Nur gemeinsam ist Europa stark
Wie kann Russland für seine Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden? Und was muss Europa tun, um seine Sicherheit zu stärken? Ein Nachbericht der Veranstaltung „From Fake Impunity to Full Accountability – Russia’s War Crimes Against Ukraine“, organisiert von den baltischen Botschaften in Wien und dem NEOS Lab.
Zwei Tage vor der Veranstaltung wurde Donald Trumps Wiederwahl zum US-Präsidenten bestätigt. Angesichts dessen stellt sich erneut die Frage, wie Europas Sicherheitspolitik autonomer werden kann – denn auch die Hilfen für die Ukraine in ihrer Verteidigung gegen den russischen Aggressionskrieg hängen von vielen Zusagen in Washington ab. Doch es geht nicht nur darum, wie man Putin aufhalten kann, sondern auch darum, wie er zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Die schlimmsten Verbrechen im Völkerrecht sind Angriffskrieg und Völkermord. Kein Staat hat das Recht, einen Krieg zu beginnen, das habe sich spätestens 1945 manifestiert, betonte Prof. Egils Levits, früherer Präsident von Lettland und Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in seiner Keynote.
„From Fake Impunity to Full Accountability“ – Video der Veranstaltung
Russlands Absicht, einen Staat auszulöschen, sei im 19. Jahrhundert üblich gewesen. Doch nach dem Ersten Weltkrieg habe sich Völkerrecht entwickelt, mit dem Ziel, Kriege künftig zu verhindern. Seit dem Zweiten Weltkrieg gebe es zwar weiterhin zahlreiche militärische Konflikte aber kaum noch zwischenstaatliche Kriege. Der Krieg in der Ukraine sei daher nicht mit solchen vergleichbar.
Das Neue an der aktuellen Situation ist, dass sich China und Russland nicht an das Völkerrecht halten wollen und Europa so schwach wie noch nie dastehe. Dafür werden zum Westen mittlerweile auch Staaten wie Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea gezählt.
Russland verfolge seit zehn, 15 Jahren Ziele einer rückwärtsgewandten Ideologie des 19. Jahrhunderts: Imperialismus, Kolonialismus, Chauvinismus, Rassismus.
„Ein Aggressionskrieg ist das schlimmste Völkerrechtsverbrechen. Russlands Überfall auf die Ukraine ist nicht mit anderen bewaffneten Konflikten vergleichbar.“
Egils Levits
Zivilrechtliche Konsequenzen: Schadenersatz
Auf der zivilrechtlichen Ebene können Schadenersatzforderungen geltend gemacht werden: sowohl vom Staat Ukraine als auch von Einzelpersonen. Der Krieg in der Ukraine ist der bisher am besten dokumentierte Krieg, das liegt einerseits an den Möglichkeiten, die die neuen Medien bieten, andererseits aber auch an der Bereitschaft der Bevölkerung, an der Dokumentation mitzuwirken.
Für Schadenersatzforderungen hat der Westen 300 Milliarden Dollar an russischen Vermögenswerten von russischen Banken und auch Oligarchen eingefroren, die für Schadenersatzforderungen verwendet werden sollen.
Strafgerichtshof in Den Haag: Juristische Konsequenzen
Seit dem Zweiten Weltkrieg haben Kriege auch juristische Konsequenzen. Die ersten internationalen Tribunale waren die Nürnberger Prozesse.
Später wurde der Internationale Gerichtshof in Den Haag eingerichtet, um Kriegsverbrechen strafrechtlich zu verfolgen. Auch wenn die tatsächliche Machbarkeit von der Kooperation der betroffenen Staaten abhängt, so ist es doch ein deutliches Signal, dass man für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden kann und dass niemand, auch kein Staatsoberhaupt, über dem Gesetz steht.
Dabei gilt das Prinzip, dass die gesamte Kommandokette verantwortlich ist, nicht nur der Oberbefehlshaber; „Befehlsnotstand“ ist keine Entschuldigung, das wurde bereits in den Nürenberger Prozessen so festgelegt.
Sondertribunal vom Europäischen Rat?
Gegen Putin wurde vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ein internationaler Haftbefehl für ein ganz bestimmtes Kriegsverbrechen verhängt: die Deportation von Kindern.
Um Putin für den Angriffskrieg zu verurteilen, sei der Internationale Strafgerichtshof aus verschiedenen juristischen Gründen nicht die richtige Institution, erläuterte Levits. Er forderte daher im Sinn bisheriger Diskussionen, dass der Europarat dafür ein Sondertribunal schaffen solle.
Helmut Brandstätter, Irena Vaišvilaitė, Kerli Veski, Velina Tchakarova
Podium: Nicht wie Russland werden
Die anschließende Podiumsdiskussion moderierte Lab-Präsident und MEP Helmut Brandstätter. Er begann mit der Frage, ob die westliche Welt im Hinblick darauf, dass Russland sich an keine Regeln mehr hält, ebenfalls jedes Regelbewusstsein über Bord werfen solle. Die Diskutantinnen waren sich allerdings einig, dass es nicht die Lösung sein kann, selbst zu dem zu werden, was man verhindern möchte.
Irena Vaišvilaitė, frühere UNESCO-Botschafterin und Professorin an der Universität von Vilnius, erläuterte, Putin sei der Überzeugung, Russland habe ein Anrecht auf die Gebiete, die früher zur Sowjetunion gehört hätten. Es handle sich beim Angriff auf die Ukraine um einen kolonialistischen Krieg mitten in Europa. Große Teile der russischen Gesellschaft seien überzeugt von ihrer Unantastbarkeit und Überlegenheit in der Weltordnung. Putin sei sehr überrascht gewesen, dass die EU auf den Überfall der Ukraine so deutlich reagiert hätte. In diesem Selbstverständnis sei Expansion für Russland eine Überlebensfrage.
„Große Teile der russischen Gesellschaft sind überzeugt von ihrer Unantastbarkeit und Überlegenheit in der Weltordnung. Russland führt einen Kolonialkrieg mitten in Europa. Im russischen Selbstverständnis ist Expansion eine Überlebensfrage.“
Irena Vaišvilaitė
Kerli Veski, estnische Diplomatin, betonte, es würde nicht helfen, die Ukraine Russland zu überlassen und zu hoffen, es werde sich damit zufriedenzugeben.
„Wir müssen dafür kämpfen, dass unsere regelbasierte Weltordnung erhalten bleibt und wir nicht selbst wie Russland werden. Wir wollen nicht zu dem werden, was wir bekämpfen.“
Kerli Veski
Europa ist bereits im Krieg
Die geopolitische Expertin Velina Tchakarova betonte, dass dieser Krieg nicht nur mit Waffen geführt wird. Putins hybride Kriegsführung betreffe bereits ganz Europa; trotzdem umgehen einige europäische Staaten die Sanktionen gegen Russland, und Sicherheit und Verteidigung seien von der EU zu lange stiefmütterlich behandelt worden.
„Moderne Kriege werden nicht mehr nur mit Waffen geführt. Der Westen befindet sich bereits mitten im Krieg mit Russland.“
Velina Tchakarova
Hoffnung für ein vereintes Europa
Es sei die Aufgabe von Politik und Medien, der Bevölkerung zu kommunizieren, was auf dem Spiel stehe, und es gelte also, daran zu arbeiten, dass die schlechten Prognosen nicht eintreffen werden.
In einem positiven Ausblick zeigte sich Helmut Brandstätter überzeugt, dass die Europäer:innen verstehen werden, dass wir nur gemeinsam unseren schönen Kontinent erhalten können. Diese Podiumsdiskussion hatte daher auch zum Ziel, Bewusstseinsarbeit in diese Richtung zu leisten.
(Fotos: Stefan Popovici-Sachim)
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