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Ob Urteile einstimmig oder mit Stimmenmehrheit gefällt wurden, ist nebensächlich

Irmgard Griss meint, dass viel gegen und wenig für die Veröffentlichung abweichender Richtermeinungen spricht

Sollen abweichende Meinungen von Richtern und Richterinnen des Verfassungsgerichtshofs veröffentlicht werden? Der von der Regierung vorgelegte Entwurf eines Informationsfreiheitsgesetzes sieht das vor. Dafür könnte sprechen, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte abweichende Meinungen veröffentlichen.

Es sind unterschiedliche Rechtstraditionen, die sich hier widerspiegeln. Davon abgesehen, trifft das Ziel des Informationsfreiheitsgesetzes, „staatliches Handeln transparent zu machen“, für das Zustandekommen von Gerichtsentscheidungen von vornherein nicht zu. Gerichtsentscheidungen müssen verständlich und nachvollziehbar begründet sein. Ob sie einstimmig oder mit Stimmenmehrheit beschlossen wurden, ist nebensächlich. Denn sie sind unabhängig davon wirksam und daher zu befolgen. Die Veröffentlichung abweichender Meinungen kann sich allenfalls positiv auf die Rechtsentwicklung auswirken.

"Richter müssen nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. Jeder noch so subtile Druck nach dem Motto, wenn du wirklich für unsere Auffassung eingetreten, aber unterlegen bist, dann mache das öffentlich, ist damit unvereinbar."

Reicht das aus, um die offenkundigen Nachteile aufzuwiegen? Als gelernte Österreicher sind wir gebrannte Kinder. Verfassungsrichter werden teils von der Regierung, teils vom Parlament nominiert. Es sind daher letztlich immer politische Parteien, die das Sagen haben. Die Auswahl mag bei manchen mit der Hoffnung verknüpft sein, die von ihnen Nominierten würden so entscheiden, wie sie es gerne hätten. Doch Richter müssen nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. Jeder noch so subtile Druck nach dem Motto, wenn du wirklich für unsere Auffassung eingetreten, aber unterlegen bist, dann mache das öffentlich, ist damit unvereinbar.

Daher spricht viel gegen und wenig für die Veröffentlichung abweichender Meinungen. Viel spricht aber dafür, das Verfassungsgerichtshofgesetz in einem anderen Punkt zu ändern. Die Pandemie zeigt, wie wichtig ein Eilverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof wäre. Dann könnte die Regierung nicht in rechtsstaatlich bedenklicher Weise Kritik damit abtun, dass Gesetze und Verordnungen längst außer Kraft getreten sein werden, wenn der VfGH sie prüfen kann.

Irmgard Griss war Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und Abgeordnete zum Nationalrat der NEOS.

Dieser Kommentar erschien am 26. April 2021 in der Kleine Zeitung.

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