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Land der Gemeinden
Österreichs kleinteilige Gemeindestruktur ist ineffizient, doch Gemeindezusammenlegungen gelten als politisch heikel. Dabei spielen weniger wirtschaftliche als emotionale Aspekte eine Rolle.
Österreich besteht aus 2.092 Gemeinden. Im Durchschnitt haben sie 4.300 Einwohner:innen (rechnet man Wien weg, sind es nur noch 3.405). Im internationalen Vergleich ist Österreich sehr kleinstrukturiert. In Dänemark etwa stieg die durchschnittliche Anzahl der Einwohner pro Gemeinde von 1.303 Personen im Jahr 1950 – nach der Fusion von über 270 Kommunen zu 98 – auf 61.200 Personen. (Fairerweise muss man allerdings dazusagen, dass Dänemark topografisch etwas anders strukturiert ist als Österreich – wenn zwischen zwei Gemeinden ein Berg liegt, fusioniert es sich weniger leicht.)
Viele von Österreichs Gemeinden kämpfen mit Abwanderung, sterbenden Ortskernen und Unterfinanzierung. Denn kleine Gemeinden müssen dieselben Aufgaben stemmen wie große: Kinderbetreuung, Pflege, Bauhof, Raum- und Verkehrsplanung, Digitalisierung. Dass diese Aufgaben im Rahmen von größeren Gemeinden effizienter zu bewältigen sind, liegt auf der Hand.
Das Thema Raumplanung ist nicht nur für den Klimaschutz wichtig, sondern auch für das Leben in der Gemeinde: Während am Stadtrand Einkaufszentren aus dem Boden schießen, sterben die Ortskerne. Durch weniger Gemeindegrenzen ergeben sich für die Raumplanung bessere Möglichkeiten.
Ebenso werden kostenintensivere Projekte, wie die Sanierung von Freibädern oder die Neugestaltung von Verkehrsflächen, durch die bessere Finanzlage in größeren Gemeinden wieder möglich.
Rein rational spricht also vieles für Gemeindezusammenlegungen. Doch diese gelten in Österreich als politisch heißes Eisen, Politiker:innen befürchten oft, dafür abgewählt zu werden. Zu Recht?
Gemeindestrukturreformen in Österreich
Dabei sind auch in Österreich die Gemeindegrenzen nicht in Stein gemeißelt. Seit 1945 hat sich die Zahl der Gemeinden beinahe um die Hälfte reduziert, gab es im Jahr 1945 doch noch 4.165 Gemeinden, 1961 waren es noch 3.999.
Die letzte große Gemeindestrukturreform wurde 2015 in der Steiermark durchgeführt. Statt vorher aus 542 besteht die Steiermark nun nur noch aus 286 Gemeinden. 291 dieser Gemeinden hatten sich freiwillig für die Zusammenlegung entschieden, die anderen wurden, trotz teils starker Proteste, gezwungen. Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP verloren bei den folgenden Landtagswahlen jeweils knapp neun Prozentpunkte. Dass das Wahlergebnis allein auf das Konto der Gemeindestrukturreform geht, darf jedoch bezweifelt werden, war 2015 doch auch das Jahr der Flüchtlingskrise: In ganz Österreich verloren SPÖ und ÖVP zugunsten der FPÖ.
Gegner und Medien
Bettina Zajac-Thelen hat im Rahmen ihrer Masterarbeit untersucht, inwieweit die mediale Begleitung Gemeindestrukturreformen 1969/70 und 2015 sich auf deren Akzeptanz auswirkte. Ihr Fazit: Über die Reform 1969/70 wurde überwiegend sachlich berichtet, Auswirkungen auf die folgenden Wahlen waren kaum spürbar.
Bei der Gemeindestrukturreform 2015 waren kritische Stimmen in den Medien hingegen sehr präsent.
Ein Jahrzehnt später werden die meisten Gemeindefusionen überwiegend positiv beurteilt – jedenfalls von den Verantwortlichen. Leistungsfähigkeit, die Qualität in den Ämtern und Wirtschaftlichkeit seien gesteigert worden, es sei leichter geworden, Personal und Kandidat:innen für politische Ämter zu finden. Zahlreiche individuelle Erfolgsgeschichten sind auf der Plattform zukunft-gemeinde.at versammelt.
Aber auch insgesamt 68 Prozent der Steirer:innen (66 Prozent in von der Fusion betroffenen Gemeinden und 71 Prozent in nicht betroffenen Gemeinden) sahen die Gemeindezusammenlegung bereits 2015 als richtigen Schritt an – auch wenn sich viele von ihnen noch eher mit dem alten als dem neuen Ortsnamen identifizieren.
Und das wird – geht man nach Erfahrungen in anderen fusionierten Gemeinden – auch noch lange so bleiben.
Jahrzehnte nach der Fusion
Auch in anderen Bundesländern gab es in den 1960er und 1970er Jahren umfassende Gemeindezusammenlegungen.
In Niederösterreich etwa sank die Zahl der Gemeinden von 1.652 im Jahr 1961 auf gegenwärtig 573.
Eine dieser fusionierten Gemeinden ist Groß-Enzersdorf in Niederösterreich. 1971 wurden neun Gemeinden zu einer zusammengeschlossen.
„Das Thema Identifikation ist riesengroß“, betont Gemeinderätin und NEOS-Teamlead Cornelia Pfeiffer-Janisch in Groß-Enzersdorf. Viele Menschen in Groß-Enzersdorf fühlen sich bis heute ihrer ursprünglichen Katastralgemeinde näher als der Gesamtgemeinde – auch junge Leute, die das Heimatgefühl oft von Eltern und Großeltern mitbekommen.

„Ich bin der Meinung, dass es oft mehrere Generationen dauert, bis eine gemeinsame Identität wirklich gelebt wird.“
Cornelia Pfeiffer-Janisch
Gemeinderätin Groß-Enzersdorf
Darum brauche es bei Gemeindefusionen mehr als organisatorische Maßnahmen: für Begegnung, Beteiligung und ein starkes Miteinander.
Größere Gemeinden können hier neue Chancen schaffen: etwa durch bessere Freizeitangebote für Jugendliche, eine lebendigere Ortsentwicklung und stärkere regionale Wirtschaft. „Wir müssen jungen Familien UND Unternehmen einen Anreiz bieten, hier zu bleiben – für lebendige Orte und sichere Versorgung“, so Pfeiffer-Janisch.
Ortswappen und Kommunikation auf Augenhöhe
Ausschlaggebend für den Erfolg einer Gemeindezusammenlegung, so hört man aus betroffenen Gemeinden, ist die Kommunikation der Bevölkerung auf Augenhöhe: durch Bürger:innenversammlungen, Briefe, Gemeindezeitungen oder transparente Information anderer Art. Besonders wichtig ist, dass Gemeindevorstand und Bürgermeister:in von der Zusammenlegung überzeugt sind und die Veränderungen mittragen.
Eine wichtige Rolle für die Akzeptanz der Bevölkerung spielt es auch, dass das alte Ortswappen als Ortsteilwappen weiter bestehen bleibt und dass der Ortsname nicht gänzlich verschwindet.
Ganz wichtig bei Gemeindezusammenlegungen bzw. Kooperationen zwischen den Gemeinden, so Pfeiffer-Janisch, sei das Thema Transparenz. Wenn kleine und größere Gemeinden fusionieren, wer übernimmt welchen Anteil der Kosten? Wer kontrolliert die Finanzen? Wer wird EU-Gemeinderat? Wie viele Mandatare hat die zukünftige Gemeinde, wie viele Vizebürgermeister? Eine Gemeindefusion wäre auch eine Chance, diese Dinge neu zu regeln sowie auch für transparente Finanzen zu sorgen.
Fest steht: Gemeindekooperationen bzw. -fusionen müssen von Überzeugung getragen, gut vorbereitet und gut begleitet werden, sollen sie erfolgreich sein.
(Bild: NEOS Lab/Maria Lutz)
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