Zur Neutralität verwies Krastev darauf, dass nicht das eigene Selbstverständnis wesentlich sei, sondern wie andere Länder die proklamierte Neutralität sehen. Angesichts harscher Wirtschaftssanktionen werde der Kreml selbst die Schweiz als nicht neutral erleben. Dabei ist auch klar, dass bei einer Veränderung der Sicherheitspolitik gerade neutrale Staaten Einfluss verlieren, da sie sich bei heiklen sicherheitspolitischen Themen nur bedingt einbringen.
Jedenfalls sei durch den Krieg viel in Bewegung geraten: „psychologically, things have changed in Europe“. Hierbei nahm Krastev nicht nur auf die Fehleinschätzungen Putins gegenüber des ukrainischen Widerstandes Bezug, er habe geglaubt, dass es gar keinen Staat Ukraine gebe und die russischen Truppen als Befreier begrüßt würden. Nun könnten weder Russland noch die EU zu der Zeit vor dem Krieg zurückkehren. „Dieser Krieg ist der größte Schock seit Jahrzehnten. Wir dachten, dass ein Krieg in Europa nicht mehr möglich sei. (...) Dass die militärischen Kräfte ihre Bedeutung verloren hätten“, so beschrieb Krastev den europäischen Konsens.
Krastev erklärte, dass Berichte über Kriegszustände von Betroffenen auf Social Media und Bilder von geflüchteten Menschen mit ihren Haustieren zu starken emphatischen Reaktionen der Bevölkerung in Europa geführt haben. Beate Meinl-Reisinger bestätigte, dass sich gerade die Bilder von Menschen, die ganz offensichtlich schnell nur die allernötigsten Sachen und eben ihre Haustiere zusammengepackt haben, besonders eindrücklich bei ihrem jüngsten Besuch an der ukrainischen Grenze eingeprägt haben. Es seien auch diese Bilder, die dazu geführt hätten, dass der Schock und auch die Solidarität in einer ersten Reaktion in ganz Europa so ausgeprägt waren.