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In den vergangenen Jahren wurde der Freihandel eher zurückgedrängt als verstärkt, unter anderem aufgrund des Brexits und ökonomischer Populisten im Weißen Haus. 2022 kam mit der „Zeitenwende“ dazu, dass wesentlich stärker hinterfragt wird, wer tatsächlicher politischer Partner ist – und vor allem: wer nicht. „Offshoring“ war gestern, „Friend-Shoring“ ist heute. Was aber bedeutet das morgen für die Globalisierung?
Im Jahr 2022 hat sich die Außenpolitik stark verändert, der Beginn des Ukrainekrieges hat eine „Zeitenwende“ eingeleitet. Eine, die keineswegs nur den Bereich Sicherheitspolitik betrifft, sondern auch den internationalen Handel und damit die Globalisierung. Immer wieder gibt es Meldungen über das Umlenken von Handelsströmen, über die Sanktionierung oder gar das Verbot von Importen oder Exporten – und über einen etwaigen Wirtschaftskonflikt zwischen größeren Wirtschaftsräumen. Wird die Globalisierung aktuell zurückgedreht? Eine der zentralen Fragen an Harald Oberhofer, WIFO Außenhandelsexperte und Professor für empirische Ökonomie (WU Wien), in unserer neuen amPUNKT-Podcastepisode.
Pandemie, Krieg im Herzen Europas, Energiekrise: Wir leben in herausfordernden Zeiten, inmitten der vielzitierten „Zeitenwende“. Mehr und mehr sehen sich liberale Demokratien mit der Frage konfrontiert, wie naiv und „blauäugig“ man mit autoritären Regimen noch handeln kann – und sollte. Chinesische Hardware in der heimischen 5G-Infrastruktur, ist das eine gute Idee? Sich von russischen Gaslieferungen abhängig machen – oder es, wie im Falle Österreichs, aus Bequemlichkeit schlichtweg bleiben – darf man sich das leisten? Wem kann und sollte man in Zeiten wie diesen noch vertrauen?
Handel unter Freunden scheint hier eine probate Lösung. Nicht ohne Grund nennt sich das neue Phänomen „Friend-Shoring“: Man lagert nicht mehr aus („Offshoring“), sondern verlagert Produktion in ähnlich gesinnte Regionen. Harald Oberhofer über das mögliche „globale“ Ergebnis dieser Handelsweise:
„Nimmt man das Konzept des „Friend-Shorings“ ganz ernst, wäre das Ergebnis wohl tatsächlich, zu sagen: Man treibt Handel nur noch mit Partnerländern, die gewisse Werte und Grundstrukturen mit dem eigenen Land teilen. Natürlich gibt es in der Welt unterschiedliche Strukturen, wie liberale Demokratien oder autoritäre Systeme. Würde jetzt jeder „friendshoren“, wäre das Ergebnis wohl, dass wir wieder stärker in eine Polarisierung gehen und, zumindest in der wirtschaftlichen Verflechtung, möglicherweise wieder zwei Blöcke, wie wir sie aus dem Kalten Krieg kennen, sehen werden.“
Was bedeutet das nun für eine kleine offene Volkswirtschaft wie Österreich? Müssten folglich nicht auch wir uns stärker an unseren „Freunden“ orientieren? „Wir handeln nach wie vor zwei Drittel unserer Endprodukte innerhalb der europäischen Union“, erklärt der Außenhandelsexperte dazu. Österreich habe, historisch betrachtet, „immer schon ein relativ hohes Niveau an Friend-Shoring“ gehabt, nicht erst seit dem EU-Beitritt, sondern bereits zuvor über das EFTA-Abkommen (Europäische Freihandelsassoziation). Durch Gründung der Europäischen Union und des Binnenmarktes hätten wir mit unseren befreundeten Nachbarn zumindest in den vergangenen 30 Jahren bereits Friend-Shoring betrieben. „Weil wir, sozusagen, eine Arbeitsteilung innerhalb der EU zulassen, Wettbewerb zwischen den Unternehmen im gemeinsamen Binnenmarkt, eine gemeinsame Handelspolitik, eine gemeinsame Wettbewerbspolitik etc. formuliert haben.“ Soweit die Praxis, in der Theorie gehe das „Konzept aber eigentlich darüber hinaus, weil Europa als ein Wirtschaftsraum neben den USA und China gesehen wird“. Zusammen seien sie weltweit die drei dominanten Räume. Ausgehend davon „müsste man natürlich den Handel weiter forcieren, mit Staaten, die einem gesellschaftlich, politisch und von der Wirtschaftsstruktur her ähnlich sind“.
In Österreich allerdings ist man, wie so oft, auch hierbei nicht „so heikel“ – sondern, im Gegenteil, nahezu „diktaturaffin“. Wirtschaftsbeziehungen zu Ländern, die deutlich niedrigere demokratische Standards und enge wirtschaftliche Verstrickungen bis hin zur Abhängigkeit von Autokraten haben, ist man hierzulande gewöhnt: Österreich ist, wie kaum ein anderes Land, engstens mit autoritären Regimen vernetzt, wie Günther Oswald im vergangenen Jahr in unserer Policy Note „Österreichs Geschäfte mit Diktatoren“ aufgezeigt hat.
Im internationalen Vergleich sind Österreichs Verflechtungen mit antidemokratischen Staaten durchaus beträchtlich, wie die Analyse der österreichischen Finanz- und Handelsbeziehungen zeigt: Knapp 20 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Österreich entfallen auf Staaten mit geringen demokratischen Standards, bei den Importen ist man zu 16,2 Prozent von diesen Ländern abhängig – und noch deutlich stärker bei Energieimporten. Bestes Beispiel hierfür: Russland und sein Gas, von welchem Österreich im Dezember 2022 wieder über 70 Prozent importiert hat, wie eine Lab-Analyse ergeben hat.
Der passende Moment, um den Außenhandelsexperten auch zum „Elefant im Raum einer neuen Globalisierung“ zu befragen: China. Laut Oberhofer sei es „relativ klar“, dass die Volksrepublik weiterhin gewisse wirtschaftliche Verbindungen mit Russland forcieren wird. „Im Spiegel habe ich gelesen: „Russland als Tankstelle Chinas“, das beschreibt es ökonomisch wahrscheinlich ganz gut. Für China ist jetzt interessant, Rohstoffe und Energieträger aus Russland aufgrund der Handelsumlenkung günstiger zu kriegen, da der Westen die Handelsbeziehungen mit Russland gekappt hat.“
Zudem müsse man realistischerweise feststellen, dass die Vorstellung eines systematischen Erlangens der Weltvorherrschaft in China schon viel länger zurückreiche. Die neue Seidenstraße sei ein Projekt, an welchem sich deutlich zeige: „China will gewisse Länder wirtschaftlich enger an sich binden und damit auch sein eigenes Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell, welches man in China als überlegen ansieht, in die Welt befördern.“
Die Entwicklungen in Russland jedenfalls zeigen mit erschreckender Deutlichkeit, dass europäische Staaten zu keinem Zeitpunkt naiv im Umgang mit Autokraten agieren sollten. Passend dazu auch Professor Oberhofers abschließende Worte: „Wir sollten sinnvollerweise verstehen, dass es bei vielen Dingen darum geht, für die Zukunft zu lernen, Strukturen so anzupassen, dass wir resilienter sind, was immer auch die nächste Krise ist, die auf uns zukommt.“
Angesichts der sicherheitspolitischen Unsicherheiten ist es umso wichtiger, einen strategischen Blick auf die Handelspolitik zu haben. Oberhofer sieht daher die aktuelle Blockade vom EU-Mercosur-Abkommen sehr kritisch: „Wir haben 20 Jahre verhandelt. Dieser Vertrag ist nicht wahnsinnig ambitioniert und nicht wahnsinnig modern, weil er zu einer Zeit begonnen hat, wo man über viele Dinge in der Handelspolitik nicht nachgedacht hat. Aus diesem Grund verstehe ich die Aufregung darüber nicht wirklich, es ist ein durchschnittliches europäisches Handelsabkommen.“ Will Europa seine Bedeutung in der Welt behalten, müsse es auch ein glaubwürdiger Verhandlungspartner in Sachen Freihandel sein: „Wenn wir uns an Kanada erinnern, zeigt das, dass wir uns in Europa mit Handelspolitik wahnsinnig schwer tun. Das CETA-Abkommen wird seit über fünf Jahren nur vorläufig angewandt, weil es nicht fertig ratifiziert ist und nicht absehbar ist, wann es das sein wird. Wir sind in der Handelspolitik kein verlässlicher Partner: Das ist tatsächlich ein Problem, das sich mit den Diskussionen über Mercosur jetzt wieder verstärkt.“
Das gesamte Gespräch mit Professor Harald Oberhofer ist zu hören auf Spotify, iTunes und Soundcloud:
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