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Politische Bildungsarbeit gegen die Vertrauenskrise

Lukas Sustala
Lukas Sustala

Warum die Rückbesinnung auf den staatsbürgerlichen Bildungsauftrag der Parteiakademien in Österreich mehr als 50 Jahre nach ihrer gesetzlichen Schaffung mehr als notwendig ist.

Politik ist der Ort, an dem wir uns ausmachen, wie wir miteinander leben. Dieser Satz ist gut sichtbar im Veranstaltungs- und Seminarraum des NEOS Lab verewigt. Ob nun eine Bürgerin diesen Satz liest, wenn sie eine Podiumsdiskussion besucht, oder eine angehende Mandatsträgerin im Rahmen eines Trainings, er soll an den Auftrag erinnern, den die Parteiakademien in Österreich haben. „Staatsbürgerliche Bildungsarbeit“, wie es im Publizistikförderungsgesetz genannt wird, ist nicht nur der Versuch, möglichst vielen Menschen diesen Ort Politik näherzubringen. Die Vermittlung von Fakten und Wissen dazu, wie das politische System aufgebaut ist und funktioniert, ist eine wichtige Säule von politischer Bildungsarbeit. Sie liefert die Wegkarten für das politische Engagement, über die Zusammenarbeit von Gemeinde-, Landes- oder Bundesebene.

Doch um erfolgreich zu sein, müssen die Parteiakademien als Trägerinnen der staatsbürgerlichen Bildungsarbeit möglichst viele Menschen zu Architekt:innen, Baumeister:innen oder Gestalter:innen dieses Ortes machen, nicht bloß zu den passiven Bewohner:innen. Die schiere Vermittlung von Faktenwissen reicht dafür nicht aus. Es braucht Wissen darüber, welche Wege zum politischen Engagement besonders gut funktionieren, welche Überholspuren es gibt.

Politische Veränderungen eines halben Jahrhunderts

Seit 50 Jahren geschieht nun schon politische Bildungsarbeit in Parteiakademien: Die Politische Akademie und das Renner-Institut sind dabei die am längsten etablierten Institutionen, das NEOS Lab ist aktuell die jüngste. Seit 1972 haben sich das politische System und die Orte, an denen Menschen mit Politik in Berührung kommen, zum Teil deutlich gewandelt. Das sieht man nicht nur daran, dass sich die Verhältnisse stark verändert haben. Bei der Nationalratswahl 1971 haben nur drei Parteien den Einzug in den Nationalrat geschafft, und die beiden Parteien SPÖ und ÖVP haben 93 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Seit der Nationalratswahl 2019 sind fünf Parteien vertreten, und die beiden größten Parteien ÖVP und SPÖ haben 58,6 Prozent der Stimmen erhalten.

Bei der Nationalratswahl 1971 waren 4.984.448 Menschen wahlberechtigt und 4.556.990 gültige Stimmen wurden abgegeben. 2019 waren es 6.396.812 Wahlberechtigte, das sind immerhin um 28 Prozent mehr. Allerdings wurden 2019 nur 4.777.246 gültige Stimmen abgegeben. Das sind um nur 5 Prozent mehr als vor 50 Jahren. Dennoch haben sich die Anforderungen an politische Bildungsarbeit teils dramatisch verändert. Denn immer mehr Menschen fühlen sich nach den verschiedenen Krisen, von der Pandemie bis zur Rekordinflation, durchaus ohnmächtig gegenüber der Politik oder haben sich nach Skandalen abgewandt. Sie finden sich auf den Karten nicht mehr zurecht oder wollen den Ort Politik so gut wie möglich meiden. Das ist alarmierend und zeigt akuten Handlungsbedarf auf. Denn so wenige Menschen wie lange nicht fühlen sich selbstermächtigt als Teil der Demokratie, zeigen Erhebungen wie der Demokratiemonitor und der Freiheitsindex des Meinungsforschungsinstituts SORA. „Die Vertrauenskrise ist eine Krise der Repräsentation“, warnt die Studienautorin Martina Zandonella, denn die Daten zeigen nicht nur ein schwindendes Vertrauen in die Bundesregierung, sondern auch in das Parlament. Auf die Frage „Funktioniert das politische System in Österreich sehr gut/ziemlich gut/weniger gut oder gar nicht gut?“ antworteten 2018 noch 64 Prozent (sehr) gut, 2022 waren es nur noch 34 Prozent.

Die Parteiakademien können und sollten einen Beitrag dazu leisten, den Menschen das politische System nicht nur näherzubringen, sondern auch die Selbstermächtigung von Bürger:innen in den Fokus zu stellen. Denn gerade die Parteiakademien können dem Eindruck entgegentreten, dass Politik der Ort sei, „an dem sich die da oben ausmachen, wie wir miteinander leben“. Diesen Eindruck teilt mittlerweile die Hälfte der Menschen laut SORA-Demokratiemonitor.

Diesem Eindruck kann man vieles entgegensetzen:

            • Initiativen, die die Partizipation stärken und die Bürgerbeteiligung ins Zentrum rücken. Statt „was passiert da?“ sollte die wichtigste politische Frage werden: „Was kann ich tun?“

            • Diskussionsformate, die parteiübergreifende Widersprüche darstellen und Raum für Debatten geben, um zu sehen, wie politische Mehrheiten und Entscheidungen zustande kommen.

            • Problemlösung statt Problematisierung ins Zentrum rücken. Die Multikrise mag die Aufmerksamkeit des politischen Systems auf die Probleme unserer Zeit richten, doch Lösungsansätze und Ideen gibt es in unseren europäischen Nachbarländern oder in anderen Bundesländern in mannigfaltiger Weise. Nur ganz selten ist man selbst als Erster oder Erste mit einem Problem konfrontiert.

Bürgerbeteiligung, parteiübergreifende Diskussion und lösungsorientierte politische Bildungsarbeit bedeuten aber auch, dass es staatsbürgerlicher Bildungsarbeit vor allem dann gelingen wird, den Vertrauensverlust zu bekämpfen, wenn man sich von der traditionellen Vorstellung der Parteiakademien als „Kaderschmieden“ für die eigene politische Richtung etwas löst. Denn es geht angesichts der Vertrauenskrise auch darum, Menschen für Politik anzusprechen, die davor noch kein Interesse hatten oder gar ihr Vertrauen in die repräsentative Demokratie verloren haben. Hier sind die Herausforderungen besonders groß, weil sich die Zielgruppen politischer Bildungsangebote heute auch gänzlich anders informieren als früher.

Um erfolgreich neue Zielgruppen anzusprechen, müssen heute viel mehr Menschen mit unterschiedlichen Medienformaten erreicht werden, weil nicht nur das politische System, sondern auch der Medienkonsum heute viel diverser ist. Politische Bildung muss daher wie jede Form von Erwachsenenbildung heute digitaler und vielfältiger sein, als sie es jemals war. Podcasts, Instagram-Stories oder Hackathons mögen auf den ersten Blick nicht nach einem Auftrag für Parteiakademien klingen, doch ohne sie würden die Bildungsangebote junge Erwachsene kaum mehr erreichen.

Was Parteiakademien liefern können

Orte sind in der Demokratie immer wichtig. Es ist kein Zufall, dass die Neugestaltung und Neueröffnung des Parlaments im Jahr 2023 als wichtiger Meilenstein gefeiert wird. Das Parlament ist in der repräsentativen Demokratie der zentrale Ort, das Forum für Diskurs, für weitreichende politische Entscheidungen, für die Auseinandersetzung um unterschiedliche Vorschläge und Lösungsansätze. Dass die politische Bildungsarbeit so stark mit den Parteien verbunden ist, ist daher einerseits eine richtige Verortung. Schließlich sind Parteien zentrale Akteure der politischen Landschaft in Österreich. Doch andererseits darf sich die Arbeit der Parteiakademien in Sachen politische „Skills“ und Kompetenzen nicht darin erschöpfen, als Kaderschmieden für bereits hochrangige Funktionäre wahrgenommen zu werden.

Denn politische Bildung ist und bleibt gerade auch wirkungsvoll, um Bürger:innen anzusprechen und davon zu überzeugen, dass sie nicht ein Objekt, sondern ein Subjekt von Politik sind. Die Macht geht von den Menschen aus. Und dafür darf der Ort, an dem wir uns ausmachen, wie wir miteinander leben, nicht weit weg sein.

Dafür müssen wir zu viel Diskurs zu aktuellen relevanten Themen einladen, mit neuen Medien und Formaten ins Gespräch kommen und auch über die Parteigrenzen hinaus debattieren. Die Parteiakademien sind damit natürlich auch viel eher als die im Wahlkampf stehenden Parteien in der Lage, das berühmt-berüchtigte „Lager“-Denken zu durchbrechen, und das Gemeinsame am politischen Ort hervorzustreichen.

Es ist nicht nur für neue Parteien, sondern die Demokratie insgesamt enorm wichtig, möglichst viele Menschen mit dem Aufbau unserer Demokratie, den wichtigen tragenden Säulen und der Bedeutung von checks and balances bekanntzumachen. Österreich sollte dabei von anderen Ländern lernen, die eine größere Tradition von direkt-demokratischen Elementen, Transparenz oder Partizipation haben als wir. Staatsbürgerliche Bildungsarbeit muss Wege aufzeigen, selbst den Ort Politik zu gestalten, die Demokratie zum eigenen Anliegen zu machen und in die Gestaltung zu kommen.

Die Parteiakademien haben eben nicht nur die Aufgaben, für ihre Parteien Menschen auszubilden, sondern müssen auch aufpassen, dass sie jene offenen Räume sind und bleiben, in denen Bürger:innen den Ort Politik erleben können, erste Wegbeschreibungen erhalten und Souveränität statt Ohnmacht erfahren. Parteiakademien können damit die offenen Labore sein, um Neues auszuprobieren, Lösungen zu entwickeln und Aktuelles zu diskutieren.

In einer Technokratie bräuchte es die Parteiakademien vielleicht nicht, denn die Expert:innen und die Interessenvertreter:innen kennen die Politik und ihre Orte und Räume wie ihre Westentasche. Sie wissen um alle Wege, ob es nun der Weg der Gesetzwerdung oder der Förderungen ist. Doch in einer Demokratie sollten vor allem die Menschen selbst ein klares Bild davon haben, wie der Ort Politik für sie funktioniert und wo sie sich einbringen können.

Der aktuell stark ausgeprägte Vertrauensverlust in das politische System sollte anlässlich des 50-jährigen Jubiläums zur Schaffung der Parteiakademien auch Anlass sein, um dies als deren Aufgabe stärker wahrzunehmen. Weil politische Bildung auch einen Beitrag zur Vertrauensbildung liefern kann.

Dieser Text ist ursprünglich im Österreichischen Jahrbuch für Politik, einer Publikation der Politischen Akademie, erschienen.

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