Zum Vertiefen: Defence Briefing aus dem NEOS Lab – Kann sich Europa selbst verteidigen?

Europa muss sich selbst verteidigen können
Alle wesentlichen Akteur:innen in der EU sind sich einig: Europa muss aufrüsten, und dafür braucht es Geld. Woher das kommen soll, darüber herrscht Uneinigkeit.
Bei der Frage, „wie“ das Geld für Europas Verteidigung beschaffen werden soll und wie viel Geld eigentlich benötigt wird, scheiden sich auf EU-Ebene – wie so oft – die Geister. Wieder einmal gibt es Dissens zwischen Europäischer Kommission und Europäischem Rat bzw. zwischen europäischer und nationalstaatlicher Perspektive. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert in ihrem „ReArm Europe“-Plan 800 Milliarden Euro für die Aufrüstung Europas. Rechtzeitig vorm EU-Krisengipfel am 6. März in Brüssel legte von der Leyen diesen Plan den EU-Mitgliedsländern per Brief und der breiten Öffentlichkeit per Presseaussendung vor.
Aufrüstung als Gebot der Stunde
Im „ReArm Europe“-Plan geht es darum, dass EU-Mitgliedsländer ihre Verteidigungsbudgets aufstocken sollen, dafür die EU-Richtlinien wie Schuldenbremse aussetzen, also Schulden machen und außerdem von der EU-Kommission Kredite bekommen können. Zudem würden zusätzliche Mittel aus den EU-Kohäsionsprogrammen zur Verfügung stehen, um die Militärbudgets und -anschaffungen zu erhöhen. Die Europäische Investitionsbank (EIB) müsste sich genauso finanziell an der Aufrüstung beteiligen. Zu guter Letzt sollte auch Privatkapital gewonnen werden, um Forschung und Entwicklung diesbezüglich voranzubringen. Inzwischen hat die EU-Kommission ein Weißbuch zur europäischen Verteidigung herausgebracht. Wenig überraschend geht es um die gemeinsame, koordinierte Anschaffung von Rüstungsmaterial, weil billiger, und um klare Kompetenzverteilung, weil effizienter.
Dieser Aufrüstungsplan stellt sich der Tatsache, dass die meisten EU-Länder noch immer weit unter 2 Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben, obwohl der internationale Schwenk der USA unter Trump 2.0 das eigentlich notwendig macht. Schließlich sind die Zeiten der jahrzehntelangen „Friedensdividende“ und der US-Schutzmacht für Europa vorbei.
Diskrepanz als politische Realität
Von der breiten Zustimmung beim Krisengipfel blieb bei den Folgetreffen letzte Woche in Brüssel – ungeachtet der internationalen Eigendynamik unter Trump 2.0 – nicht viel übrig. Beim Außenminister:innentreffen am 17. März betonte die EU-Außenbeauftragte einmal mehr, dass Europa gemeinsam Russland abschrecken und die Ukraine unterstützen müsse. Ihre Forderung, die Ukraine mit weiteren 40 Milliarden Euro zu unterstützen, erhielt allerdings kaum Gehör. Beim EU-Gipfel am 20. März ging ihre Forderung nicht durch, geschweige denn dass der EU-Rat einen gemeinsamen Beschluss verabschiedet hätte. Was blieb, ist eine Absichtserklärung, von 26-Mitgliedsländern unterzeichnet – also ohne Ungarn; voraussichtlich das neue Normal auf EU-Ebene. Und das, obwohl die Zeit drängt. Im Unterschied dazu schafft Deutschland Fakten.
Ein neuer Wind in Deutschland
Mit Unterstützung der Grünen hat die – sich eigentlich erst zu konstituierende – CDU/CSU-SPD-Regierung unter Friedrich Merz ein „milliardenschweres Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur“ im Bundestag beschlossen, und zwar unter Aussetzung der Fiskalregeln. Für Infrastruktur soll ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, womit Merz im europäischen Vergleich vollkommen heraussticht. Während auf EU-Ebene die immanente Bedrohung durch Russland noch immer nicht allen bewusst geworden ist, hat sich Deutschland den neuen politischen Realitäten mit einem entsprechenden Plan gestellt und quasi eine Vorreiterrolle übernommen. Im Unterschied dazu hat Präsident Emmanuel Macron im hoch verschuldeten Frankreich weit weniger Spielraum und vorerst die Gründung eines Verteidigungsfonds angekündigt. In diesen könne die französische Bevölkerung einzahlen und so die Aufrüstung des eigenen Landes mitfinanzieren. Das kann angesichts der weltweit besorgniserregenden Lage eher als PR-Aktion verstanden werden.
Ernst der Lage noch verkannt
Was zunächst nur aus Geheimdienstkreisen zu hören war, wird immer lauter und öfter gesagt. Der Aggressor Russland könnte in den nächsten drei bis fünf Jahren bereit sein, die EU anzugreifen. In diesem Licht erscheint das ergebnislose Telefongespräch zwischen US-Präsident Trump und dem russischen Präsidenten als Farce, und das unter großer internationaler Aufmerksamkeit. Schließlich hat es verdeutlicht, dass Putin kein Interesse an einem Waffenstillstand, geschweige denn Frieden hat. Die Erwartungen an die fortgesetzten Friedensverhandlungen in Saudi-Arabien diese Woche sollten daher nicht zu hochgesteckt sein. Ganz anders sollte das Treffen in London werden, zu dem Keir Starmer geladen hat. Unter dem gemeinsamen Schirm Koalition der Willigen planen EU-Mitglieder und UK, die Aufrüstung Europas und die weitere Hilfe an die Ukraine rasch umzusetzen.
Rasches Handeln notwendig
Bis 2030 hat die EU-Kommission die Frist für die militärische und militärstrategische Aufstockung und Ausweitung gesetzt. Bis dahin wird auch ein möglicher Angriff auf ein EU-Land prognostiziert. Es ist also tatsächlich ein Wettlauf mit der Zeit. Denn Putins Ziele erscheinen laut der Expertin für Sicherheits- und Verteidigungspolitik Claudia Major völlig klar. Putin habe, so Major, drei Ziele: erstens die Ukraine zu vernichten, zweitens Europa zu erobern und drittens die bisherige Weltordnung auf Grundlage des Völkerrechts auszuhebeln und imperialistisch auszurichten. Diese Aussichten sind somit alles andere als rosig. Europa muss sich daher umso mehr selbst verteidigen können. Was es hierbei zu beachten gibt, ist im neuen Deep Dive aus dem NEOS Lab nachzulesen.
Bild: (gopixa/iStock)
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