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Die Rettung der liberalen Demokratie betrifft uns alle

Silvia Nadjivan
Silvia Nadjivan

Die liberale Demokratie gerät zusehends in Gefahr, indem antieuropäische und insbesondere rechtspopulistische Parteien durch Wahlen laufend an Einfluss und Macht gewinnen. Gefragt sind jetzt liberaldemokratische und vor allem liberale Kräfte, Europa vor einem autokratischen Wandel zu bewahren.

Unter dem Motto „It’s up to us“ („Es liegt an uns“) lud das European Liberal Forum (ELF) von 23. bis 25. Mai 2025 zum interdisziplinären Workshop nach Bratislava. Der Einladung folgten liberale Thinktanks, zivilgesellschaftliche Organisationen und Politiker:innen aus ganz Europa. Schließlich ging es um nichts weniger als die Ausbreitung der globalen Rechten. Die damit verbundenen Konsequenzen für ganz Europa wurden im Workshop analysiert, die Situation in ausgewählten EU-Ländern und EU-Kandidaten genauer beleuchtet und darauf aufbauend gemeinsame Strategien und Konzepte entwickelt. Das alles sollte wiederum für jedes Land umsetzbar sein. Als „historischen Moment“ bezeichnete ELF-Direktorin Alva Finn diese Zusammenkunft, die erst den Anfang einer neuen, europaweiten Initiative der liberalen Bewegung bilden soll.

Gruppenfoto vor einem Banner mit der Aufschrift „European Liberal Forum“

Symbolik in Ort und Zeit

Obwohl – oder besser gesagt: weil – die Aussicht auf den Erhalt der offenen Gesellschaft derzeit nicht gerade erbaulich ist, setzt ELF klare Zeichen. Ort und Zeit sind daher Programm. So traf man sich nach der ELF-Generalversammlung letzten April in Budapest, u.a. im trotz erzwungener Stilllegung imposanten Gebäude der Central European University (CEU), nun in Bratislava. Die slowakische Hauptstadt gilt schon längst als Ort einer starken liberaldemokratischen Zivilgesellschaft, die sich dem prorussischen Kurs der linksnationalistischen Regierung unter Robert Fico mit allen Mitteln widersetzt. In deren Zentrum erinnert seit 2022 eine dauerhafte Gedenkstätte an die Ermordung des Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová im Jahr 2018, die zu landesweiten Protesten gegen Korruption sowie Kriminalität im Land und folglich zur Abwahl von Premier Fico führten. Vorerst, denn seit seiner Wiederwahl 2023 kann Fico seinen repressiven Kurs fortsetzen.

Höchste Zeit für europaweite Sichtbarkeit

Mittlerweile ist es deutlich schwieriger geworden, gegen Autokraten an der Macht vorzugehen, zumal sich seit den letzten Europawahlen 2024 die Mehrheitsverhältnisse zugunsten antidemokratischer und antieuropäischer Parteien verschoben haben. Der Ton im EU-Parlament ist rauer geworden, die Arbeit schwieriger, wusste MEP Lucia Yar beim Workshop zu berichten. Die Aufgabe der Liberalen sei daher, sich jetzt umso lauter, überzeugender und evidenzbasiert vehementer für die europäischen Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. Und zwar gemeinsam und dadurch sichtbarer. Was Autokraten seit Jahren praktizieren, sich gegenseitig durch gemeinsame Netzwerke zu stärken, nicht nur europaweit, sondern auch global, sollten Liberale zum Schutz der liberalen Demokratie und des gemeinsamen Europas schon längst tun. Schließlich geht es in den jeweiligen Ländern um sehr ähnlich gelagerte Herausforderungen.

NEOS Lab Foto - Silvia Nadjivan ELF Workshop Bratislava - beim Workshop

Beim Workshop

Pressierende Parallelen

Großgeschrieben wurden bei diesem Workshop daher Wissens- und Erfahrungsaustausch, wodurch viele Gemeinsamkeiten greifbar wurden. Was in der täglichen Berichterstattung meist national getrennt, parallel abgebildet wird, saß sozusagen an einem Tisch, und zwar der Einsatz aller Teilnehmer:innen für europäische Werte und Protest gegen die Aushöhlung liberaler und rechtsstaatlicher Errungenschaften. Seien es die zeitgleich verlaufenden und anhaltenden Studierenden- und Bürger:innenproteste in Serbien, Ungarn und der Slowakei gegen Korruption, Verfassungsbruch und Menschenrechtsverletzungen, mitunter Restriktionen gegen NGOs, die knapp gewonnenen Präsidentschaftswahlen in Rumänien und noch anstehenden (inzwischen verlorenen) Präsidentschaftswahlen in Polen, die höchst instabile politische Lage in Bulgarien (das ab 2026 der Eurozone beitreten wird) und der Kampf gegen das Erstarken des Rechtspopulismus in Österreich und den Niederlanden. Während in Österreich gescheiterte Koalitionsverhandlungen einen „Volkskanzler“ verhinderten, blockierte Geert Wilders laufend die Regierungsarbeit, bis er kürzlich die Regierung sprengte und die Niederlande in eine politische Krise stürzte. Nach Ansicht von Afke Groen, Direktorin des liberalen D66-Thinktanks Mr. Hans van Mierlo Foundation, sei das alles andere als überraschend. Schließlich seien konstruktive Zukunftsvisionen nicht gerade ein Merkmal der extremen Rechten. 

Europäische Perspektiven unerlässlich

Allzu deutlich wird einmal mehr, dass mit Autokraten kein Staat, geschweige denn ein gemeinsames Europa zu machen ist. Abgesehen von Verstößen gegen das EU-Recht wie Unterbindung von LGBTIQ+-Rechten und Restriktionen gegenüber Frauen wie dem Abtreibungsverbot in Polen und existenzbedrohenden Schikanen gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen wie in Ungarn und der Slowakei bieten populistische Parteien, insbesondere rechtspopulistische oder linksnationalistische, an der Macht keine veritablen Lösungen für dringende Probleme. Und davon gibt es viele: geopolitische Brüche, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und hybrider Krieg gegen Europa, demografischer Wandel, soziale Ungerechtigkeit, Wohnungsnot, Klimakrise sowie sinkende Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kontext, um nur einige zu nennen.

Nicht unterschätzen dürfe man dabei die sich gerade global ausbreitende „neofaschistische Bewegung“ bzw. globale Rechte, so Rastislav Káčer, früherer Außen- und Europaminister der Slowakei, in seiner Keynote. Mit Donald Trump als wiedergewähltem US-Präsidenten könnten russische Geheimdienstnetzwerke bis nach Washington reichen. Harter Tobak also. Zur Lösung derart vieler und gleichzeitig bestehender Probleme reicht einzelstaatliches Handeln nicht aus. Es braucht daher europäische Ansätze und Wege genauso wie Optimismus. Denn nur dieser könne Menschen beflügeln, Teams zu bilden und an gemeinsamen Ideen zu arbeiten, wie Peter Bátor, Direktor vom Inštitút Martina Filka, beim Workshop betonte. Den entsprechenden Rahmen fürs gemeinsame Lernen und Arbeiten stellte Vizedirektor Andrej Schulcz sicher, der mitunter auf folgenschwere Management-Fehler der aktuellen Fico-Regierung hinwies. Aufgrund von politisch motivierten Personalrochaden und fehlender Expertise der Fico-Gefolgsleute steht die bisher renommierte, jetzt international isolierte, Nationalgalerie seit Monaten leer.

NEOS Lab Foto - Silvia Nadjivan ELF Workshop Bratislava - Nationalgalerie

Die Stunde der Liberalen

Umso notwendiger werden europäische Ansätze, die bereits auf lokaler Ebene umgesetzt werden können. Als Good Practice hat sich beispielsweise der regelmäßige fachliche Austausch der ehemaligen Vizebürgermeisterin von Warschau, Karolina Zdrodowska, mit dem einstigen Wiener Vizebürgermeister und jetzigen Bildungsminister Christoph Wiederkehr erwiesen. Ebenso positiv wahrgenommen werden die vielen Aktivitäten des MEP und Lab-Präsidenten Helmut Brandstätter weit über das EU-Parlament hinaus. Darunter fällt seine so wichtige Netzwerkarbeit mit europäischen Schwesterparteien wie u.a. mit der bulgarischen Parlamentsabgeordneten Denitsa Simeonova. Klare Zeichen hat auch sein Besuch bei der liberaldemokratischen Zivilgesellschaft in Belgrad und Novi Sad gesetzt, hier vor allem das gemeinsame Treffen vor dem Bahnhof in Novi Sad, zugleich Unglücksort und Auslöser der anhaltenden landesweiten Proteste.

Wenn nicht wir selbst, wer sonst?

Was die Proteste der proeuropäischen Zivilgesellschaft innerhalb und außerhalb der EU immer wieder zeigen, ist der Glaube an die Zukunft in einem gemeinsamen liberaldemokratischen Europa. Für diese Vision nehmen vor allem junge Menschen gerade enorme Strapazen auf sich und riskieren sogar ihre Sicherheit und ihr Leben. 75 Jahre nach der europäischen Gründungsidee, 35 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und 25 Jahre nach der europaweit einsetzenden EU-Euphorie verdeutlichen sie einmal mehr, worum es geht: Wer, wenn nicht wir selbst, kann die liberale Demokratie retten?

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