5 Gründe, um 2025 optimistisch zu bleiben
Zugegeben, die Titelzeilen der Zeitungen versprühen derzeit nicht gerade Hoffnung und gute Laune. Doch ob Sie’s glauben oder nicht: Es gibt ein paar Gründe, zuversichtlich ins Jahr 2025 zu schauen.
Dass Österreich als Land des Arbeitskräftemangels gilt, ist schon längst bekannt; auch dass dieses Problem bereits ein Wohlstandsrisiko darstellt, weil Unternehmen aufgrund von Personalmangel Aufträge nicht mehr annehmen können oder sogar zusperren müssen. Während in der Wirtschaft Versuche unternommen werden, diesem laufend wachsenden Problem mit strategischer Zuwanderung entgegenzuwirken, droht die Politik aus Sorge vor Rechtspopulisten Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Von Silvia Nadjivan und Lukas Sustala
Österreich ist ein Einwanderungsland. Das ist ein statistisches Faktum. Der Wirtschaftsaufschwung der letzten Dekaden hätte ohne Zuwanderung ganz anders ausgesehen. Und die jetzt sichtbaren Probleme des Arbeitskräftemangels wären ohne Zuzug in den vergangenen Jahrzehnten schon wesentlich früher aufgetaucht. Denn ohne Migration wäre Österreichs Bevölkerung bereits seit Jahrzehnten deutlich geschrumpft – und noch rascher überaltert.
Doch dieses Faktum wird gerne geleugnet, von rechtspopulistischer Seite, wie seitens FPÖ und ÖVP, aber auch von SPÖ-Kreisen, die Migration in den Arbeitsmarkt verhindern wollen. Das Problem des oft unehrlichen Diskurses ist aber, dass Österreich keine klare Migrationsstrategie entwickelt hat, und schon gar keine passenden Migrationskonzepte. Das ist heute eine Gefahr für die volkswirtschaftliche Prosperität wie auch für den individuellen Lebensstandard. In einigen Branchen und Bereichen wird es ohne Migration auf absehbare Zeit kaum möglich sein, das qualitätsvolle Angebot zu erhalten, wenn es etwa um die Grund- und Gesundheitsversorgung geht. Es ist allerdings auch ein Problem für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn die österreichische Lebensrealität laufend ignoriert wird. Denn Migration braucht auch stimmige Aus- und Weiterbildungskonzepte, und auch sozial- und arbeitspolitische Reformen.
Ein Problem der Vergangenheit: Migration wurde oft als kurzfristige Maßnahme gesehen, die den Arbeitsmarkt entlasten kann, ohne groß eine Strategie zu erfordern. Erwähnt seien u.a. die bilateralen Verträge bzw. Anwerbeabkommen von Österreich mit der Türkei 1964 und dem ehemaligen Jugoslawien ab 1966, basierend auf der Vorstellung des „Rotationsprinzips“ (Arbeiten auf Zeit), was den Begriff „Gastarbeit“ schuf – mittlerweile von der Kabarettistin Malarina mit den Worten „Gast-Arbeit“ als zweifaches „Versprechen“ persifliert. Schließlich bezeichnet es eine kurzsichtige Migrationsstrategie, wie in der Migrationsforschung ausreichend dokumentiert. Denn die Menschen, die zum Arbeiten nach Österreich gekommen sind und ihre Heimat verlassen haben, sind viel öfter geblieben und haben das „Gastland“ zum Heimatland gemacht.
Bedenklich ist dagegen, wenn die Politik oder Sozialpartner heute immer noch so tun, als wäre es eine Zuwanderungsstrategie, kurzfristige „Gäste“ ins Land zu holen. So scheint man mit antiquierten Vorstellungen und fehlenden Migrationsstrategien dem aktuellen Arbeitskräftemangel zu begegnen, der an die Zeiten des Wirtschaftsbooms der 1960er Jahre erinnert. Ging es in jener Zeit „nur“ um fehlende Humanressourcen im nichtqualifizierten Niedriglohnsektor, so fehlt heute Arbeitskraft an allen Ecken und Enden, gerade auch im qualifizierten Bereich. Die antiquierten Vorstellungen – die schon aus der Habsburgermonarchie stammen – von „niedrig qualifizierten Ausländern“, die nach Österreich einwandern, haben mit den aktuellen Fragen nichts zu tun. Wenn es genauso wie an Hilfskräften auch an Pflegekräften, Ärzt:innen, Lehrer:innen oder IT-Fachkräften fehlt, hat Zuwanderung einen klaren Bezug zu Qualifikation. Zumal die demografischen Entwicklungen und Bevölkerungszusammensetzung in Österreich klare Tatsachen schaffen: Das in Österreich und westeuropäischen EU-Staaten vorherrschende Bevölkerungswachstum und der damit verbundene Wirtschaftsaufschwung beruhen ausschließlich auf Immigration, nicht auf – seit Jahrzehnten sinkenden – Geburtenraten.
Wurden vor einiger Zeit – besonders in Zeiten der Covid-19 Pandemie – hohe Arbeitslosenzahlen (v.a. im Gastronomie- und Tourismusbereich) beklagt, so steht mittlerweile der Arbeitsmarkt kopf. Jetzt ist es nicht mehr die Arbeitgeberseite, die zahlreiche Bewerber:innen in Evidenz hält, sondern die Arbeitnehmerseite, die vermehrt Forderungen stellen kann; vorausgesetzt, dass es sie gibt – die Arbeitskräfte. Am derzeit auf den Kopf gestellten Arbeitsmarkt besteht daher dringender Handlungsbedarf.
Einerseits geht es um Maßnahmen, hier lebende Menschen verstärkt für den Arbeitsmarkt bzw. für die sogenannten Mangelberufe zu gewinnen, wie Christoph Badelt, Chef des Fiskalrates, im März 2023 festgehalten hat. Gemeint sind damit eine höhere Frauenbeschäftigung, ermöglicht durch bessere Kinderbetreuung, ein längeres Erwerbsleben im Alter und die Höherqualifizierung von schlecht ausgebildeten Personen – Stichwort: Life-long learning.
Andererseits geht es im Innovationsbereich bzw. im bereits global ausgefochtenen „War of Talents“ darum, hochqualifizierte Migrant:innen und Fachkräfte mit einem attraktiven Angebot nach Österreich zu locken (Brain Gain) und nicht wie bisher durch zu hohe Steuern bei den Gehältern, zu langen Wartezeiten und formalen Hürden bei der Rot-Weiß-Rot-Card abzuschrecken oder gar deren Humankapital durch bürokratisch hoch aufwendige bzw. unmöglich gemachte Nostrifizierungen (der in anderen und Drittstaaten erlangten Bildungsabschlüsse) zu vergeuden (Brain Waste). Worst case wäre oder ist hier ein Brain Drain, wonach junge Menschen in Österreich ihre Ausbildung abschließen und danach das Land verlassen und im Ausland entsprechend ihrer – in Österreich und von Österreich finanzierten – Qualifizierung arbeiten. Immerhin wurden die Zugangskriterien für das Erlangen der Rot-Weiß-Rot-Card letztes Jahr gelockert. So müssen Drittstaatsangehörige, die ihr Studium in Österreich abgeschlossen haben, kein Mindestgehalt mehr vorweisen. (Parlament Österreich, 2022). Abgesehen davon wäre ein neuer Kurs in Sachen Migrations- und Integrationspolitik höchst an der Zeit, um im globalen Wettbewerb um Talente bzw. Hochqualifizierte und Fachkräfte zu bestehen. Denn Österreichs Karten stehen in diesem Spiel sichtbar schlecht.
Gemäß dem im März 2023 erschienenen OECD-Attraktivitäts-Index bzw. den OECD-„Indicators of Talent Attractiveness“ (ITA) belegt Österreich im OECD-Ranking lediglich den 26. von 38 Plätzen. Im Vergleich dazu liegt Neuseeland an erster, Schweden an zweiter und die Schweiz an dritter Stelle. Trotz zahlreicher negativer Berichterstattungen hält sich das Vereinigte Königreich an siebenter und Ungarn an 13. Stelle, während die PISA-Sieger Finnland und Estland den 14. bzw. 21. Platz halten. Deutschland ist an 15. Stelle gereiht, und auch Österreichs (süd)osteuropäische Nachbarn Slowenien und Slowakei schneiden mit den Plätzen 12 und 23 im OECD-Index besser ab als Österreich.
Damit ist offensichtlich, dass Österreich für hochqualifizierte Migrant:innen größtenteils unattraktiv bleibt, und das aus vielfältigen sozioökonomischen, bürokratischen, infrastrukturellen, karrieretechnischen, politischen und soziokulturellen Gründen. Zudem ist Österreich international für seine kaum ausgeprägte „Willkommenskultur“ (Szigetvari, 2023) bekannt, was sich ebenfalls im OECD-Index widerspiegelt.
Jene Länder, die beim globalen Wettbewerb um die sogenannten besten Köpfe die Nase vorne haben und damit für hochqualifizierte Migrant:innen attraktiv sind, bieten einen hohen Lebensstandard, eine inklusive und familienfreundliche Gesellschaftsform, ein starkes Kompetenzumfeld bzw. intellektuell inspirierendes Umfeld, genauso wie liberale Einreisebestimmungen für Fachkräfte und Hochqualifizierte. Die Gründe, dass Österreich im internationalen Vergleich so schlecht abschneidet, sind laut dem Policy Brief der OECD vor allem die hohe Zahl an negativen Asylbescheiden, die äußerst langwierigen Asylverfahren und die äußerst unsicheren Beschäftigungsverhältnisse bei hoch besteuerten Gehältern. Und das, obwohl umgekehrt das Gesundheitswesen in Österreich im internationalen Vergleich positiv bewertet wird (OECD Policy Brief, 2023, 5).
Was letztlich bleibt, ist die Notwendigkeit eines umfassenden Umbauprozesses in Österreich. Dieser sollte bereits beim österreichischen Bildungssystem ansetzen, weil nur ein chancengerechtes Bildungssystem entsprechend qualifizierte und zufriedene Arbeitskräfte hervorbringt. Darüber hinaus kommt ein weitreichendes Angebot an Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten den Anforderungen des zukünftigen Arbeitsmarktes nach, sodass mit Lebenslangem Lernen ein langer und qualitätsvoller Verbleib am Arbeitsmarkt gewährleistet bleibt. Und schließlich erhöht eine visionäre Migrationspolitik mit nachhaltigen Migrationsstratregien und umsetzbaren Migrationskonzepten die Attraktivität Österreichs im globalen Wettbewerb.
Dieser Umbauprozess bzw. die gesetzten Maßnahmen wären auf verschiedenen, ineinandergreifenden Ebenen notwendig, und zwar auf der Ebene des Einwanderungssystems, des Arbeitsmarkts, der Gesellschaftspolitik und schließlich der Einwanderungskultur. Damit wäre Integration bzw. Inklusion in den österreichischen Arbeitsmarkt und Partizipation am österreichischen Leben in politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht möglich.
Einwanderungssystem
Beschleunigte Verfahren sind bei der Vergabe von Aufenthaltstiteln und beim Asylverfahren dringend notwendig, um jene durch erzwungene Untätigkeit entstandenen psychischen Belastungen und sogenannte langanhaltende Vernarbungen bei den Betroffenen zu vermeiden. Nach Erhalt eines gültigen Aufenthaltstitels ist der Zugang zum Arbeitsmarkt umgehend zu genehmigen und zu fördern, ganz im Sinne einer Win-win-Situation für die Volkswirtschaft und für die neu rekrutierten Arbeitskräfte.
Genauso sind beschleunigte Nostrifizierungen bei in Drittstaaten erworbenen Bildungsabschlüssen erforderlich, um Dequalifizierungen (Brain Waste) zu vermeiden und die Arbeitskräfte entsprechend ihrer tatsächlichen Ausbildung am Arbeitsmarkt einzusetzen.
Das Subsidiaritätsprinzip soll dem erlangten Flüchtlingsstatus völlig gleichgestellt werden, sodass – nach Jahren erfolgreicher Integration – keine Rückkehrpflicht mehr besteht.
Der Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft soll erleichtert werden. Österreich zählt weltweit zu jenen Ländern, die die strengsten und teuersten Aufnahmekriterien aufweisen. Die Folgen sind schlichtweg fatal, weil ein immer größerer Bevölkerungsanteil in Österreich zwar Steuern zahlt, jedoch von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen bleibt.
Arbeitsmarkt
Mit dem der eigenen Ausbildung entsprechenden Einstieg in den Arbeitsmarkt sind auch offene bzw. aufsteigende Karriereverläufe leichter möglich. Soziale Mobilität ist sowohl für die Betroffenen selbst als auch volkswirtschaftlich von immensem Vorteil.
Zudem sollen, wie AMS-Vorstand Johannes Kopf im März vorgeschlagen hat, stärkere Anreize für Berufstätigkeit geschaffen und nicht wie jetzt bei Erhalt von Sozialhilfe bestraft werden. Wer arbeitet, dem soll unterm Strich auch etwas von der eigenen Leistung übrig bleiben.
Um allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, sind einerseits Reformen für ein chancengerechtes Bildungssystem erforderlich und andererseits Anreize für Lebenslanges Lernen bzw. die Nutzung von Fort- und Weiterbildungsangeboten notwendig. Damit sind ein entsprechender qualifizierter Berufseinstieg und möglichst lang anhaltender qualitätsvoller Verbleib am österreichischen Arbeitsmarkt möglich.
Gesellschaftspolitik
Ausreichend Kinderbetreuungsplätze sollen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen, statt Frauen für strukturelle Engpässe verantwortlich zu machen und folglich in traditionelle Rollenbilder abzuschieben. Eine höhere Frauenerwerbstätigkeit würde dem Arbeitskräftemangel deutlich entgegenwirken. Das ist nur mit gesicherter Kinderbetreuung möglich.
Gerade in Zeiten allgemeiner Knappheit ist gesellschaftliche Fairness wichtig. Mit Steuergeld finanzierte Wohnungen sollen treffsicher für alle zugänglich sein, die günstigen Wohnraum benötigen.
Einwanderungskultur
Statt der Migration und zugewanderten Menschen mit Ablehnung und Hass zu begegnen, wie es insbesondere rechtspopulistische Parteien zur eigenen Stimmenmaximierung gerne betreiben, ist ein realitätsbezogener Zugang zur gesellschaftlichen Situation in Österreich erforderlich.
Faktisch ist ein grundlegender Umdenkprozess notwendig. War die Habsburgermonarchie noch von gesellschaftlichen Ungleichheiten zutiefst geprägt, so haben heute Alltagsrassismen im Einwanderungsland Österreich keinen Platz mehr.
In einer zutiefst diversen Gesellschaft gibt es kein einheitliches Bild von Migrant:innen. Stattdessen zeigen demografische Entwicklungen, dass ein hohes Maß an gleichwertiger Diversität längst fixer Bestandteil der österreichischen Gesellschaft ist. Daher: Schluss mit dem „Gastarbeiter“-Modus.
OECD-Index „Talent Attractiveness 2023“
Erstellt wird der OECD-Index (mit Unterstützung der Bertelsmann-Stiftung) seit 2019, wobei sich einerseits aktuelle Entwicklungen wie die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Form von verringerter physischer Mobilität bei zugleich gestiegener Digitalisierung herauslesen lassen – ebenso wie völlig unterschiedliche Politikstrategien einzelner OECD-Länder, um im globalen War of Talents mit attraktiven Pull-Faktoren möglichst viele Hochqualifizierte anzulocken. Andererseits hat selbst der OECD-Index einer Verfeinerung unterlaufen, mit dem Zweck, möglichst genaue und interpretierbare Ergebnisse zu gewinnen. (OECD Policy Brief, 2023, 2)
So wurden, um einen besseren und differenzierteren Blick zu erhalten, beim aktuellen OECD-Index erstmals die internationalen Talente bzw. potenziellen hochqualifizierten Migrant:innen in die Gruppen „Highly Educated Workers“, „Entrepreneurs“, „University Students“, „Start-up Founders“ unterteilt (OECD Policy Brief, 2023). Denn schließlich haben diese unterschiedlichen Zielgruppen auch unterschiedliche Prioritäten und Bedürfnisse. (OECD Policy Brief, 2023, 2)
Die Messung von Attraktivität der OECD-Länder verlief vielschichtig, wobei sieben (bzw. mit den Visa-Regelungen acht) Dimensionen definiert wurden, die sich wiederum in weitere Variablen, zugeschnitten auf die unterschiedlichen hochqualifizierten Migrant:innen-Gruppen, gliederten. Auf der OECD-Website kann man das Länder-Ranking interaktiv gemäß den folgenden Dimensionen abrufen: „Quality of opportunities“, „Income and tax“, „Future prospects“, „Family environment“, „Skills environment“, „Inclusiveness“ und „Quality of life“.
5 Gründe, um 2025 optimistisch zu bleiben
Zugegeben, die Titelzeilen der Zeitungen versprühen derzeit nicht gerade Hoffnung und gute Laune. Doch ob Sie’s glauben oder nicht: Es gibt ein paar Gründe, zuversichtlich ins Jahr 2025 zu schauen.
Wie steht’s jetzt um die Demokratie?
Am Ende des Superwahljahrs 2024 stellt sich die Frage, wie es um die Demokratie in Österreich und Europa steht. Weder die Wahlergebnisse noch die politischen Erdbeben in Deutschland und Frankreich geben auf den ersten Blick viel Hoffnung, ganz zu schweigen von der schlechten Wirtschaftslage. Und doch genießt Europa gerade jetzt so viel Vertrauen wie schon lange nicht.
Und was wird aus den Pensionen?
Nicht nur Österreich, sondern fast die ganze Welt ist mittlerweile im Zeitalter der Entvölkerung angekommen: Die Fertilitätsrate sinkt oder stagniert auf niedrigem Niveau, gleichzeitig steigt die Lebenserwartung immer weiter. Was bedeutet das für den Sozialstaat? Und wird einmal die Pensionen der Jungen bezahlen? Von Georg Lundström-Halbgebauer und Lukas Sustala.