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Wenn über Europa ohne Europa verhandelt wird

Silvia Nadjivan
Silvia Nadjivan

In der Ukraine entscheidet sich die Sicherheit Europas. Doch über die Sicherheit Europas soll nun ohne Europa verhandelt werden. Zum dritten Jahrestag des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine rächt sich die behäbige Reaktion statt der groß angekündigten Zeitenwende. Eine kurze Analyse von Silvia Nadjivan und Lukas Sustala.

„Die Starken tun, was sie wollen, und die Schwachen ertragen, was sie müssen.“ Das Zitat des altgriechischen Generals und Historikers Thukydides drängt sich auch dieser Tage auf. Bei zwei wichtigen internationalen Treffen haben US-Vertreter nicht nur klar gemacht, dass die USA „die Starken“ seien, sondern auch, dass Europa Schluss machen muss mit seiner Schwäche.

Beim NATO-Treffen in Brüssel am 13. Februar und der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) von 14. bis 16. Februar 2025 bestätigten sich die bisherigen Befürchtungen, dass sich die USA unter Trump 2.0 mit ihrem isolationistischen und zugleich imperialistischen Kurs nicht mehr wie bisher für die Sicherheit in Europa einsetzen werden. „Ein neuer Sheriff ist in der Stadt“, lautete die Ankündigung von US-Vizepräsident J.D. Vance. „Diese Rede hätte auch Wladimir Putin halten können“,  zitiert der Economist einen Teilnehmer der MSC.

Nach den zahlreichen Weckrufen der letzten Jahre brachten zwei Reden von US-Regierungsvertretern nun einen harten Realitätscheck für die europäische Sicherheitspolitik: Der US-amerikanische Verteidigungsminister Pete Hegseth in Brüssel und der US-Vize-Präsident J.D. Vance in München waren dabei in der Botschaft unmissverständlich und im Stil schroff. Klar ist: Für die USA liegt die Sicherheit in Europa nicht mehr im Fokus. Unter Trump 2.0 verfolgen die bisherigen westlichen Verbündeten USA und Europa zwei diametral entgegengesetzte Sicherheitspolitiken. Die USA stellen deutlich klar, dass sie sich künftig im indopazifischen Raum engagieren wollen. Europa spielt in diesen Überlegungen keine große Rolle mehr. 

So forderte der US-Verteidigungsminister Hegseth beim NATO-Treffen am Donnerstag in Brüssel wie schon zuvor Donald Trump die Erhöhung der nationalen Verteidigungsausgaben der NATO-Mitgliedsländer auf 5 Prozent und drohte mit einem möglichen Rückzug der US-Truppen aus Europa. Die Reaktion der NATO-Partner: Sowohl der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz als auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius wiesen neben anderen europäischen Teilnehmer:innen dieses 5-Prozent-Ziel als unrealistisch ab. NATO-Chef Mark Rutte spricht von „deutlich über 3 Prozent“ als mögliches Ziel für die NATO-Länder. Nicht einmal die USA würden mit ihrem Verteidigungsbudget – unter 4 Prozent ihres BIP – ihr eigenes Ziel erreichen, stellte der deutsche Verteidigungsminister mit seiner Spitze fest, womit er auch recht hat. 

Ein Vizepräsident auf Abwegen in München

Zwei Tage später, bei der Münchner Sicherheitskonferenz, hinterließ die Trump-Regierung allerdings einen sprichwörtlichen Scherbenhaufen. Anstatt auf die Situation in der Ukraine einzugehen und Vorschläge für ein gemeinsames Vorgehen gegen den russischen Kriegstreiber Wladimir Putin zu machen, nutzte US-Vizepräsident J.D. Vance seine Rede für einen Rundumschlag gegen die EU. Denn nicht Russland oder China seien eine Gefahr für die europäische Sicherheit, sondern die mutmaßlichen Einschränkungen von Demokratie und Medienfreiheit in Europa. Darüber hinaus kritisierte Vance die irreguläre Immigration in Europa, die Brandmauer gegen Rechtsextreme auf politischer Ebene als vermeintlich antidemokratisch, oder auch die Annullierung der Präsidentschaftswahlen in Rumänien. Der hybride Krieg Russlands gegen die EU fand hingegen keine Erwähnung. Stattdessen warb er für eine Zusammenarbeit mit der AfD, wenige Tage vor der Bundestagswahl – eine Einmischung in einen laufenden Wahlkampf. 

Der Reaktionen auf diesen Auftritt gibt es viele. Den Angriff der Trump-Regierung auf die liberal-demokratischen Werte in Europa sowie die Prinzipien von Rechtsstaat und Völkerrecht thematisieren nicht zuletzt auch viele US-Analysten, etwa der renommierte Historiker Timothy Snyder oder der Journalist Noah Smith.

Geeintes Europa dringend notwendig 

Während Vance in München viele schockierte Gesichter zurückließ, ist aber auch klar, dass Europa tatsächlich ein Deutschland braucht, das Verantwortung übernimmt, statt nur darüber zu sprechen. Das stellte der britische Economist jüngst mit Blick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen in Deutschland fest, porträtierte auf seiner Titelseite den CDU-Kandidaten Friedrich Merz und fragte: „Kann er Deutschland – und Europa – retten?“ Denn bekanntlich ist eine starke deutsch-französische Allianz immer der Garant für ein geeintes Europa gewesen. Und genau diese beiden Länder sind nicht nur letztes Jahr durch ihre jeweiligen Regierungskrisen als tragfähige Säulen ausgefallen. Sowohl Olaf Scholz als auch Emmanuel Macron fehlt inzwischen die notwendige innenpolitische Mehrheit, um auf europäischer Ebene ausreichend stark auftreten zu können.

Lichtblicke auf europäischer Ebene

Wie gerufen kommen in dieser prekären Lage nicht nur die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und der EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius, sondern auch die seit Jänner 2025 bestehende polnische EU-Ratspräsidentschaft. Denn Donald Tusk füllte mit seiner öffentlichen Präsenz schon Ende 2024 genau jene Lücke, die Frankreich und Deutschland wegen interner Regierungskrisen aufgerissen hatten. Diese Führungsrolle stellte Tusk auch bei seiner Antrittsrede im Jänner 2025 anlässlich der Amtsübergabe im Europäischen Parlament unter Beweis. Vor dem Hintergrund des Schreckgespenstes USA unter Trump 2.0 und des brutalen Kriegstreibers Russland forderte Tusk einmal mehr, diese Situation – so schrecklich sie auch ist – als Chance für ein gemeinsames, starkes Europa zu sehen. 

Ukraine-Unterstützung nach wie vor unerlässlich  

Auch wenn sich in Europa eine gewisse Kriegsmüdigkeit einschleicht und die Unterstützung der USA mehr als fraglich ist, vor allem hinsichtlich des aktuellen Treffens in Saudi-Arabien zwischen russischen und US-Vertretern – und das ohne ukrainische und europäische Vertreter:innen –, gilt es, die Ukraine in ihrer Verteidigung gegen den Aggressor Russland nach wie vor zu unterstützen. Was wissenschaftliche Analysen (allen voran vom Kiel Institut für Weltwirtschaft) und Einschätzungen belegen, muss auch zusehends Common Sense werden. Eine Niederlage der Ukraine oder ein unter Trump vermittelter Diktatfrieden würden Europa viel teurer zu stehen kommen als die europäische Unterstützung der Ukraine. Das zu vermitteln und umzusetzen, hat sich auch Tusk zur Aufgabe gemacht. Sichtlich mit Erfolg. Denn auf die Worte folgen auch Taten, wie vor allem die Vorbereitung des 16. EU-Sanktionspakets gegen Russland zum dritten Jahrestag des Kriegs. Das polnische Verteidigungsbudget ist bereits kurz nach Kriegsausbruch deutlich angehoben worden. Zählt doch Polen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Ukraine zu jenen Ländern, die von den Kriegsfolgen und der zusätzlichen Bedrohung gegen Europa direkt betroffen sind.

Europäische Armee wieder in Diskussion

Darüber, dass das 5-Prozent-Ziel kurzfristig unrealistisch ist, war man sich auf der Münchner Friedenskonferenz schnell einig. Die Erhöhung auf 3 Prozent fand allerdings unter den europäischen NATO-Mitgliedsländern schnell Zustimmung. Zudem erhielt die Ukraine von den europäischen Partnern klare Signale zur weiteren Unterstützung. Der britische Premier Keir Starmer stellte dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Aussicht, nach Kriegsende britische Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden. Auch die schwedische Regierung äußerte sich in diese Richtung.

Zuvor hatte Selenskyj bei der Münchner Konferenz eine „Streitmacht Europas“ gefordert. Das, was Emmanuel Macron in der Vergangenheit mehrmals aufs Tapet gebracht hatte, nämlich eine strategische Autonomie und gemeinsame Streitkräfte in Europa aufzustellen, hat spätestens seit den internationalen Treffen letzte Woche wieder brisante Aktualität erhalten. War die Aufstellung einer europäischen Armee neben funktionierenden NATO-Kräften bisher quasi ein Tabu gewesen, so haben Hegseth und Vance über Umwege das europäische Selbstbewusstsein in Sachen Selbstverteidigung eigentlich gestärkt. Denn auch die US-Außenbeauftragte Kaja Kallas betonte wiederholt, dass Europa sehr wohl die notwendige militärische Stärke habe. Hier gehe es einzig um den politischen Willen. Und dieser ist bei möglichen bevorstehenden Friedensverhandlungen genauso wichtig. Ein starkes Europa ist daher für die gemeinsame Außen- wie auch Verteidigungspolitik dringend notwendig.

Bei zukünftigen Friedensplänen am Tisch und nicht auf dem Menü

Bei sich derzeit anbahnenden Friedensverhandlungen gilt eine ebenso häufig zitierte wie treffende Binsenweisheit: Entweder man sitzt mit am Tisch oder befindet sich auf der Speisekarte. Das heißt, wenn sich der russische Kriegstreiber Putin und US-Präsident Trump über einen möglichen Diktatfrieden für die Ukraine wie kürzlich am Telefon aussprechen, kann das keine Gültigkeit haben. Schließlich kann kein Frieden für die Ukraine ohne die Ukraine verhandelt werden. Da die Ukraine immanenter Teil Europas ist, kann auch Europa bei Friedensverhandlungen nicht fehlen. Schließlich soll es später den Frieden mit eigenen Truppen sichern und am Wiederaufbau wesentlich mitwirken. In diesem Sinn hat man sich auf europäischer Ebene kurzfristig in Paris getroffen, um gefeit zu sein für das Treffen zwischen dem US-amerikanische Außenminister Marco Rubio und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow im saudi-arabischen Riad, wo am Mittwoch der ukrainische Präsident Selenskyj geladen ist. Viel wurde bei dem Krisentreffen in Paris zwar nicht beschlossen, weil über mögliche Friedenstruppen nach Kriegsende keine Einigkeit besteht. Einig ist man sich aber darüber, dass das Verteidigungsbudget der EU-Länder erhöht werden muss.

Notwendig: klare europäische Forderungen für einen möglichen Friedensschluss 

Jetzt geht es international Schlag auf Schlag, was eine starke Außen- und Verteidigungspolitik unerlässlich macht. Stichwort: Gemeinsame Verteidigungsunion, wie so oft gefordert. Davon ist man zwar realpolitisch noch weit entfernt. Diese wird aber in Zukunft ein Teil des gemeinsamen Europas wie idealiter der Vereinigten Staaten von Europa sein müssen.

Um den jetzt befürchteten Diktatfrieden zu verhindern, benötigt Europa dringend eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsstrategie, und das in einer endlich etablierten Verteidigungsunion. Nur so kann es gegenüber der aktuellen US-Administration ebenso klare wie notwendige Forderungen für den Frieden stellen, wie kürzlich vom deutschen Politiker und Publizisten Ralf Fücks zusammengefasst.

(Bild: Waldemarus/iStock)

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