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Ungarn vor der Wahl: Orbán und die Tücken des Wahlrechts

Dieter Feierabend
Dieter Feierabend

 

Kommenden Sonntag findet in Ungarn die achte Wahl seit dem Fall des Eisernen Vorhangs statt und nicht zuletzt aufgrund der polarisierenden Amtsführung des derzeitigen Regierungschefs Viktor Orbán, findet die Wahl ein breites mediales Echo auch außerhalb Ungarns. Besondere Aufmerksamkeit erreichte Orbán kurz nach den Wahlen 2014, bei denen seine Partei Fidesz die 2010 errungene Zweidrittelmehrheit halten konnte, da er in einer Serie von Reden den Umbau des politischen Systems in Ungarn zu einer „illiberalen Demokratie“ forderte:

The most popular topic in thinking today is trying to understand how systems that are not Western, not liberal, not liberal democracies, and perhaps not even democracies, can nevertheless make their nations successful.

If we want to organize our national state to replace the liberal state, it is very important that we make it clear that we are not opposing nongovernmental organizations here, and it is not nongovernmental organizations who are moving against us, but paid political activists who are attempting to enforce foreign interests here in Hungary.

Orbán, dessen Partei weiterhin Teil der europäischen Christdemokratischen EPP ist, beschränkte sich in der letzten Regierungsperiode nicht nur auf rhetorische Plattitüden, sondern Manipulationen von nationalen Institutionen, die Zentralisierung von Macht und Einfluss, die Schwächung einer unabhängigen Presse, Korruptionsfälle, die Einschränkung der Rechte von Richter_innen, sowie Verleumdungskampagnen gegen Regierungskritiker_innen sind seitdem regelmäßig zu beobachten. Einen guten Überblick über die Handlungen liefert der ungarische Blog The Orange Files.

Nicht zuletzt durch seine Zusammenarbeit mit der polnischen Regierungspartei PiS, beide setzten sich auf EU-Ebene beispielsweise gegen eine EU-weite solidarische und faire Verteilung von geflüchteten Menschen oder die Ablehnung von „westlichen Werten“, inszenierte sich Orbán als Gegenpol zu anderen Staats- und Regierungschefs der EU wie beispielsweise Angela Merkel oder Emmanuel Mancron.

Wie sieht das Wahlrecht in Ungarn aus?

Ungarn ist eine parlamentarische Republik mit einem Einkammernsystem auf Bundesebene, der Nationalversammlung (Országgyülés) mit 199 Mitgliedern, die alle vier Jahre neu gewählt werden. Eine knappe Mehrheit der Abgeordneten wird direkt in Einerwahlkreisen in die Nationalversammlung gewählt, 96 Mandate werden in einem separaten Verfahren nach den Prinzipien eines Verhältniswahlrechts vergeben. In der Amtszeit Viktor Orbáns kam es zu einer massiven Änderung des Wahlrechts:

Am 23.12.2011 wurde ein neues Wahlgesetz verabschiedet, das ab 2014 die Anzahl der Abgeordneten von 386 auf 199 verringert. Bei den direkt gewählten Abgeordneten, bisher 176, künftig 106, ist kein zweiter Wahlgang mehr vorgesehen, da die relative Mehrheit im ersten Wahlgang genügt. Die Anzahl der für die Zulassung als Kandidat_in erforderlichen Unterschriften von Bürger_innen wurde von 750 auf 1500 verdoppelt. Erhöht wurde auch die Hürde für Wahlbündnisse von Parteien von bisher 5 auf 10% der abgegebenen Stimmen, Wahlbündnisse von mehr als zwei Parteien bedürfen gar eines Stimmanteils von 15%, um ins Parlament zu gelangen.

Gleichzeitig gibt es massive Kritik bezüglich der Zuschneidung der Wahlkreise, die laut Expert_innen Fidesz massiv bevorzugen würde.

Wie gingen die Wahlen vor vier Jahren aus und wie ist die Ausgangslage?

Wie in vielen osteuropäischen Staaten ist auch in Ungarn das Parteiensystem sehr volatil. Seit 2010, dem Jahr in dem die sozialistische MSZP implodierte, sehen wir ein Parteiensystem mit einer dominierenden Partei Fidesz (111/199 Sitze), und mehreren Mitte- und Kleinparteien. Derzeit zweitstärkste Kraft ist die sozialistische MSZP (38), gefolgt von der rechtsradikalen Jobbik (23), der grünen LMP (6). Seit den Wahlen kam es zu Abspaltungen, insbesondere bei der MSZP die derzeit nur mehr bei 29 Sitzen hält, insbesondere die Demokratische Koalition (DK) unter dem ehemaligen MSZP-Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány ist hier hervorzuheben. Ebenso versuchen neue Parteien, wie beispielsweise die liberale Momentum, in das Parlament einzuziehen.

Allen Umfragen zufolge wird Fidesz auch bei dieser Wahl wieder mit Abstand die stärkste parlamentarische Kraft. Lange Zeit schien es, nicht zuletzt wegen des Wahlrechts, auch sehr wahrscheinlich, dass Fidesz wieder ein Wahlergebnis wie 2014 erreichen könnte, jedoch ist in den letzen Monaten eine gewisse Dynamik zu beobachten.

Im Februar fand in Hodmezovasarhely, einer Fidesz-Hochburg, Bürgermeisterwahlen statt die zur Überraschung aller, inklusive Orbán, zu einem Sieg des unabhängigen (und von der Opposition unterstützten) Peter Marki-Zay führten (mit 58 zu 42%). Seitdem ist zumindest die Stimmung bei den ungarischen Oppositionellen gedreht.

Die Dominanz der Fidesz ist – ironischerweise – durch das derzeit geltende Wahlrecht in Gefahr. Da es nur einen Wahlgang für die 106 direkt gewählten Abgeordneten gibt, reicht einem Kandidaten/ einer Kandidatin schon eine relative Mehrheit für einen Mandatsgewinn. Noch vor vier Jahren dominierte die Fidesz die Direktmandate wie diese Grafik zeigt (Orange = Fidesz, Rot = MSZP).

Was wir jedoch in den letzten Wochen beobachten konnten ist, dass immer mehr Kandidat_innen der Opposition ihre Kandidatur in den Wahlkreisen zugunsten des/der aussichtsreichsten Oppositionskandidat_in zurückziehen. Welche Auswirkungen dies haben könnte, beschreibt der Wahlblog „Hungarian Spectrum“ hier sehr gut.

Ein Fallbeispiel: im Budapester Wahldistrikt 1 hat der bekannte und populäre Momentum Kandidat András Fekete-Győr seine Kandidatur zurückgezogen. Vor diesem Schachzug lag Fidesz-Kandidat István Hollik laut Prognosen rund sieben Prozent vor MSZP Kandidat István Hollik, nun sind es Umfragen zufolge nur mehr knapp drei Prozent. Sollte diese Strategie flächendeckend aufgehen, so könnte Orbán am Sonntag nicht nur die sicher geglaubte Zweidrittelmehrheit verlieren, sondern massive Sitzverluste einfahren. Angesichts der zersplitterten (und zerstrittenen) Opposition, mangelnder Mobilisierung seitens der Opposition und einem repressiven politischen Klima ist dies jedoch alles andere als gesetzt. Nur eines können wir mit Sicherheit sagen: der Wahlsonntag in Ungarn wird spannend.

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