sich auch nicht ausschließlich um einen „Erholungseffekt“, der nach der Corona-Krise eingetreten ist. Denn die Lehre war immer eine Ausbildung, die gut beruflich verwertbar ist. So betrug die Arbeitslosenquote unter Absolvent:innen einer Lehre 2020 4,5 Prozent und war damit deutlich niedriger als die Arbeitslosenquote von AHS-Absolvent:innen (7,4 Prozent) und nur geringfügig höher als jene von BHS-Absolvent:innen (3,9 Prozent).

Mythos 4

Die Lehre bietet keine Umstiegsmöglichkeiten

Schon jetzt gibt es durch Studienberechtigungsprüfungen, Berufsreifeprüfungen und die Kombination „Lehre mit Matura“ die Möglichkeit, sich weitere Ausbildungsperspektiven offenzuhalten. Was aber stimmt, ist, dass diese Modelle erweitert werden müssen, weil Erwerbsbiografien heute deutlich dynamischer sind als noch vor dreißig Jahren. Umgekehrt müssten auch mehr Pfade geschaffen werden, die Maturant:innen oder Universitätsabsolvent:innen den Einstieg in eine Lehre erleichtern, wenn sie sich beruflich umorientieren wollen. Das Potenzial der sogenannten dualen Akademien ist bestimmt noch nicht voll ausgeschöpft.

Mythos 5

Die moderne Unternehmenswelt braucht Akademiker:innen, keine Lehrlinge

Selbstverständlich weist nicht jede Lehre dieselben beruflichen Chancen auf. Das gilt allerdings auch für akademische Ausbildungen: Dass die technisierte Unternehmenswelt der Zukunft nur Akademiker:innen mit MINT-Studium braucht, ist nicht richtig. Die hohen allgemeinen Berufschancen der Lehre liegen auch an neuen Berufsbildern, die durch Innovationen auf dem Arbeitsmarkt entstanden sind. Ein Musterbeispiel hierfür ist der relativ neue Lehrberuf der Applikationsentwicklung, der aus dem entsprechenden Bedarf auf dem IT-Markt entstanden ist. Wirft man einen Blick auf die Lehrlingszahlen, zeigt sich nämlich deutlich, dass nicht alle Lehrberufe gleich stark unter Druck sind. Einige sind so beliebt wie nie, das betrifft vor allem technische Ausbildungen, darunter Anlagenelektriker:in, Metalltechniker:in, Installations- und Gebäudetechniker:in und Mechatroniker:in, während „klassische“ Ausbildungen wie Friseur:in oder in der Gastronomie an Attraktivität verlieren. Während beispielsweise die Lehrlingszahlen von Anlagenelektriker:innen von 2018 auf 2021 um 9.517 Personen gestiegen sind, hat sich die Zahl der Friseurlehrlinge um fast 3.000 reduziert.

Conclusio

Bedeutet das, dass in Sachen Lehre alles perfekt läuft? Bei weitem nicht. Baustellen gibt es viele, darunter die zu geringe Zahl an Migrant:innen in der Lehrlingsausbildung, die zu niedrige Quote jener Lehrlinge und Ausbildner, die internationale Erfahrung sammeln und ein noch zu wenig angenommenes Angebot an Lehre mit Matura. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass schon jetzt viele Lehrberufe ökonomisch attraktiv und sinnstiftend sind. Österreich täte daher gut daran, dies anzuerkennen und auf eine gesellschaftliche Gleichstellung von „Hand-, Herz- und Hirnberufen“ hinzuarbeiten. Das verlangt auch nach einer qualitativen Erhöhung der dualen Ausbildung, vor allem im Bereich  Berufsschule, denn die Herausforderungen, vor der die Lehre steht, sind nicht nur eine Frage ihres Images.

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