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Nach dem Wahltag: Wer kann Regierung?

Die Sprechwissenschaftlerin Susanne K. Weber hat für das NEOS Lab die ORF-Sommergespräche analysiert. Fazit: Allen, bis auf Herbert Kickl, ist kooperative Regierungsarbeit zuzutrauen. 

Die Menschen hinter den Politikern 

Nehammer gibt, ebenso wenig wie übrigens Kickl, kaum etwas über sich selbst als Persönlichkeit preis („personare“ heißt durchklingen). Beide reden „über“ die Dinge. Aber zu ihrer persönlichen Motivation als Mensch, zu dem was sie antreibt, sagen beide so gut wie nichts.  

Ein Beispiel: Sowohl Kickl spricht „über“ Reflexionsfähigkeit, wenn er anfangs sagt „[...] des ist auch irgendwie gut für den Geist und schärft die Sinne und manchesmal ändert das auch ein wenig die Perspektive, wenn man dann von oben (Anmerkung: vom Berg) hinunterschaut [...]“, als auch Nehammer, wenn er nach Sokrates gefragt wird: „Es tut gut, sich selbst zu hinterfragen und gerade, wenn man besonders davon überzeugt ist, dass nur der eine einzige Weg der Richtige ist [...].  

Beide verwenden die Worte „des“, „es“ und „man“. Dabei bleiben sie mit ihrem eigenen „Ich“ völlig außen vor. In der Fachsprache sagen wir, sie bleiben in einer dissoziierten Perspektive. 

Nehammer und Kickl reden also theoretisch über Reflexionsfähigkeit und lassen diese an Punkten im Gespräch, wo sie in der Praxis angebracht wäre, völlig vermissen! Wohingegen Meinl-Reisinger, Babler und Kogler ihre Reflexions-Fähigkeit während des Gesprächs glaubhaft zeigen! Nämlich indem sie sich selbst hinterfragen, zugeben oder auch einmal entschuldigen.  

Und von diesen dreien spürt das Publikum während des Gespräches auch zwischendurch etwas „vom Menschen dahinter“. Wir erfahren etwas über ihren persönlichen Antrieb. 

Etwa wenn Meinl-Reisinger erzählt, wie sie während des Studiums nebenbei im Supermarkt gejobbt hat und sehr traurig darüber war, dass die Tochter einer bosnischen Kollegin, der Meinl-Reisinger damals Nachhilfe gegeben hat, trotz aller Begabung in Mathematik, aber Schwäche in Deutsch kaum eine Chance auf Matura hatte und sagt: „Ich habe gesehen, dass nicht alle Kinder alle Chancen haben.“ Da nimmt man Meinl-Reisinger ab, dass ihr Bildung und Chancengerechtigkeit am Herzen liegen – oder Babler die Gerechtigkeit. Er macht glaubhaft, dass es ihm wehtut und wütend macht, benachteiligte Menschen zu sehen. Und Kogler wird als Mensch greifbar, wenn er beispielsweise zugibt, wie es ihm mit TikTok ergeht: „[...] ich spiel da manchmal was drauf, äh, aber des is glaub ich sehr konservativ. Und bin mir net sicher, ob des immer so publikumstauglich is, gemessen an dem, was man vom Tik-Tok-Publikum so hört [...].  

Unabhängig von ihren politisch-inhaltlichen Schwerpunkten, spürt man also bei Meinl-Reisinger, Babler und Kogler Persönlichkeiten mit Emotionen und einem ehrlichen Antrieb.

Herbert Kickl nicht qualifiziert

Herbert Kickl ist mit seinem Kommunikationsverhalten absolut nicht qualifiziert für aufrichtige Parlamentsarbeit. Seine Rhetorik ist von verbaler Spaltung, offenen Drohungen gegenüber dem Gesprächspartner und Abwertung der politischen Mitbewerber gekennzeichnet. 

Ansteckende Begeisterung 

Die Wähler:innen mögen unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie Politiker:innen zu sein haben. Für manche braucht es den seriös-glatten, möglichst emotionslosen Staatsmann, andere wünschen sich energiegeladene Personen, mit Mut zur Offenheit und wieder andere präferieren jemanden, der „Auf-den-Tisch-haut“ oder „wie Mutti“ ist. Eines spüren allerdings fast alle: Wenn es jemandem gelingt positive Emotionen zu transportieren, wie ein Barack Obama das tut. Denn glaubhaft verkörpertem lebendigem Engagement und offenem, ehrlichen emotionalem Ausdruck, kann sich kaum jemand entziehen. Da entsteht, wenn Menschen nicht selbst komplett verschlossen sind, im Normalfall eine positive Resonanz. Da wirkt Begeisterung ansteckend. 

Wie auch immer die Vorstellungen sein mögen – der Blick in das ORF-Forum und auch die sprechwissenschaftliche Perspektive legen nahe, welche Qualitäten Politiker:innen haben sollten, wenn sie ehrliche, transparente und fortschrittliche Regierungsarbeit leisten wollen – ohne Postenschacher, Zweiklassen-Methoden und andere unlautere Mittel: 

Da ist der Wunsch nach Durchsetzungskraft, Entscheidungsfähigkeit, Mut, Energie, Einfühlungsvermögen, die Bereitschaft und Fähigkeit zu Perspektivübernahme, wertschätzende Kommunikation, Konfliktfähigkeit, Selbstreflexions- und Kritikfähigkeit.  

Und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Auch für Fehler. 

Österreich braucht ein Team 

In einer erfolgreichen Regierungsmannschaft sind alle diese Qualitäten vertreten. Und falls die einen mehr auf „Ego-Stärke“ setzen und andere mehr an das „Wir“ denken, dann wäre es wünschenswert, dies nicht als Widerspruch zu sehen, sondern als wertvolle und notwendige Ergänzung. Als „sowohl als auch“. Als zwei Seiten einer Medaille. Mal braucht es das eine, Mal das andere und Mal beides. In einem erfolgreichen Team und ein solches sollte eine Regierungsmannschaft am Ende sein, um das Schiff „Österreich“ erfolgreich durch stürmische Zeiten zu steuern, sind alle Kräfte vertreten und ziehen gemeinsam an einem Strang für das Wohl aller Österreicher:innen!

(Bild: Amélie Chapalain)

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