Seitens der Österreichischen Mission bei der NATO hatte man zwar die Ereignisse rund um Jewgeni Prigoschins kurzweiligen Aufstand und den abgebrochenen Marsch der Wagner-Truppe in Richtung Moskau beobachtet, konnte jedoch knapp danach keine umfassende Einschätzung dieser Ad-hoc-Aktion abgeben. Die Vortragenden stimmten darin überein, dass Präsident Putin aus diesen innenpolitischen Tendenzen außenpolitisch und militärisch geschwächt herausgegangen war. Beruhigung ist gegenüber der Atommacht Russland bei weitem nicht angesagt, zumal Putins Widersacher noch irrationaler und umberechenbarer zu sein scheinen, und eine Bombendetonation in Zagreb im März sowie ein Raketeneinsturz im nordpolnischen Dorf Zamość im April letzten Jahres nach wie vor nicht aufgeklärt sind.
Unter derartigen Vorzeichen scheint es sinnvoll, den Unterschied zwischen kollektiver Verteidigung und kollektiver Sicherheit nochmals genauer unter die Lupe zu nehmen. Während sich das Erstgenannte auf den Angriff von außen (Krieg) bezieht, meint das Zweitgenannte die Abwehr von Aggression im Inneren. In diesem Sinn stellt die EU die Sicherheit her, während die NATO Europa verteidigt. Beide Organisationen fordern die Beistandspflicht, die allerdings unterschiedlich ausgeformt ist. Während die Beistandspflicht unter NATO-Mitgliedern gemäß Artikel 5 nach eigenem Ermessen erfolgt, fordert die EU eine Beistandspflicht nach allen dem Mitgliedstaat zur Verfügung stehenden Mitteln. Eine derartige Gewichtung wird im öffentlichen Diskurs in Österreich kaum thematisiert. Nicht nur deswegen sprachen sich beide für eine offene Diskussion über die österreichische Neutralität aus. Schließlich genehmigte das BMEIA seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 – von der Öffentlichkeit sichtlich unbemerkt – 4.500 Militärtransporte durch Österreich in Richtung Ukraine. Zugleich wird Österreich im Rahmen der Partnerschaft für Frieden (PfP) für sein Know-how in Sachen Entminung hochgeschätzt. Angesprochen auf eine mögliche NATO-Mitgliedschaft beteuerten die Vortragenden, dass Österreich weder die dafür notwendige Ausstattung noch ausreichend Fachpersonal hätte. Außerdem räumten beide mit dem Irrglauben auf, dass die Neutralität vor einem Angriff schützen würde. Im Gegenteil, Österreich bleiben aufgrund seines Status viele Informationen vorenthalten. In diesem Sinn plädierten beide dafür, Sicherheit und Verteidigung in Europa von einer verstärkt europäischen Sichtweise zu betrachten. Dass die österreichische Regierung seit Neuestem dem europäischen Luftraum-Verteidigungssystem „Sky Shield“ beitreten will, kann vor diesem Hintergrund und angesichts der genannten „Blindläufer“ in Polen und Kroatien als kluge Entscheidung gewertet werden.