Mit dem EU-Beitritt 1995 hat sich die österreichische Neutralitätspolitik sowohl de jure als auch de facto geändert, wohingegen der öffentliche Diskurs dazu in einer Endlosschleife kreist. Peter Hilpold, Europa- und Völkerrechtsprofessor an der Universität Innsbruck, benennt in „Unser Auftrag“ 04/2022 fünf Phasen des österreichischen Neutralitätsrechts seit seiner Begründung 1955, die über Indifferenz, Übertreibung, Ende des Ost-West-Konflikts und EWG/EU-Annäherung bis zum Wegfall der traditionellen Grundlagen mit dem EU-Beitritt reichen. Anstatt der Öffentlichkeit ehrlich zu sagen, was laut EU-Recht Beistandspflicht bedeutet, dass nämlich Österreich im Ernstfall Teil einer europäischen Militärunion wäre (im Gegensatz zu Irland ausnahmslos), verharrt man lieber auf das Beschwören des „prominentesten Untoten“ (Namensgebung vom renommierten Politikwissenschafter Anton Pelinka). Wovon Österreich noch profitiert, ist laut Hilpold und weiteren Militärexpert:innen die sogenannte Neutralitätsdividende. Demnach garantieren im etwaigen Krisenfall NATO-Staaten gegenüber Österreich eine uneingeschränkte (asymmetrische) Solidarität, ohne dass Österreich entsprechende Investitionen in die gemeinsame Verteidigung leistet. Wie lange dies anhalten wird, bleibt fraglich, zumal es innerhalb der NATO zusehends turbulenter wird.