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Betonte Zurückhaltung: Karl Nehammer im ORF-Sommergespräch

Die Sprechwissenschaftlerin Susanne K. Weber hat für das NEOS Lab die ORF-Sommergespräche analysiert. Karl Nehammer gibt sich besonnen und lenkt von unangenehmen Fragen ab. 

Das Folgende ist eine Analyse von Körpersprache und Rhetorik, es geht dabei nicht um inhaltliche Argumente. 

Karl Nehammer zeigt sich zunächst durch seine aufrechte Haltung, sein entschiedenes Gestikulieren mit offenen Händen und wohlklingende Formulierungen à la „Türkis ist eine schöne, warme und freundliche Farbe ...“ eloquent, kraftvoll, entschlossen und gleichzeitig höflich. 

Er nickt bei fast jeder Frage von Martin Thür, lächelt häufig dezent dazu und neigt den Kopf leicht zur Seite. Insgesamt hat dies eine verständnisvolle Wirkung, auch wenn das Lächeln manchmal etwas angespannt und bemüht wirkt. 

Emotionen zeigt Nehammer überhaupt kaum, was ihm einerseits einen seriösen und besonnenen Ausdruck verleiht, andererseits aber auch wenig greifbar macht. Sobald Nehammer antwortet, kehrt er mit dem Kopf in eine mittlere Position zurück, kippt häufig die Stirn in Richtung Gesprächspartner und erläutert, raumgreifend mit den Händen, seine Sicht der Dinge.

Wenn der Körper den Worten widerspricht 

Diese Grundhaltung behält Nehammer das ganze Gespräch über bei, bis zu einem entscheidenden Moment gegen Ende des Gesprächs, als Martin Thür die Causa Pilnacek anspricht. Mit dem Aussprechen dieses Namens passieren Nehammer eine Reihe von Gesten und Mundbewegungen, die er bis dahin kein einziges Mal gezeigt hat: Er fährt sich mit der linken Hand an den Mund, um sich mit Zeigefinger und Daumen an den Lippen zu berühren. Anschließend leckt er sich mit der Zunge über die Lippen, reibt sich die Hände, um sich dann noch einmal, diesmal mit beiden Daumen oberhalb der Lippen zu berühren. In der Folge reibt er sich wieder die Hände – und das alles, während Moderator Thür die Frage vorliest. 

Nach einigen Sekunden lehnt sich Nehammer, möglicherweise bewusst, hinten an der Stuhllehne an und legt die beredten Hände auf den Tisch, wo schließlich nur noch die Finger kurz trommeln.

Beruhigungsgesten 

Die Gesten, die Nehammer in diesem Moment, höchstwahrscheinlich unbewusst, an den Tag legt, fallen in den Bereich der Selbst-Berührungsgesten, genauer gesagt der Beruhigungsgesten. Diese deuten auf ein erhöhtes Stressempfinden hin und dienen in der Regel dazu, den eigenen mental-emotionalen Zustand zu verändern. Dazu muss man wissen, dass der Körper, evolutionstechnisch gesehen, der wesentlich ältere Ausdruckskanal ist als die Sprache. Deshalb drückt der Körper auch emotionale Zustände unmittelbar aus, während Worte noch einmal mithilfe des Verstands abgewogen werden können. Widersprechen sich Körper und Worte, wie in Nehammers Fall, entsteht ein inkongruenter Ausdruck – da „passt dann etwas nicht zusammen“. Denn mit Worten widerspricht Nehammer Thürs Fragen, indem er beispielsweise nicht näher genannte Experten aus der Richterschaft zitiert, „die sehr verwundert sind über die Qualität des Berichts ...“ und auf die Frage „Hat die Volkspartei die Justiz für ihre eigenen Zwecke missbraucht?“ mit einem sehr raschen „Nein!“ antwortet. 

Ablenken, Ausweichen und unkonkrete Sprache 

Ablenken und Ausweichen als Mittel strategischer Argumentation ist ein bei Nehammer oft zu beobachtendes Mittel. Etwa wenn Thür nachfragt, wo genau Nehammer 4 Milliarden Euro an Förderungen einzusparen gedenkt oder wie er die Klimaziele einhalten will, ohne der Bevölkerung unpopuläre Maßnahmen zuzumuten, oder wie sein Vorhaben, Asylverfahren in Drittstaaten abzuwickeln, in der Praxis aussehen soll, wenn das doch bisher noch keinem europäischen Land gelungen ist.

Bei diesen Fragen reagiert Nehammer mit sehr Substantiv-lastigen Erklärungen, die wenig Konkretes aussagen und unter denen die Verständlichkeit leidet. Wortreich werden Sachverhalte erläutert, nach denen nicht gefragt wurde, die außerdem niemand bezweifelt und die gut klingen. Häufig verwendete Lieblingsworte sind dabei Kombination, Stabilität, Technologie, Maßnahmen und Wirtschaftswachstum. Nehammer strahlt zwar Eloquenz aus, transportiert aber wenig bis keinen faktischen Inhalt und sorgt so bei der Beantwortung oben genannter Fragen kaum für Klarheit und Verständlichkeit.

Wer wichtige Fragen ignoriert, verletzt ein existenzielles Bedürfnis 

Als Thür danach fragt, ob Nehammer bereit wäre, auch unpopuläre Maßnahmen zum Schutz des Klimas zu setzen, beginnt Nehammer auszuweichen und wortreich zu fordern „Es braucht eine Vernunft in der Debatte. Natur und Umweltschutz sind wichtig [...]“ und betont anschließend jeweils dreimal in unterschiedlichen Kombinationen die Worte Fortschritt und Technologie. Eine klare Antwort oder konkrete Lösungen anhand von Beispielen gibt er nicht.

Und als Thür in der Causa Pilnacek, bei der Nehammer bereits (für seine Verhältnisse) recht emotional ist, nochmals direkt fragt: „Sie haben in der ÖVP nie nachgefragt, ob diese Interventionen passiert sind?“, redet Nehammer einfach weiter, als hätte er die Frage gar nicht gehört. Er ignoriert sie schlichtweg. 

Welche Auswirkungen hat das nun prinzipiell, aus sprechwissenschaftlicher Sicht, wenn Fragen nicht beantwortet und stattdessen ausgewichen wird? Dies hat zur Folge, dass der Fragestellende in seinem Bedürfnis verletzt wird, ernstgenommen und gehört zu werden. Und weil letztendlich der Moderator stellvertretend für sämtliche Bürger:innen fragt, entsteht genau an dieser Stelle, dem Nicht-Eingehen auf Fragen, der Eindruck „Die hören uns nicht! Wir sind denen egal!“.

(Bild: Nehammer: karl-nehammer.at/Montage) 

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