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Frischer Wind für Europa

Silvia Nadjivan
Silvia Nadjivan

Anlässlich Österreichs 30-jähriger EU-Mitgliedschaft organisierte das NEOS Lab am 12. Juni 2025 einen Paneltalk am Heumarkt. Dabei ging es darum, einerseits auf die bisherigen Errungenschaften und andererseits auf die notwendigen Reformen für die EU zu blicken.

Der NEOS-Lab-Einladung zum Paneltalk „Frischer Wind für Europa. 30 Jahre in der EU sind erst der Anfang“ folgten renommierte Expert:innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft und gestalteten unter der Moderation von NEOS-Lab-Geschäftsführerin Helga Pattart-Drexler einen zugleich spannenden wie launigen Diskussionsabend. Schnell wurde klar, dass es eigentlich viel mehr zu besprechen gab, als der Zeitrahmen dieser Veranstaltung, in Kooperation mit Renew Europe und dem NEOS-Brüssel-Büro, möglich machte. Denn obwohl breiter Konsens darüber bestand, dass die EU auch für die nächsten Jahrzehnte gestärkt werden müsse, wurde nicht an Kritik am aktuellen Status quo gespart. Am Beginn der Veranstaltung stand eine Gedenkminute für die Opfer und deren Angehörige infolge des Amoklaufs in Graz. Danach ging es in Sachen EU ans Eingemachte.

Absage an blanken Enthusiasmus

Wer vielleicht eine Lobeshymne auf die bisherigen Meilensteine der EU erwartet hätte, wurde eines Besseren belehrt. Die international angesehene Politikwissenschafterin Sonja Puntscher Riekmann vom Salzburg Centre of European Union Studies kritisierte zahlreiche Unzulänglichkeiten der aktuellen EU, die weit davon entfernt sei, in ökonomischer energie- und verteidigungspolitischer Hinsicht unabhängig zu sein. Mit Verweis auf die ursprüngliche Bedeutung von Souveränität als Staatsbegriff betonte die Politikwissenschafterin, dass die EU-Institutionen nach Vorbild von jenen eines Staats aufgebaut seien, und das, obwohl die EU definitiv kein Staat sei. Stattdessen sollten Pläne zum Ausbau der supranationalen Demokratie und Konzepte gegen die europaweite Ausbreitung der extremen Rechten entwickelt werden.

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Sonja Puntscher Riekmann vom Salzburg Centre of European Union Studies bei ihrer Keynote

Europäische Identität als treibende Kraft

Im anschließenden Paneltalk ging es recht schnell um die vielen Zuschreibungen zur EU und die europäische Identität, die sehr wohl neben anderen – darunter nationalen sowie lokalen – Identitäten bestehen kann. So betonte MEP und Lab-Präsident Helmut Brandstätter: „Je mehr konservative und grüne Parteien im EU-Parlament zusammenarbeiten, desto mehr spüre ich die europäische Identität.“ Einen wichtigen Beitrag zur europäischen Identität leisten EU-Förderprogramme, allen voran das Erasmus+-Programm. Die Nachfrage nach den durch Erasmus+ ermöglichten Auslandaufenthalten steige jedes Jahr um 5 bis 10 Prozent, erläuterte Jakob Calice, Geschäftsführer von OeAD – Agentur für Bildung und Internationalisierung. Deutlich wurde bald, dass europäische Identität und liberale Demokratie miteinander korrelieren und mittels Demokratiebildung weiter gestärkt werden müssen.

Die äußere Bedrohung als Kitt

Was die europäische Identität zusätzlich stärke, sei die aktuelle geopolitische Situation durch die Bedrohung Russlands und die Unberechenbarkeit der USA unter Trump 2.0, so Calice. Spätestens jetzt bräuchte es endlich mehr EU-Ausgaben für eine gemeinsame Verteidigung, betonte Mario Holzner, Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Insgesamt forderte Holzner mehr Mut beim Einleiten längst überfälliger EU-Reformen, besonders mit Hinweis auf den aktuell vielzitierten Draghi-Bericht, den er sogar als „revolutionär“ bezeichnete, weil dieser angesichts der unzähligen aktuellen Herausforderungen und unter Voraussetzung neuer Staatsschulden „massive Investitionen“ pro Jahr verlangt. Diese Position dürfte im EU-Parlament derzeit keine Mehrheit finden, zumal sie in dieser Form kaum thematisiert wird.

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Das Panel: Helmut Brandstätter, Rebekka Dober, Mario Holzner, Sonja Puntscher Riekmann, Jakob Calice, Helga Pattart-Drexler

Vertrauensbildende Maßnahmen unerlässlich

Kommunikation ist der Schlüssel, weil sie in Zeiten hoher Polarisierung Vertrauen schaffen kann. Gerade unter jungen Menschen würden viele Europa mit Skepsis begegnen, so Rebekka Dober, Gründerin und Geschäftsführerin von YEP (Youth Empowerment Participation). Viele der jüngeren Generation würden sich nämlich ausgeschlossen fühlen und daher Europa misstrauen. Dem will Dobers Organisation YEP entgegensteuern, indem junge Menschen ernst genommen, durch aktive Demokratiearbeit für Europa begeistert und so aus der politischen Apathie geholt werden sollen. Was zivilgesellschaftliche Initiativen wie YEP leisten, müsste schon längst auf institutioneller Ebene angeboten werden, und zwar ein ehrlicher Dialog über die vielen Herausforderungen. Zu besprechen gäbe es viel, angefangen bei den notwendigen EU-Reformen über den stockenden EU-Erweiterungs- und Integrationsprozess bis zum gemeinsamen Einsatz gegen Desinformation und für die liberale Demokratie in Europa. Darin waren sich alle Panelist:innen einig.

Neuer Schwung für politische Beteiligung

Zum Schluss resümierte man im Panel über neue Formen und Räume politischer Beteiligung, und zwar fernab gesellschaftlicher Polarisierung und permanenter Verbreitung von Fake News. Denn insgesamt würden Menschen generationenübergreifend viel mehr das Gemeinsame als das Trennende sehen. Dort gilt es anzusetzen, wenn Bürger:innen die Chance zu politischer Beteiligung angeboten wird. Was es jetzt braucht, so der Konsens, sind institutionelle Räume, wo Debatten über verschiedene Interessen strukturiert geführt werden und sich politisch interessierte Menschen einbringen können. Frischen Wind benötigt also die konstruktive Weiterentwicklung des gemeinsamen Europas – ein klarer Auftrag auch für das NEOS Lab, das sich an dieser Stelle bei allen Mitwirkenden für die zugleich intensive und tiefgehende Diskussion (mehr dazu hier) bedankt. 30 Jahre EU-Mitgliedschaft sind für Österreich somit erst der Anfang.

(Fotos: Stefan Popovici Sachim)

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