Zum Inhalt springen
Bitte geben Sie einen Suchbegriff ein.

Das freie Europa braucht eine freie Ukraine

Silvia Nadjivan
Silvia Nadjivan

Deutlicher könnte die Botschaft zum dritten Jahr des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht sein: Dass sich Europa spätestens jetzt für den eigenen Frieden sowie die eigene Sicherheit und Freiheit kümmern muss, war die Schlussfolgerung einer Abendveranstaltung von NEOS-Parlamentsklub und NEOS Lab.

Unter dem Titel „Die Ukraine im Fokus: 3 Jahre Kampf für Freiheit und Demokratie“ lud der NEOS Parlamentsklub gemeinsam mit dem NEOS Lab am 21. Februar zu einer hochkarätig besetzten Gedenk- und Diskussionsveranstaltung ins österreichische Parlament. Der Einladung folgten knapp 250 Teilnehmer:innen, darunter auch zahlreiche Medienvertreter:innen. Was sie alle erwartete, waren harte Tatsachen, prägnante Analysen und so manche Überraschungen.

Anwesend waren auch Vertreter:innen aller Parlamentsparteien, wie Helmut Brandstätter, NEOS-Delegationsleiter im Europäischen Parlament und NEOS-Lab-Präsident, festhielt. Brandstätter führte als Moderator durch diesen höchst eindrucksvollen Abend. Die künstlerische Begleitung übernahm die ukrainischstämmige, in Österreich lebende und international längst renommierte Geigerin Vira Zhuk.

Die Highlights aus der Veranstaltung

poster

Nichts über Europa ohne Europa entscheiden

In ihrer Eröffnungsrede mahnte NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger, dass die seit 1945 etablierten internationalen Beziehungen derzeit ausgehöhlt werden. Für sie „persönlich“ sei es „die schrecklichste Erkenntnis“, dass jetzt „das Recht des Stärkeren anstatt die Stärke des Rechts Gültigkeit hat“. Und weiter: „Wir müssen allein in Europa dafür sorgen, dass wir unsere Sicherheit und unseren Frieden garantieren.“ Spätestens seit der zweiten US-Präsidentschaft von Donald Trump könne sich Europa nicht mehr leisten, die eigene Verteidigung nach Washington auszulagern. Zudem warnte sie vor einem Diktatfrieden für die Ukraine ohne Sicherheitsgarantie. Denn: „Es kann nichts über Europa ohne Europa entschieden werden.“

Beate Meinl-Reisinger am Rednerpult, hinter ihr Flaggen von Ukraine, Österreich und EU

„Lassen wir nicht zu, dass wieder Großmächte über kleinere Staaten entscheiden.“

Beate Meinl-Reisinger

Betont proukrainische Haltung des Nationalratspräsidenten

In die gleiche Kerbe schlug auch Nationalratspräsident Walter Rosenkranz von der FPÖ. Denn klar sei, „dass für einen nachhaltigen, dauerhaften und selbstverständlichen Frieden bei den Verhandlungen die Ukraine am Tisch sitzen muss“. Zur sichtlichen Überraschung vieler im Saal zeigte sich Rosenkranz – entgegen seiner eigenen Parteilinie – betont proukrainisch und doch russlandkritisch, unter Verweis auf Völkerrechtsbruch und Menschenrechtsverletzungen.

Forderung nach gerechtem Frieden

Für die breite Solidarität und Unterstützung der Ukraine bedankte sich Vasyl Khymynets, ukrainischer Botschafter in Österreich. Er bezog sich auf die humanitäre Hilfe für die Ukraine und Aufnahme so vieler geflüchteter Menschen, vorwiegend Frauen und Kinder. Zudem forderte er, dass in diesem „genozidalen Krieg jedes einzelne Kriegsverbrechen dokumentiert und zur Rechenschaft gezogen werden“ müsse. Zum ersehnten Frieden in der Ukraine mahnte auch Khymynets, dass dieser „kein Machwerk der USA“, sondern „ein gerechter Frieden“ sein müsse.

Der ukraininische Botschafter Vasyl Khymynets am Rednerpult

„Es geht um Demokratie und Freiheit. Es geht um unsere Zukunft. Bitte unterstützen Sie uns.“

Vasyl Khymynets, ukrainischer Botschafter

„Nicht als Sklaven Putins leben“

 „Wir wollen nicht als Sklaven Putins leben“, waren die Worte von Inna Sovsun, Mitglied der liberalen Partei „Stimme“ und des ukrainischen Parlaments, noch vor Kriegsausbruch. Schon längst stand Sovsun da im regen Austausch mit Brandstätter. Sichtlich überwältigt von der großen Besucher:innenzahl und der entgegengebrachten Solidarität zeigte sich Sovsun bei ihrem Impulsreferat. Vor dem Hintergrund des für Außenstehende unvorstellbaren Kriegsalltags unter ständigen Bomben- sowie Drohnenangriffen nannte sie die kürzliche Unterstellung Trumps, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Krieg begonnen hätte und ein Diktator wäre, als völlig absurd. In Europa wünschte sie sich mitunter einen verstärkten Zusammenhalt zwischen Ukraine, EU, Vereinigtem Königreich und Norwegen.

Inna Sovsun, ukrainische Parlamentsabgeordnete, am Rednerpult

„Es ist so seltsam, dass Trump Selenykyj einen Diktator nannte und nicht Putin.“

Inna Sovsun, ukrainische Parlamentsabgeordnete

Unzureichende militärische Stärke als europäisches Problem

Im zweiten Impulsreferat verwies der international renommierte Politologe und Philosoph Ivan Krastev auf harte Fakten des Kriegs: 50 Prozent der ukrainischen Bevölkerung sind von ihren Wohnorten vertrieben worden, die Anzahl der Bomben auf die Ukraine hat letztes Jahr das Niveau von 1943, also während des Zweiten Weltkriegs, erreicht. „Das ist ein großer Krieg“, den, so Krastev, eigentlich kaum jemand in Europa für möglich gehalten hätte. Als Problem bezeichnete Krastev den Umstand, dass man in Europa nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 das eigene Militärbudget nicht erhöht habe. Schließlich gehe es bei diesem Krieg nicht nur um die Ukraine, sondern um ganz Europa. Und weiter: „Eine besiegte Ukraine bedeutet nicht weniger als ein unterworfenes Europa.“

Ivan Krastev am Rednerpult

„Dieser Krieg hat die zentralen Annahmen zerstört, worauf Europa gebaut wurde.“

Ivan Krastev

Diskutiert: Auch unser Krieg?

Die anschließende Podiumsdiskussion unter der Moderation von Helmut Brandstätter beleuchtete die widersprüchliche Rolle von US-Präsident Trump, dessen wirtschaftliche und geopolitische Interessen, die Gefahr von Desinformation wie auch die Notwendigkeit militärischer Aufrüstung in Europa. Eine relativ pragmatische Sicht auf Trump vertrat Martin Weiss, ehemaliger österreichischer Botschafter in den USA und Präsident vom Salzburg Global Seminar. So glaube er nicht, dass Trump die Ukraine fallen lassen würde, allein aus dem Grund, dass dieser seinen Vorgänger Joe Biden wegen des chaotischen Rückzugs aus Afghanistan scharf kritisiert hatte. Jetzt würde Trump selbst nicht mit dem Vorwurf in die Geschichtsbücher eingehen wollen, die Ukraine verloren zu haben.

Olga Pindyuk, Martin Weiss, Gerald Karner, Dietmar Pichler, Helmut Brandstätter auf einem Podium

Olga Pindyuk, Martin Weiss, Gerald Karner, Dietmar Pichler, Helmut Brandstätter

Trumps wirtschaftliche Interessen

Skeptischer zeigte sich Olga Pindyuk, Ökonomin vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Sie verwies auf Trumps Erpressungsversuche gegenüber der Ukraine, um aus militärischer Hilfe ökonomischen Profit schlagen zu können. Ähnlich wie im Fall Grönlands seien vorwiegend die Bodenschätze und seltene Erden in der Ukraine für Trump relevant. Wenig überraschend sprach sie sich gegen einen Export dieser Rohstoffe unter Druck in die USA aus, zumal all das für Europa ein „Booster“ wäre. Zudem sei die Ukraine trotz aller Angriffe und Zerstörung in Sachen technologischer Innovationen der EU teilweise überlegen. Das weiß man im herkömmlichen öffentlichen Diskurs – oft von Desinformation geprägt – oft nicht.

Hybride Kriegsführung

Auf das Problem massiver Desinformation, Propaganda und Trollfabriken verwies Dietmar Pichler, Direktor, Disinfo Resilience Network Vienna. Ohne dass es von der breiten Öffentlichkeit so erkannt wird, kursieren propagandistische Narrative zu Russland und China in Europa, so auch im deutschsprachigen Raum. Gleichzeitig werden „dämonisierende Narrative zur Ukraine und zur NATO“ verbreitet. Zu den Sprachrohen zählen mitunter manche Journalist:innen, Wissenschafter:innen oder auch Gäste in diverse Talkshows. Ideologisch lassen sich die Kommunikator:innen weit rechts und weit links verorten, so Pichler. Sorge bereite ihm diese Manipulation von Informationen und Infiltrierung von außen, daher brauche es Regulierungen. Die Wirksamkeit vom Digital Services Act bezogen auf digitale Plattformen werde sich noch zeigen.

Konventionelle Kriegsmittel

Der Militärexperte Gerald Karner warnte vor konventionellen Kriegsmitteln. Unter Verweis auf die Bedrohung aus der Luft erinnerte er daran, was viele von uns schon vergessen haben: Im März 2022 detonierte unter mysteriösen Umständen eine Flugbombe aus sowjetischer Produktion in Zagreb. Angriffe auf Unterseekabel brächten die Frage auf, wie sicher die Ostsee ist. Gleichzeitig fehle aber, so Karner besorgt, innerhalb der Bevölkerung das Bewusstsein, dass sich die Zeiten längst geändert haben. Und wenn die NATO die Sicherheit in Europa nicht garantieren könne, „dann werden wir andere Wege finden müssen“. In diesem Zusammenhang ergänzte Brandstätter, dass die EU seit heuer den ersten Verteidigungskommissar in der Geschichte hat, den einstigen litauischen Premierminister Andrius Kubilius.

Wehrhafte Demokratie

Einig war man sich schließlich, dass man für den Frieden in der Ukraine und damit in Europa nur gemeinsam umfassende Maßnahmen setzen muss. Denn die liberale Demokratie benötigt – in Karners Worten – die entsprechende „Hardware“, sprich Verteidigung, um sich dem Angriffskrieg Putins und dem Bullying Trumps widersetzen zu können. Wenn die Ukraine in diesem Krieg bestehen kann und einen gerechten Frieden erreicht, stärkt das letztlich das gemeinsame Europa und unsere liberale Demokratie. Der unermüdliche Einsatz für die Ukraine ist letztlich die Wahrung unserer Freiheit, Sicherheit, Demokratie und unseres Wohlstands.

(Fotos: Alina Steiner)

Vielleicht interessieren dich auch diese Artikel

Drei Schachfiguren: Ein USA-König und ein Russland-König lehnen sich gegeneinander, dazwischen befindet sich ein Ukraine-Bauer
18.02.2025Silvia Nadjivan6 Minuten

Wenn über Europa ohne Europa verhandelt wird

In der Ukraine entscheidet sich die Sicherheit Europas. Doch über die Sicherheit Europas soll nun ohne Europa verhandelt werden. Zum dritten Jahrestag des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine rächt sich die behäbige Reaktion statt der groß angekündigten Zeitenwende. Eine kurze Analyse von Silvia Nadjivan und Lukas Sustala.

Mehr dazu
Foto (110 von 185)-4240x2385
09.02.2024NEOS Team9 Minuten

Freedom is not for free – we all pay for it

Freiheit ist eines der Dinge, an die wir nicht denken – bis wir sie nicht mehr haben. Welchen Preis Freiheit hat und warum wir keine Angst haben sollten, um sie zu kämpfen, erläuterte Kaja Kallas, Premierministerin von Estland, in ihrer Rede an die Freiheit 2024. Hier folgt die ganze Rede zum Nachlesen. Fotos: Stefan Popovici Sachim

Mehr dazu
Helmut Brandstätter, Irena Vaišvilaitė, Egils Levits, Kerli Veski, Velina Tchakarova, Lukas Sustala auf einer Bühne im Lokal Egon Schiele im Parlament
08.11.2024Lucia Marjanovic4 Minuten

Nur gemeinsam ist Europa stark

Wie kann Russland für seine Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden? Und was muss Europa tun, um seine Sicherheit zu stärken? Ein Nachbericht der Veranstaltung „From Fake Impunity to Full Accountability – Russia’s War Crimes Against Ukraine“, organisiert von den baltischen Botschaften in Wien und dem NEOS Lab.  

Mehr dazu

Melde dich für unseren Newsletter an!