Wie mittlerweile hinlänglich bekannt ist, haben sich die Bundesländer gegen das Renaturierungsgesetz ausgesprochen. Später haben Wien und Kärnten ihre Position aber geändert. Laut Bundes-Verfassungsgesetz (Artikel 23d) verpflichtet eine einheitliche Stellungnahme der Länder den Bund, auch auf EU-Ebene keine Rechtsnormen zu setzen, die ihr widersprechen; es sei denn, aus zwingenden integrations- oder außenpolitischen Gründen. Aber haben die Bundesländer überhaupt eine gültige einheitliche Stellungnahme eingebracht? Hier steht es Gutachten gegen Gutachten. Der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt sagt Ja, die von Leonore Gewessler beauftragen Juristen sagen Nein.
Formal entsteht eine einheitliche Länder-Stellungnahme durch Beschluss der Integrationskonferenz der Länder (IKL). (Siehe: BGBl. Nr. 775/1992) Sie fasst ihre Beschlüsse grundsätzlich in Sitzungen, in dringenden Fällen durch Umfrage. Damit die IKL beschlussfähig ist, müssen alle Ländervertreter rechtzeitig eingeladen und mindestens fünf Bundesländer in der Sitzung vertreten sein. Die Länderstellungnahmen vom November 2022 und Mai 2023, um die es in dem aktuellen Streit geht, wurden aber nicht von der Integrationskonferenz der Länder beschlossen. Gewesslers Gutachter schreiben deshalb, dass es von Anfang an keine rechtsgültige einheitliche Stellungnahme der Länder gegeben habe. Deshalb sei die Ministerin auch nicht verpflichtet, sich daran zu halten. Dagegen führt der Verfassungsdienst Gewohnheitsrecht ins Feld, weil der Bund in der Vergangenheit auch Stellungnahmen der Landeshauptleutekonferenz und der Landesamtsdirektorenkonferenz als verbindlich behandelt habe. Ob diese Auslegungspraxis maßgeblich ist, bleibt aber strittig. Wie so oft in Österreich ist die Lage gemäß „Realverfassung“ nicht eindeutig.
Ziemlich klar, aber eigentlich irrelevant, ist die Frage, ob die IKL ihre Stellungnahme nachträglich anpassen oder ergänzen darf, und wie das zu erfolgen hat. Laut Gesetz braucht es auch dafür einen formellen Beschluss. (BGBl. Nr. 775/1992, Art. 7 Abs. 2) Da es den aber von Anfang an nicht gab, geht dieses Argument ins Leere.
Selbst wenn es eine gültige Länderstellungnahme gäbe, hätte die grüne Umweltministerin höchst wahrscheinlich so handeln dürfen, wie sie es getan hat. Denn bei der Renaturierungsverordnung scheint es zwingende integrations- oder außenpolitischen Gründe zu geben, die erlauben, dass der Bund sich über eine Länderstellungnahme hinwegsetzt. Hier lassen sich etwa völkerrechtliche Verpflichtungen zum Biodiversitätsschutz wie etwa den Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal, die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung und Österreichs Verpflichtungen nach dem Pariser Klimaschutzabkommen ins Feld führen. Zusätzlich kommen Gründe wie Loyalität im Sinne der redlichen Zusammenarbeit eines Mitgliedstaats mit der Union und die Abwendung eines potenziellen Image-Schadens für die Republik in Betracht.