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Strukturell entlasten statt unökologisch fördern

Trotz Rekordinflation schafft die Regierung die kalte Progression wieder nicht ab. Nur durch die angehobenen Inflationsprognosen der vergangenen Wochen darf sich der Finanzminister über Zusatzeinnahmen von 2,4 Milliarden Euro bis 2025 freuen. Eine Bestandsaufnahme von Günther Oswald und Lukas Sustala. 

Photo by: Krzysztof Hepner(Unsplash.com)

Türkis-Grün hat am Wochenende ein "Energiepaket" auf den Weg gebracht, mit dem die stark gestiegenen Öl- und Gaspreise abgefedert werden sollen. Laut Regierungsangaben werden zwei Milliarden Euro bewegt. Das vorgelegte Paket enthält einige positive Überschriften, die aber mangels Details noch nicht final bewertet werden können (z.B. zusätzliche Mittel für den öffentlichen Verkehr sowie für Windkraft und Photovoltaik, Hilfen für treibstoffintensive KMUs, Senkung der Energieabgaben auf EU-Mindeststeuersätze).

Klar im Widerspruch zum Regierungsprogramm und zu Expertenempfehlungen steht allerdings die Anhebung des Pendlerpauschale. Während im Koalitionspakt noch von der "Ökologisierung und Erhöhung der Treffsicherheit des Pendlerpauschales" die Rede ist, wird es nun in einem Schnellschussverfahren einfach pauschal um 50 Prozent angehoben. Mit einer nachhaltigen Ökologisierung hat das nichts zu tun.

Entlastung verpufft

Wieder einmal verabsäumt wurde auch eine strukturelle Reform des Steuersystems. Die kalte Progression wird, obwohl vor der letzten Nationalratswahl von allen Parteien versprochen, wieder nicht abgeschafft. Von kalter Progression spricht man, wenn die Steuerstufen nicht an die Inflation angepasst werden. Die ganz normale Inflationsabgeltung bei Lohnverhandlungen führt daher zu einer echten Steuererhöhung. Das führt mit der Zeit dazu, dass Steuerentlastungen rasch wieder verpuffen.

Die Mehreinnahmen, die sich der Finanzminister über diese "Inflationssteuer" im Laufe der Legislaturperiode holt, werden beträchtlich sein. Die Inflationsprognosen wurden in den vergangenen Wochen massiv nach oben geschraubt. Aktuelle Schätzungen der RBI und der Bank Austria gehen für heuer von rund sechs Prozent oder sogar darüber aus (das Wifo wird seine neue Prognose am 25. März veröffentlichen). Die für 2023 von einigen prognostizierte Rückkehr zu "Normalwerten" ist aktuell sicher eine sehr positive Einschätzung, erste Prognosen – etwa von Raiffeisen Research – werden auch für 2023 nach oben korrigiert. 

Finanzminister profitiert

In der Vergangenheit hat das Finanzministerium die Mehreinnahmen durch die kalte Progression auf rund 250 Millionen Euro pro Prozentpunkt Inflation und Jahr geschätzt (siehe auch: Agenda Austria). Unter der Annahme der aktuellen WIFO-Prognose von 5,8 Prozent für 2022, 3,2 Prozent für 2023 und einer Rückkehr zum offiziellen Ziel der Geldpolitik von zwei Prozent im Jahr 2024, spült die kalte Progression von 2022 bis 2025 rund 9,7 Milliarden Euro mehr in die Staatskasse. Nur die zuletzt nach oben korrigierten Inflationsprognosen machen einen kumulierten Effekt von gut 2,5 Milliarden Euro aus. (Anmerkung: Die neue WIFO-Prognose wurde hier nachgereicht)

Im heurigen Jahr liegt das Entlastungsvolumen der Steuerreform mit rund 1,85 Milliarden Euro (Berechnung Sozialreform-Mikrosimulation des Sozialministeriums) zwar noch deutlich über dem Effekt der kalten Progression. Da im nächsten Jahr aber nur mehr ein kleiner Teil der Steuerreform folgt (der vierte Tarifsatz sinkt im Jahresdurchschnitt von 42 auf 41 Prozent), wird es auch in dieses Legislaturperiode zu keiner signifikanten Kaufkraftstärkung kommen.

Auch für jeden Einzelnen kostet die kalte Progression angesichts hoher Inflationsraten rasch viel Kaufkraft. Das zeigt sich auch bei durchschnittlichen Verdienern deutlich. Nehmen wir als Beispiel eine Angestellte ohne Kinder, die 2020 genau 3.000 Euro brutto pro Monat verdiente. Sie kommt auf ein Netto-Gehalt von rund 29.238,80 Euro pro Jahr. Wenn sie nun ihre Löhne exakt um die Inflation angepasst bekommt (2021: 2,8 Prozent, 2020: 6 Prozent), dann verdient sie 3269 Euro brutto, also um 8,97% mehr. Doch ihr Nettogehalt steigt nicht um fast neun Prozent, sondern nur um 7,1 Prozent. 

Wildwuchs an Pendlerförderungen

Beim Pendlerpauschale wiederum rächt sich nun, dass die Förderinstrumente im Verkehrsbereich nie reformiert oder ökologisiert wurden. Seit Jahren herrscht ein Wildwuchs an Zuschüssen und Steuerbegünstigungen. Neben dem Pendlerpauschale gibt es noch den allgemeinen Verkehrsabsetzbetrag (grundsätzlich 400 Euro, bei Geringverdienern kann er höher sein), Jobticket und Öffiticket (Förderungen für Arbeitgeber, die Tickets für Mitarbeiter finanzieren) und in einigen Bundesländern gibt es - ganz in österreichischer föderaler Tradition - noch eigene Pendlerförderungen.

Das Pendlerpauschale in seiner bisherigen Form steht seit Jahren in der Kritik, weil es aus ökologischer Sicht eine kontraproduktive Förderung ist, die einen Anreiz zum Autofahren setzt. Aus verteilungspolitischer Sicht es tendenziell mit einer Umverteilung nach oben verbunden. Wie eine Lab-Auswertung auf Basis von parlamentarischen Anfragen ergeben hat, beantragen die untersten beiden Einkommensdezile nur etwa 5,6 Prozent des Gesamtvolumen an Pendlerpauschale. Auf die obersten 20 Prozent entfallen hingegen knapp 25 Prozent (vgl. Liberale Optionen für den Klimaschutz)

Vielfahrer profitieren

Weil es nun offenbar schnell gehen musste, wird das Pendlerpauschale aber nicht grundsätzlich neu gedacht, sondern quer durch um 50 Prozent erhöht. Gleich vervierfacht wird der sogenannte "Pendlereuro". Dabei handelt es sich um eine weitere Pendlerförderung, die entgegen des Namens schon bisher bei zwei Euro pro Kilometer Distanz Wohnung-Arbeitsplatz lag. 

Die Autofahrer, vor allem die Vielfahrer, können sich also mit den türkis-grünen Plänen beträchtliche Beträge holen. Im Folgenden ein Überblick über die Änderungen und mögliche Ersparnisse:

Das große Pendlerpauschale steht zu, wenn die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar ist, und die Entfernung mindestens 2 km beträgt. 

EntfernungPendlerpauschale alt, in Euro pro JahrPendlerpauschale neu, in Euro pro JahrPlus, in Euro pro Jahr
ab  2 km372558186
ab 20 km1.4762214738
ab 40 km2.56838521284
ab 60 km3.67255081836

Das kleine Pendlerpauschale steht zu, wenn die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mindestens 20 km beträgt und die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels möglich und zumutbar ist (an mehr als der Hälfte der Arbeitstage. 
 

EntfernungPendlerpauschale alt, in Euro pro JahrPendlerpauschale neu, in Euro pro JahrPlus, in Euro pro Jahr
ab 20 km6961044348
ab 40 km1.3562034678
ab 60 km2.01630241008

Zu beachten ist aber, dass das Pendlerpauschale nicht 1:1 schlagend wird, sondern nur die Steuerbemessungsgrundlage reduziert. Diese Steuerbegünstigung kann also umso besser ausgenützt werden, je höher das Einkommen ist. Wie langjährige Auswertungen von parlamentarischen Anfragen zeigen, liegt der tatsächliche Steuerausfall bei nicht ganz der Hälfte der Bruttokosten des Pendlerpauschale (rund 1,3 bis 1,4 Milliarden Euro pro Jahr). 

Anders verhält es sich beim Pendlereuro, der immer zusteht, wenn auch Anspruch auf ein Pendlerpauschale besteht. Er reduziert (wie der Verkehrsabsetzbetrag) direkt die Lohnsteuer, wird also 1:1 wirksam. Exepemplarisch das Entlastungsvolumen bei den vier Entfernungsstufen gemäß Pendlerpauschale:

Entfernung"Pendlereuro" alt, in Euro pro JahrPendlereuro neu, in Euro pro JahrPlus, in Euro pro Jahr
2 km41612
20 km40160120
40 km80320240
60 km120480360

Fährt man beruflich viel, macht die jetzt von ÖVP und Grünen angekündigte Erhöhung der Pendlerförderung also in vielen Fällen mehr aus als die eigentliche Steuerreform, die mit 1. Juli wirksam wird. 

Zur Erinnerung: Diese Grafik zeigt, wie viel die Senkung des mittleren Tarifs (von 35 auf 30 per Juli), die Anhebung des Sozialversicherungs-Bonus, die Anhebung des Familienbonus sowie des Kindermehrbetrags und die Anhebung des Pensionistenabsetzbetrages nach Einkommensquintilen ausmacht. Im obersten Fünftel beträgt die Entlastung heuer durchschnittlich 444 Euro, im Schnitt sind es nicht einmal 300 Euro (Berechnungen Soresi).

Eine erste makroökonomische Folgenabschätzung des Centre of Economic Scenario Analysis and Research (CESAR) für das Neos Lab hat gezeigt, dass die Kosten für die Haushalte in Folge des Energiepreisschockes höher sein werden als die durchschnittliche Entlastung. Laut der CESAR-Simulation werden die Einkommen bei anhaltend hohen Öl- und Gaspreisen heuer im Schnitt um 400 Euro sinken, im kommenden Jahr um rund 250 Euro.

Fazit

Die strukturelle Entlastung der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen (kalte Progression) ist wieder einmal ausgeblieben. Das aus ökologischer Sicht schlecht konzipierte Pendlerpauschale sowie der Pendlereuro werden einfach erhöht. Reformen bei der Verkehrsförderung werden wieder einmal aufgeschoben. Zu befürchten ist, dass Bund und Länder weiter unkoordiniert Geld verteilen.

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