Österreichs Schulsystem ist hochgradig bürokratisiert. Einerseits verteilen sich die Zuständigkeit für die verschiedenen Schultypen auf verschiedene Verwaltungseinheiten. Denn während der Bund für die höheren Schulen zuständig ist, liegt die Hauptverantwortung für die Pflichtschulen und Kindergärten bei den Bundesländern. Zudem können bei den Kindergärten auch die Gemeinden für Infrastruktur und Personal zuständig sein. Andererseits sind die Lehrpläne aller Schultypen Bundesmaterie. Und noch jeder Versuch, den Verwaltungsdschungel zu bändigen, hat sich als unzureichend erwiesen. Die Schaffung der Bildungsdirektionen in den Ländern, die eigentlich zur Reduktion des Verwaltungswirrwarrs hätte führen sollen, hat die Probleme nicht beseitigt, wie der Rechnungshof 2023 kritisch anmerkte.
Diese Struktur ist ein Erbe des österreichischen Föderalismus, den Finnland und Estland in dieser Form nicht kennen. In Finnland definiert das Bildungsministerium in groben Zügen nationale Lehrpläne und Schwerpunktsetzungen sowie die Höhe jenes Betrags, den jede Schule pro Schüler:in bekommt. Tiefergehende – vor allem pädagogische und didaktische Fragen – liegen jedoch ausschließlich auf der Ebene der Schulen.
Aus dieser Budgetautonomie leiten sich weitere Freiheiten für die Schule ab. So entscheidet die Schulleitung etwa in Estland nicht nur über die Länge der Unterrichtsstunden und die Klassengröße, sondern auch über die Durchführung von Exkursionen, Schulveranstaltungen und die Kooperation mit EduTech-Unternehmen. Darüber hinaus liegt auch die Personalhoheit direkt in den Schulen. In der Lagstads skola in Espoo (Finnland) werden beispielsweise Schüler:innen in den Bewerbungsprozess der Lehrer:innen eingebunden. Sie sind Teil der Hearing-Kommission und können – nach Vorbereitung durch die Schulleiterin – selbstverständlich auch Fragen an die Bewerber:innen stellen.
Schulautonomie respektiert auf diese Weise nicht nur die Professionalität der Pädagog:innen, sondern sie ermöglicht auch die Berücksichtigung lokaler Besonderheiten – etwa durch Kooperationen mit lokalen Freizeitanbietern o.Ä. Sie führt dadurch auch zu einer Stärkung der Schulgemeinschaft, denn die Pädagog:innen erleben sich als verantwortlich für alles, was in ihrer Schule passiert, inklusive der Leistungen der Schüler:innen. Darüber hinaus verzichtet man in beiden Ländern auf einen bürokratischen Wasserkopf, oder, wie uns seitens „Education Estonia“, des estnischen Bildungsministeriums, mitgeteilt wurde: „Wir haben nicht genügend Ressourcen für Überregulierung.“
Schulautonomie kann sich darüber hinaus – sofern die Schulleiter:innen ein hohes Maß an Management Skills aufweisen – positiv auf die Leistungen der Schüler:innen auswirken. So zeigen Zahlen der OECD, dass eine Korrelation zwischen der Verantwortlichkeit von Schulleiter:innen (Ressourcen, Curriculum, Beurteilung, etc.) und guten Leistungen in den MINT-Fächern besteht, siehe Grafik unten. (Quelle der Grafik: OECD, Value for Money in School Education: Smart Investments, Quality Outcomes, Equal Opportunities (2022))