Eine Policy Note von Günther Oswald
Das Versicherungsprinzip des österreichischen Pensionssystems verwässert sukzessive, immer größere Lasten werden in den allgemeinen Haushalt ausgelagert. Diese Policy Note gibt einen Überblick, wie groß die budgetären Belastungen bereits sind, durch welche Maßnahmen das Versicherungsprinzip untergraben wird und welche Reformen die Situation entspannen könnten.
Die Studie im Überblick
Um die langfristige Sicherheit der österreichischen Staatsfinanzen war es schon deutlich besser bestellt. Die neue Langfristprognose des Wifo für das Finanzressort (vgl. Langfristige Budgetprognose BMF) zeigt: Kommt es zu keinen größeren Reformen, wird die gesamtstaatliche Schuldenquote bis 2060 auf rund 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ansteigen. Weniger optimistische Szenarien gehen von einer geringeren Migration oder einer geringeren Produktivitätssteigerung aus: Ihnen zufolge würde der Schuldenberg sogar auf 150 bis 180 Prozent des BIP ansteigen. Das wären italienische bis griechische Verhältnisse. Die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wäre nicht mehr sichergestellt.
Das Grundproblem des österreichischen Pensionssystems: Die Menschen werden immer älter, das Pensionsalter steigt jedoch nicht entsprechend mit. Seit Beginn der 1970er Jahre haben wir mehr als ein Jahrzehnt an zusätzlichen Lebensjahren dazu gewonnen. Das Pensionsantrittsalter hat sich hingegen kaum bewegt. Trotz eines leichten Anstiegs in den vergangenen Jahren gehen wir heute de facto so früh in Pension wie im Jahr 1970: Männer mit nicht ganz 62, Frauen mit 60.
Die demografischen Herausforderungen werden in den nächsten Jahrzehnten nicht kleiner. Laut aktueller Bevölkerungsprognose des Wifo (auf Basis von Daten der Statistik Austria) wächst die Bevölkerung von aktuell gut 9 Millionen auf etwas über 10 Millionen im Jahr 2060. Während die Erwerbsbevölkerung weitgehend konstant bleibt bzw. sogar leicht schrumpft, wächst die Zahl der über 65-Jährigen um eine Million: auf dann 2,7 Millionen im Jahr 2060.
Das Versicherungsprinzip des österreichischen Pensionssystems wurde in den vergangenen Jahren massiv verwässert, erhebliche Kosten wurden in den allgemeinen Haushalt ausgelagert. Der Pensionsanspruch hängt immer weniger davon ab, wie viel an Beiträgen einbezahlt wurde.
Die vergangenen fünf Pensionsanpassungen, die allesamt über der Inflation ausfielen, verursachen bis 2040 Mehrkosten von rund 10,5 Milliarden Euro.
Der reale Wert der Pensionen entwickelt sich durch die politischen Eingriffe extrem ungleich. Dank neuer Boni sind die Mindestpensionen von Personen mit langen Versicherungszeiten seit 2005 um 30 bis 66 Prozentpunkte stärker gestiegen als die Inflation. Die Einkommen von Bezieher:innen einer Ausgleichszulage sind um 15 Prozentpunkte stärker gestiegen. Im obersten Dezil haben die Pensionen hingegen um knapp 14 Prozentpunkte an Wert verloren (Werte jeweils inkl. Einmalzahlungen).
Das Nachfolgemodell der Hacklerregelung, der sogenannte Frühstarterbonus, kostet langfristig mehr als 900 Millionen Euro pro Jahr. Die um einen Monat nach hinten verschobene Anhebung des Frauenpensionsalters wird während der kommenden Jahre jährliche Mehrkosten von rund 50 Millionen Euro verursachen, die erst ab Mitte der 2030er Jahre auf 25 Millionen Euro pro Jahr absinken.
Zahlen & Fakten
55,4%
Beschäftigungsquote der 55-64-Jährigen in Österreich (Eurostat, Werte 2021)
+10,5 Mrd. €
verursachen die vergangenen 5 Pensionsanpassungen bis 2040
-2,8 Mrd. Euro
Senkung der Auszahlungen der Pensionsversicherung bei 1 Jahr späterem Pensionsantritt (parl. Anfrage Nr. 12175/J)
In den Medien
Empfehlungen
Vertrauen durch Verbindlichkeit
Es gibt seit 2006 eine klare Gesetzeslage zur jährlichen Anpassung der Pensionen, daher sollte sich die Regierung daran halten. Die Inflation lässt sich einfach feststellen und bedarf keiner Nachverhandlungen mit Seniorenvertreter:innen.
Vertrauen durch Expertise
Die Politik sollte sich stärker an die Empfehlungen von Fachleuten halten. Die Alterssicherungskommission sollte einerseits entpolitisiert und andererseits von der Regierung vor allem ernst genommen werden.
Vertrauen durch Planbarkeit
Nachhaltigkeitsmechanismen begünstigen Verhaltensänderungen durch Unternehmen und Arbeitnehmer. Die häufigste Variante ist, das Pensionsantrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Einige Länder setzen auch auf Mischsysteme und berücksichtigen die steigende Lebenserwartung bei den jährlichen Pensionsanpassungen oder der Pensionshöhe.
Automatischer Ausgleichsmechanismus
Ein solcher wäre sinnvoll, damit die Pensionspolitik nicht Spielball der Parteipolitik wird. Nachhaltigkeitsautomatismen verhindern einerseits Kostenexplosionen, andererseits sorgen sie laufend für kleine, wenig schmerzhafte Anpassungen.
Effektiv späterer Pensionsantritt
Hätte Österreich in der Altersgruppe 55- bis 64-Jährige eine Beschäftigungsquote wie Schweden (76,9 Prozent), wären rund 277.000 Menschen mehr im Erwerbsleben. Ein späteres Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wäre auch ein wichtiger Beitrag für nachhaltige Finanzen.
Breiter politischer Konsens
Um sicherzustellen, dass Reformen auf breite gesellschaftliche Akzeptanz stoßen. Relevante Akteure im politischen System bzw. im Parlament, die die Notwendigkeit einer nachhaltigen Haushaltsführung verleugnen, machen einen Kurswechsel schwierig.